13. Dez. 2022 · 
Wirtschaft

Warum sich die Wasserstoff-Herstellung für die Windkraftbranche (noch) nicht lohnt

Nicht selten stehen Windräder still, obwohl der Wind weht. Die Windbranche ärgert das. | Foto: GettyImages/hsvrs

Obwohl der Wind weht, stehen Windräder manchmal still. In seltenen Fällen sind dafür Tierschutz, Vereisung, Wartung oder Schallschutz verantwortlich. In der Regel ist der Stillstand aber auf verstopfte Stromnetze zurückzuführen. Abregelung heißt das Phänomen, das die Schwächen des deutschen Stromnetzdesigns schonungslos offenlegt – insbesondere in Niedersachsen. Das Windkraft-Bundesland Nr. 1 belegt jetzt auch bei der Abregelung der Windenergie den ersten Platz und hat inzwischen sogar Schleswig-Holstein weit hinter sich gelassen. Für die Stromkunden, die für diesen Systemfehler über die Netzentgelte haftbar gemacht werden, ist das ein teurer Spaß. Die Bundesnetzagentur schätzt die Entschädigungsansprüche der Windstromerzeuger für das Jahr 2021 auf 750,3 Millionen Euro (2020: 721,5 Millionen Euro). Rund 5500 Gigawattstunden erzeugter Windstrom wurden nicht genutzt. Durch die Energiewende und den Netzausbau wird sich das Problem irgendwann in Wohlgefallen auflösen. Das kann aber noch viele Jahre dauern. Die niedersächsischen Windkraftbetreiber bringen daher noch einen anderen Lösungsansatz ins Spiel: Das Zwischenspeichern von Windenergie in Wasserstoff. Doch die Umsetzung scheitert auch hier bislang nicht an der Technik, sondern an den Regularien und den Kosten.

Gewinnspanne beim Wasserstoff ist noch zu niedrig

„In der Windbranche muss man sich wie verrückt die Nachfrage gefallen lassen: Warum laufen die Anlagen nicht“, weiß Dennis Kruse von der Deutschen Windguard GmbH. Das Unternehmen aus Varel (Landkreis Friesland) betreut zahlreiche Windparks in Deutschland, die regelmäßig abgeregelt werden – manchmal sogar komplett. Die Umwandlung von Strom in Wasserstoff mittels Elektrolyse scheint da eine sinnvolle Alternative. Doch selbst Kruse sagt: „Wir haben noch keinen Elektrolyseur angeschafft, auch unser Kunde nicht. Im Moment sind die regulatorischen Rahmenbedingungen noch nicht gegeben, um solche Projekte umzusetzen.“ Doch warum ist es für den ganz normalen Windparkbetreiber meistens wirtschaftlicher, die Windräder still stehen zu lassen, anstatt Wasserstoff zu erzeugen? Das liegt an den relativ hohen Erzeugungskosten im Vergleich zu den Absatzmöglichkeiten.

Laut Kruse werden grauer und blauer Wasserstoff derzeit mit 5 bis 17 Cent pro Kilowattstunde gehandelt. Bei Wasserstoffgestehungskosten von mindestens 10 Cent ist die Gewinnspanne, sofern sie überhaupt gegeben ist, gering. Die Direkteinspeisung des Windstroms, dessen Erzeugungskosten der Energieexperte mit gerade mal 3,8 Cent pro Kilowattstunde angibt, bietet da deutlich bessere Gewinnaussichten – ohne die Investition in einen teuren Elektrolyseur, der eine Lebenserwartung von 15 Jahren hat. Für grünen Wasserstoff, betont der Energieexperte, gebe es in der EU derzeit keine Definition und auch kein Siegel. „Wir haben also Windparks, die gar nicht in der Lage wären, grünen Wasserstoff zu produzieren“, stellt Kruse fest. Weil der Markt die verschiedenen Wasserstoff-Varianten grundsätzlich gleichbehandelt, könnten die Hersteller von grünem Wasserstoff gegen die billigere und „dreckigere“ Konkurrenz eigentlich nur mithilfe von Zertifikate-Handel bestehen. Diese Möglichkeit gebe es für die Hersteller von Öko-Wasserstoff aber noch nicht.

„Wasserstoff ist zwar in aller Munde und jeder möchte ihn haben. Aber man muss ihn gezielt einsetzen."

Carsten Fichter, Professor für Windenergietechnik, Energiewirtschaft und Speicherung

Carsten Fichter | Foto: EnergieSynergie

Die Herstellung von Wasserstoff durch Windenergie kann sich aber auch auszahlen. Um herauszufinden, für welche Windparks das zutrifft, hat das Unternehmen „EnergieSynergie“ aus Ovelgönne (Landkreis Wesermarsch) in Zusammenarbeit mit dem Landesverband Erneuerbare Energie (LEE) Niedersachsen einen Wasserstoff-Rechner programmiert. „Unser Wasserstoffrechner berechnet mit nur zwei Eingaben die Wasserstoffgestehungskosten, Wasserstoffmengen sowie die passende Elektrolyseurgröße für Wasserstoffvorhaben. Somit bekommt man eine erste Einschätzung über die Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit eines Vorhabens“, erläutert EnergieSynergie-Geschäftsführer Carsten Fichter. Der Professor für Windenergietechnik, Energiewirtschaft und Speicherung an der Hochschule Bremerhaven ist zwar von Wasserstoff-Technologie überzeugt, sieht aber gleichzeitig auch nur ein beschränktes Einsatzgebiet. „Wasserstoff ist zwar in aller Munde und jeder möchte ihn haben. Aber man muss ihn gezielt einsetzen“, sagt Fichter. Wasserstoff biete sich etwa für die chemische Industrie, bei der Stahlproduktion oder für die Luft- und Schifffahrt an. „Für alle anderen Anwendungen muss man sehen, ob das passt, oder ob der Strom nicht besser als Strom aufgehoben wäre“, sagt Fichter. Für die Windpark-Betreiber hat er folgenden Tipp: „Man muss das Thema vom Ende her denken: Wenn ich einen Kunden habe, der bereit ist, für grünen Wasserstoff zu bezahlen, dann kann ich das als Projekt auch realisieren.“

Quelle: Deutsche Windguard GmbH

Welche Hilfe der Wasserstoff-Rechner bietet, macht Kruse mithilfe eines Praxisbeispiels deutlich: Für einen typischen Windpark mit fünf Windrädern empfiehlt der promovierte Produktionstechniker und Windguard-Geschäftsführer nach der Benutzung der LEE-App einen mittelgroßen Elektrolyseur. „Wenn wir den Elektrolyseur unterdimensionieren, haben wir eine besonders hohe Auslastung. Wirtschaftlich ist es aber besser, wenn wir einen Elektrolyseur mit höherer Leistung einsetzen“, erläutert er. Ein 1-Megawatt-Gerät würde pro Jahr etwa 100.000 Kilogramm Wasserstoff produzieren und damit ein Viertel der Energiemenge des Windparks verbrauchen. Der Rest (etwa 15 Gigawattstunden) könnte weiterhin ins Stromnetz eingespeist werden. Der Elektrolyseur wäre dabei zu 62 Prozent ausgelastet und hätte Produktionskosten zu 10,70 Cent für jede Kilowattstunde Wasserstoff. „Damit wären wir bei den Marktpreisen gar nicht so schlecht dran“, sagt Kruse.

Der PEM-Elektrolyseur ME450 der Firma H-TEC hat eine Nominallast von 1 Megawatt – das entspricht bis zu 90 Tankfüllungen am Tag. | Visualisierung: H-Tec

Elektrolyseur kann Stromverschwendung beenden

Stromverschwendung gäbe es bei diesem Modell nicht mehr, denn jede abgeriegelte Kilowattstunde könnte zusätzlich in Wasserstoff umgewandelt werden, weil der Elektrolyseur ja noch freie Kapazitäten hat. Zudem fällt bei der Umwandlung von Windstrom in Wasserstoff auch noch viel Abwärme an. In diesem Beispiel sind das etwa 824 Megawattstunden. „Wenn ich mich nicht verrechnet habe, sind wir bei 50.000 Euro, die man noch für Abwärme pro Jahr bekommen könnte“, sagt Kruse. Außerdem entstünden im Umwandlungsprozess noch große Mengen Sauerstoff, die ebenfalls vermarktet werden können. Für die Elektrolyse würden jährlich zwar auch noch 1700 Kubikmeter Wasser benötigt. „Das ist etwas, das bei der wirtschaftlichen Betrachtung nicht ins Gewicht fällt“, winkt Kruse ab und rechnet hier mit Ausgaben von gerade mal 3400 Euro. Alle Berechnungen müsse man aber mit Vorsicht betrachten, weil viele Werte noch aus dem Frühjahr stammen, warnt Kruse und sagt: „Das ist jetzt alles etwas schwieriger kalkulierbar geworden.“

„Mit dem Wasserstoff-Rechner wollen wir Kommunen und Unternehmen ein kleines Rüstzeug geben, um sich dem Thema Wasserstoff zu nähern“, erklärt Gunnar Lehmschlöter, LEE-Referent für Wasserstoff und Mobilität. „Kommunen ermöglicht der frühzeitige Aufbau einer regionalen Wasserstoffwirtschaft, ihren Beitrag zur Dekarbonisierung und zur eigenen Energieversorgungssicherheit zu leisten. Zusätzlich werden regionale Wertschöpfungseffekte ausgebaut“, sagt Lehmschlöter. Für die deutsche Energieversorgung wäre eine größere Verbreitung von Elektrolyseuren ebenfalls wünschenswert. Nicht nur, weil der Wasserstoff-Bedarf in den nächsten Jahren kontinuierlich ansteigen wird. Experten rechnen damit, dass der Verbrauch von 55 Terawattstunden bis 2045 auf einen Bedarf von 450 Terawattstunden ansteigen wird. Elektrolyseure sind auch deswegen wichtig, weil die Energiewende hin zu den Erneuerbaren ohne Speichermedien für Strom kaum gelingen wird.

Dieser Artikel erschien am 14.12.2022 in Ausgabe #223.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail