Meister, Gesellen und Lehrlinge werden verzweifelt gesucht: Seit acht Jahren gibt es in Deutschland im Handwerk mehr offene Stellen als arbeitslose Fachkräfte zum Besetzen dieser Jobs – und die Schere geht immer weiter auseinander. Die Fachkräftelücke erreichte 2022 einen Rekordwert, außerdem konnte jede sechste Auszubildenden-Stelle nicht besetzt werden.

Eine neue Studie vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat nun erforscht, warum sich immer weniger junge Menschen für eine Handwerkerausbildung entscheiden. Laut der Untersuchung genießt das Handwerk bei Jugendlichen zwar ein gutes Ansehen, weil die Tätigkeit sinnhaft ist und konkret etwas schafft, worauf man stolz sein kann. Zudem bescheinigen die jungen Leute dem Handwerk eine „hohe Wirksamkeit“, weil Kunden konkret geholfen wird und ihre Lebensqualität erhöht wird.
Doch obwohl sich jeder Dritte eine Karriere im Handwerk vorstellen kann, ist tatsächlich nur jeder Zehnte dort tätig. Laut Studienleiter Hilmar Klink liegt das unter anderem daran, dass Jugendliche bei der Berufswahl pragmatischer sind als gedacht. „Die jungen Leute sagen: Zunächst ist mir besonders wichtig, dass ich ein gutes Einkommen habe“, berichtet der IW-Forscher. Auch Jobsicherheit, Work-Life-Balance und flexible Arbeitszeiten stünden bei den Befragten im Alter von 16 bis 25 Jahren hoch im Kurs. „Was weniger wichtig ist – und das hat uns an der Stelle tatsächlich überrascht – das sind die soziale Anerkennung und die Selbstverwirklichung.“
Im Baugewerbe, das im Fokus der Studie steht, beträgt der Medianlohn eines Gesellen 3100 Euro brutto, Meister verdienen durchschnittlich ein Drittel mehr. Für die befragten Jugendlichen ist das offensichtlich zu wenig, zumal es aus ihrer Sicht im Handwerk auch schlechtere Karrieremöglichkeiten gibt als etwa in Industriebetrieben. Immerhin: Die meisten Handwerksfirmen haben verstanden, dass ein „gutes“ Gehalt ganz oben auf der Wunschliste der jungen Menschen steht.
88,2 Prozent der Betriebe halten die Vergütung für den wichtigsten Hebel zur Attraktivitätssteigerung des Handwerks, den die Unternehmen selbst in der Hand haben. Luft nach oben sehen sie etwa bei der branchenüblichen Vergütung, bei Gehaltssteigerungen je nach Erfahrung und Verantwortung sowie bei finanziellen Sonderleistungen (etwa Urlaubsgeld). Nachbessern müssen die Handwerksbetriebe laut Selbsteinschätzung zudem bei der Betriebskultur und Führung, bei den Arbeitsbedingungen und bei den Karriereoptionen. Insbesondere die innerbetriebliche Weiterbildung gilt in vielen Betrieben als Problemfeld, akademische Weiterbildung findet häufig überhaupt nicht statt.
„In der öffentlichen Diskussion wird immer ein bisschen kolportiert: Junge Leute möchten nicht ins Handwerk gehen, weil die duale Ausbildung nicht attraktiv ist. Das zeigt unsere Studie definitiv nicht“, sagt Klink (Foto). Die Erwartungen der Jugendlichen an das Handwerk sind jedoch in fast allen Bereichen schlechter als die Selbsteinschätzung der Betriebe. So geben etwa 91 Prozent der befragten Unternehmen an, dass ihr Betrieb sich durch Arbeitsplatzsicherheit hervortut. Unter den jungen Leuten verbinden aber nur 70 Prozent das Handwerk mit sicheren Jobs.

Große Lücken zwischen Erwartung und Realität klaffen auch in den Punkten Vertrauen, Teamwork und Problemlösung. Relativ gering ist zudem das Vertrauen der Jugendlichen darin, dass Frauen und Männer im Handwerk gleich viel verdienen, obwohl das laut den Betrieben in den allermeisten Fällen zutrifft. „Die teils große Diskrepanz zwischen den Vorstellungen junger Menschen und der beruflichen Realität aus Sicht der Betriebe deutet darauf hin, dass oftmals berufspraktische Einsichten in das Handwerk fehlen und die Arbeitsrealität nur wenigen jungen Menschen ausreichend bekannt ist“, folgern die IW-Forscher. Aus ihrer Sicht sollten die jungen Leute bessere Einblicke in den beruflichen Alltag im Handwerk erhalten – zum Beispiel durch Praktika, „Tage der offenen Tür“ oder „Meet&Greet“-Veranstaltungen mit Handwerkern.
Von der Politik und den Verbänden erwarten die Handwerksbetriebe bessere Rahmenbedingungen. Genannt werden hier der Abbau von Bürokratie, steuerliche Entlastungen, Vergünstigungen für Auszubildende analog zu denen für Studenten sowie mehr Förderung von Selbstständigkeit. „Wir müssen dem Handwerk wieder mehr Aufmerksamkeit geben und eine Willkommenskultur für Handwerker etablieren“, sagt Horst Becker, der die IW-Studie in Auftrag gegeben hat. Becker ist Inhaber und Geschäftsführer von Isotec, einem Spezialunternehmen für die Bekämpfung von Schimmel und Feuchtigkeitsschäden, das bundesweit tätig ist und auch in Niedersachsen mehrere Niederlassungen hat.
„Das Handwerk wird zunehmend unattraktiv für Gründungswillige“, ergänzt Klink. Kritik äußert er am Meister-Bafög, das oftmals mit zu großem Zeitverzug ausgezahlt wird, und an den bürokratischen Hürden für Betriebsgründungen und -übernahmen. Als problematisch nennen die Studienautoren auch die fehlende Finanzierungsbereitschaft der Banken bei Betriebsübernahmen sowie die Ausgestaltung der Meisterausbildung. Sie müsse „insgesamt moderner, praxisnäher und somit attraktiver gestaltet werden“, sowie viel stärker auf die Anforderungen eines Unternehmers vorbereiten.