
Deutschland verwaltet sich kaputt. Die Republik versinkt in Papierkram. Wohin man auch geht und mit wem man auch spricht: Alle Branchen und Professionen klagen über ein Zuviel an Bürokratie. Wo können Dokumentationspflichten eingespart werden? Welches Formular gehört dringend abgeschafft? Und was ist am Ende vielleicht doch sinnvoll? Eine Rundblick-Serie zum Bürokratieabbau. Teil 3: Landwirtschaft.
Im März hat Christine Heins jedes Jahr aufs Neue ganz besonders viel zu tun. Die Geschäftsführerin vom Maschinenring Hannover-Land hilft Landwirten von Berufs wegen dabei, mit ihrem Papierkram gut zurechtzukommen. Und spricht man in der Agrarbranche von Papierkram, dann ist das häufig nicht im übertragenen Sinne gemeint. Zwar läuft auch in der Landwirtschaft eigentlich schon vieles digital, doch bei den EU-Förderprogrammen muss Christine Heins zusätzlich immer noch einen Zettel ausfüllen. „Der Datenbegleitschein muss vom Landwirt persönlich unterschrieben und dann per Fax oder Post an die Bewilligungsstelle bei der Landwirtschaftskammer geschickt werden“, erklärt Heins. Einen weiteren Zettel braucht man dann noch für die Agrarumwelt-Maßnahmen, die neben dem digitalen Antrag immer auch noch die Papierform verlangen – bei Pachtfläche mit offiziellem Stempel der unteren Naturschutzbehörde drauf.

Christine Heins betreut in diesem Jahr rund 50 Betriebe bei diversen Melde- und Antragsverfahren. Am Ende des Winters stehen dabei gleich zwei große Sachen parallel auf dem Zettel: Bis Ende März mussten die Bauern nämlich das niedersächsische Nährstoff-Meldeportal „Enni“ mit Daten gefüttert haben. Außerdem begann Mitte März die zweimonatige Phase, in der die Agrar-Förderanträge bei der EU gestellt werden mussten. Weil sich an den Förderkriterien der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) immer wieder Kleinigkeiten ändern, müsse man sich stets neu reinarbeiten, sagt Christine Heins im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Früher beginnen könne man deshalb auch nicht, denn sonst sind die neusten Funktionen noch nicht freigeschaltet. Der Landwirtschaftskammer haben die Landwirte zudem immer wieder vorgeschlagen, Plausibilitätsprüfungen in das Antragsprogramm einzubauen. Das verringert die Gefahr von Falschmeldungen und erleichtert den Antragstellern die Arbeit. Davon wurde aber zum Bedauern der Landwirte noch nichts umgesetzt.
Dass die EU gerne wissen möchte, wofür sie die Fördermilliarden hergibt, kann die studierte Agraringenieurin schon nachvollziehen. Weniger Verständnis hat sie allerdings dafür, dass die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Programmen nicht immer besonders gut funktionieren. Die Ackerschlag-Kartei sei zwar mit dem Meldeportal „Enni“ inzwischen gut verknüpft. Flächendaten beispielsweise ließen sich aber nicht so einfach vom einen Programm in das andere, etwa für den Agrarantrag, ex- beziehungsweise importieren. Wäre da vielleicht ein einheitliches Programm sinnvoll? „Landwirte wollen nicht das eine staatliche Programm für alles“, erklärt Christine Heins. Das Misstrauen gegenüber dem Staat, der da tiefe Einblicke in die privaten Betriebe gewinnt, ist weit verbreitet. Sinnvoller wäre es aus Sicht der Landwirte eher, wenn die Informationen gebündelt erfasst und dann je nach Bedarf weitergegeben werden – an Bewilligungsstellen und Berufsgenossenschaften zum Beispiel.
Infolge der Bauernproteste aus dem Winter 2023/24 hat das Landvolk Niedersachsen einen umfangreichen Forderungskatalog an die Landesregierung übergeben. Der Landesbauernverband reagierte mit diesem Schritt auf den Wunsch des Ministerpräsidenten, ihm konkrete Ansatzpunkte zu nennen, an denen bürokratische Lasten abgebaut werden können. Darin raten die Landwirte etwa dazu, die tages- und schlaggenaue Meldung von Düngegaben und Weideauftrieb aus der Landesmeldepflichtverordnung zu streichen. Der Aufwand sei außerordentlich hoch und der Erkenntnisgewinn gering. Auch Christine Heins beschreibt dieses Problem und fragt: „Muss das wirklich so detailliert sein oder reicht es, wenn es am Ende im Schnitt über alle Kulturen passt?“ Zudem verweist das Landvolk auf mehrere Doppelregelungen, beispielsweise in der Landesbauordnung. Vorgaben zum Nachweis von bestimmten Lagerflächen oder Behältern würden sich bereits aus anderen Rechtsverordnungen wie beispielsweise zum Wasserrecht ergeben und könnte daher entfallen.
Es ist allerdings nicht immer der Staat, der die Landwirte mit hohen bürokratischen Anforderungen belastet. Wie Christine Heins im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick berichtet, klagen viele Landwirte über die Maßgaben des QS-Prüfsystems für die Qualitätssicherung in der Lebensmittelsicherheit. „Ohne QS-Zertifikat kommt kein Schweinefleisch und keine Milch in den Handel“, erklärt sie. Dazu müssen jährliche Audits durchgeführt werden, bei denen zum Teil „alberne Fragen“ gestellt würden – beispielsweise ob die Felder mit unbehandeltem Abwasser gesprengt werden oder wie der Papiermüll auf dem Hof gelagert wird. Der Nutzen des QS-Fragenkatalogs werde von den Landwirten infrage gestellt, berichtet Heins.
Am Ende geht es beim Ringen um Kontroll- und Nachweispflichten doch um die Grundsatzfrage: Vertraut man dem anderen noch oder muss alles bis ins letzte Detail überprüft werden? Christine Heins wirbt dafür, sich künftig stärker auf Zieldefinitionen zu verständigen. Wenn das Ergebnis stimmt, sollte jedem Betrieb überlassen bleiben, wie der Weg dahin ausgestaltet wird.