
Mit der Amtsübernahme von Olaf Lies hat sich die SPD den Ministerpräsidentenbonus für die Landtagswahl 2027 gesichert – jetzt will die CDU darauf antworten. Am Freitag hat Landeschef Sebastian Lechner in Oyten (Landkreis Verden) den Startschuss für den sogenannten "Niedersachsenplan" gegeben. „Wir wollen uns mutig Gedanken machen, Strukturen infrage stellen und zehn bis zwölf Ideen entwickeln, die in Niedersachsen wirklich einen Unterschied machen“, erklärte Lechner. Landesweit sind dazu sechs Workshops zu den Themenfeldern Wirtschaft, Soziales, Recht, Bildung, Landwirtschaft und Verwaltung geplant. Die Ergebnisse sollen die Grundlage für das Wahlprogramm zur Landtagswahl 2027 bilden, aber auch schon in die Kommunalwahl 2026 einfließen. „Der Weg in die Staatskanzlei führt über die Rathäuser und die Kreishäuser“, betonte CDU-Generalsekretär Marco Mohrmann.
In Oyten stand das Thema Wirtschaft im Mittelpunkt – und Lechner nutzte den Auftakt, um die Marschrichtung vorzugeben. „Wir müssen dieses Land zu einer echten Wohlstandsregion entwickeln“, erklärte Lechner. Niedersachsen dürfe sich nicht länger mit Mittelmaß zufriedengeben. „Bayern und Baden-Württemberg müssen unseren Atem im Nacken spüren, wenn wir sie überholen.“ Das Land müsse seine Stärken wie Windkraft, Seehäfen und Wasserstoffkavernen konsequenter ausspielen. Es gehe dabei nicht nur um Wettbewerbsfähigkeit, sondern um ein grundlegend anderes Verständnis von Landespolitik. „Dahinter steht ein Geist und eine Grundidee: Den Menschen, Unternehmen, Kommunen vor Ort mehr Verantwortung, mehr Zutrauen, mehr Entscheidungsspielraum geben.“ Die derzeitige Landesregierung verkörpere das Gegenteil. „Das ist eine Grundhaltung, die in dieser Landesregierung nicht vorliegt.“ Lechner will Gestaltungshoheit abgeben, Bürokratie abbauen und Entscheidungswege verkürzen. Die bisherige Förderpraxis ist ihm dabei ein Dorn im Auge: „Mit der ,Förderaristokratie' muss Schluss sein. Wir wollen das Geld lieber direkt den Kommunen geben.“ Auch die landeseigene N-Bank sieht er kritisch: „Die N-Bank macht vieles richtig, aber sie ist eine Behörde. Uns schwebt vor, dass wir eine Wirtschaftsentwicklungsbank bekommen.“ Eine „Vollbank“ könne die wirtschaftliche Entwicklung des Landes aktiv vorantreiben, indem sie auch mal ein Risiko eingehe. Lechner plädierte zudem für ein neues Verhältnis des Landes zur Bundeswehr, eine schnellere Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse, die Öffnung von Berufsschulen für Weiterbildungsangebote und mehr unternehmerisches Denken an Hochschulen. „In Stanford dürfen sich sowohl die Professoren als auch die Universitäten an Startups beteiligen.“ Einen besonderen Schwerpunkt setzte Lechner beim ländlichen Raum: „Es muss klar sein, dass die Menschen im ländlichen Raum den gleichen Anspruch auf Infrastruktur haben wie die im städtischen. Ich will, dass die CDU die Partei des ländlichen Raumes ist.“

Einen selbstbewussteren Kurs für das Land forderte auch Alexander Becker, CEO der Georgsmarienhütte-Gruppe. Niedersachsen müsse den Blick stärker auf seine eigenen Stärken richten. „Nehmen Sie das Thema Wirtschaftswachstum mal wieder in den Fokus“, ermutigte der Chef des Stahlkonzerns die Christdemokraten. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes liege bei rund 380 Milliarden Euro – mehr als das von Hongkong oder Südafrika. „Im internationalen Vergleich wäre Niedersachsen die vierziggrößte Volkswirtschaft. In Deutschland sind wir aber nur irgendein Bundesland“, stellte Becker fest. Das wirtschaftliche Potenzial des Landes sehe er sogar bei einem BIP von 450 Milliarden Euro. Mit einem Kuschelkurs komme das Land allerdings nicht an die Spitze. „Wir sind total hörig geworden in Richtung Berlin“, kritisierte Becker und forderte in der öffentlichen Debatte ein bisschen mehr „Niedersachsen first“. „Mein Wunsch wäre, dass wir deutlich selbstbewusster werden. Wir können mehr als wir zeigen.“
Der Zwickauer Wirtschaftsprofessor Stefan Kolev warb für mehr politischen Streit in der Mitte. „Die CDU läuft Gefahr, zerrieben zu werden, wenn sie keine überzeugende Kommunikation betreibt“, warnte der Ökonom, der 1999 aus Bulgarien nach Deutschland kam – und heute wie damals eine „depressive“ Grundstimmung wahrnimmt. Doch heute werde die Debatte nur noch zwischen Mitte und Rand geführt, „und diese Debatte kann nur der Rand gewinnen“. Deshalb brauche es klare Positionen. „Der Kompromiss ist das Ende eines Prozesses. Am Anfang muss eine Position stehen, die die CDU unterscheidbar macht.“ Streit gehöre zur Demokratie, „wir müssen bloß imstande sein, ihn nicht jeden Tag in der Zeitung auszutragen – und wenn es eine Einigung gegeben hat, dann auch dahinterstehen“. Kolev warnte zugleich vor wirtschaftlicher Selbstzufriedenheit. Deutschland dürfe nicht zum „Wohlstandsmuseum“ werden, das marktunfähige Großkonzerne erhalte und so die Gründung neuer, innovativer Unternehmen verhindere. „Wie schaffen wir eine Wirtschaftspolitik, die den Menschen in Gifhorn, Hannover oder Lüneburg erlaubt, neue Firmen zu gründen?“ Dazu brauche es verlässliche Rahmenbedingungen, „damit auch der kleine Mikrounternehmer in Oyten imstande ist, die Krise hinter sich zu bringen und für die nächste Krise gefasster zu sein“. Die Uhr tickt. „Wir haben eine sehr kurze Zeit für die ordnungspolitische Erneuerung – bis zur nächsten Finanzkrise.“ Würde sie heute eintreten, so Kolevs Fazit, „wären wir ziemlich nackig“.