11. Feb. 2020 · Inneres

Warum es verheerend ist, die AfD pauschal als „Faschisten“ oder „Nazis“ zu bezeichnen

Seit der Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum neuen Thüringer Ministerpräsidenten in der vergangenen Woche erlebt ein Begriff in der politischen Debatte eine wahre Hochkonjunktur: Die „Faschisten“ sind auf einmal wieder da. Zwar war vorher hin und wieder auch dieses Wort zu hören, sobald über die AfD gesprochen wurde – doch seit dem 5. Februar häuft sich das auffällig. Überraschend war Kemmerich zum Regierungschef gewählt worden, mit den Stimmen von AfD, CDU und FDP. Der AfD wurde auf einmal eine gestaltende Rolle eingeräumt. Daraufhin hagelte es verbale Attacken: „Historischer Bruch in Thüringen: Mit den Faschisten gemeinsame Sache gemacht“, stand über einem Kommentar der „Frankfurter Rundschau“. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) erklärte, AfD-Landeschef Björn Höcke dürfe „ein Faschist genannt werden“, und die Grünen-Fraktionschefin im Landtag, Anja Piel, teilte mit: „Nicht SPD und Grüne sind verantwortlich dafür, dass CDU und FDP die faschistische AfD Thüringen ins Boot lassen.“ Demonstranten, die gegen Kemmerichs Wahl auf die Straße gingen, bekannten auf ihren Transparenten: „Faschisten sind niemals Partner!“
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Nun fällt auf: War die AfD in den Augen ihrer politischen Gegner bisher vor allem „rechtspopulistisch“, teilweise auch „rechtsradikal“, so wird jetzt der Begriff „faschistisch“ auf einmal zur gängigen Vokabel. Damit nicht genug, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet bezeichnete Höcke gar als einen „Nazi“ und fügte hinzu: „Der lehnt alles ab, was unsere freiheitliche Grundordnung ist.“ Was löst dieser neue Verbalradikalismus aus? Wenn das, was die AfD in Thüringen getan hat, schon faschistisch ist – wie könnte man dann eine Steigerung dessen bezeichnen, etwa wenn politische Gruppen sich als Straßenschläger betätigen, wenn gewählte Politiker die Demokratie aushöhlen, ihre Gegner verfolgen, verhaften und einsperren lassen, wenn die Demokratie also ernsthaft in Gefahr gerät? Was wäre die Steigerung von „Faschist“ oder „Nazi“? Sie ist kaum vorstellbar, deshalb berauben sich alle, die jetzt verbal übertreiben, ihrer eigenen Beurteilungsfähigkeit bei einer – hoffentlich nie eintretenden – weiteren politischen Eskalation. Schlimmer geht es eben nicht mehr.

Wenn das, was die AfD in Thüringen getan hat, schon faschistisch ist – wie könnte man dann eine Steigerung dessen bezeichnen?


Aber ist der Faschismus-Vorwurf an die AfD nicht berechtigt? Das ist aus zwei Gründen schwer zu beantworten. Erstens sind die Wissenschaftler uneinig darüber, was genau mit Faschismus gemeint ist. Zweitens müssten zu allererst Programme und Politik der AfD beleuchtet werden. Dort kann man Passagen finden, die kritisch zur Zuwanderung stehen oder die demokratischen Prozesse in Frage stellen, aber als „faschistisch“ dürfte man das kaum ernsthaft bezeichnen können. Immer wieder wird ein Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen von Ende September 2019 zitiert, in dem Demonstranten erfolgreich gegen eine Auflage der Stadt Eisenach angingen, die ihnen die Bezeichnung „Faschist“ für Höcke untersagen wollte. Nach Ansicht des Gerichts ist diese Betitelung ein „Werturteil“, das im politischen Meinungskampf hinzunehmen ist. Die Richter sehen nicht die Diffamierung der Person Höcke im Vordergrund, sondern „die Auseinandersetzung in der Sache“. Sie halten die Position der Demonstranten auch deshalb für berechtigt, weil sie ihre Haltung begründet hätten – mit Zitaten aus einem Buch Höckes von 2018, in dem dieser faschistische Positionen vertreten habe. Eine Bewertung dieser Aussagen selbst enthielt sich das Gericht jedoch.

Man kann Höcke völkisch nennen, in Teilen auch rassistisch. Aber ob „faschistisch“ der angemessene Begriff ist, muss doch bezweifelt werden.


Nun kann man gegen das Urteil der Meininger Verwaltungsrichter einiges einwenden. Das soll hier nicht geschehen. Berechtigt ist auch die Frage, ob man die Positionen von Höcke tatsächlich faschistisch nennen kann – wenn man unterstellt, dass damit Grundzüge der Bewegungen von Benito Mussolini in Italien und Adolf Hitler in Deutschland gemeint sind. Zu nennen sind übersteigerter Nationalismus, Ablösung der Demokratie durch einen starken Führer, Neigung zu theatralischen Auftritten und Militarisierung der Gesellschaft. In dem Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“ finden sich merkwürdige Aussagen des Thüringer AfD-Chefs. Sie lassen Höcke als jemanden erscheinen, der sich auf Machiavellis Klassiker „Il Principe“ stützt und tatsächlich die Vision eines starken Führers vertritt, der eine sterbende Demokratie ablöst. Das geschieht auf theoretischer Basis, ohne konkrete Ankündigung. Andere Aussagen, die sich gegen Migranten richten und die Gefahr eines „Bevölkerungsaustausches“ beschreiben, wecken Assoziationen an die NS-Rassepolitik – beruht doch diese fremdenfeindliche Komponente eher auf dem Nationalsozialismus als auf dem (italienischen) Faschismus, zumindest dem der Frühzeit. Immerhin sind in den Äußerungen von Höcke genügend Ansatzpunkte vorhanden, die ihn als jemanden kennzeichnen, der das politische System aus innerer Überzeugung ablehnt und die Zuwanderung verhindern möchte. Man kann ihn völkisch nennen, in Teilen auch rassistisch. Aber ob „faschistisch“ der angemessene Begriff ist, muss doch bezweifelt werden. https://twitter.com/Afelia/status/1226855487934693376 Warum aber gefallen sich so viele politische Gruppen darin, ausgerechnet den „Faschismus“ an die AfD zu adressieren? Womöglich liegt es am Gegenbegriff, dem „Antifaschismus“, der seit vielen Jahren gern genutzt wird, im Lager der Linken, das gilt auch für Teile der SPD und der Grünen, eine wahre Welle der Solidarisierung und Verbrüderung auszulösen. Man steht zusammen gegen den schlimmsten aller Feinde. https://twitter.com/Anja_Piel/status/1225667859205869573 Im Fraktionsvorstand der niedersächsischen Grünen gibt es eine Sprecherin für Antifaschismus, und gleich nach der Wahl von Kemmerich luden mehrere Organisationen zu einer „Kundgebung für Demokratie“ in der hannoverschen Innenstadt auf. Der letzte Satz des Aufrufes lautete: „Unsere Demokratie braucht heute wie nie zu vor den Aufstand der Anständigen.“ Die Grünen-Fraktionschefin Anja Piel twitterte in jenen Tagen: „Es gibt keine Mitte zwischen Faschismus und Antifaschismus.“ Das klingt ganz nach: Schwarz oder Weiß, Gut oder Böse. (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #028.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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