21. März 2024 · 
Kommunales

Warum die Straßenausbaubeiträge die Kommunalpolitiker in Wallung versetzen

Es gibt politische Themen, die über viele Jahre immer wieder ganz vorn auf der Agenda stehen – aus recht unterschiedlichen Gründen. Der Fall der Straßenausbaubeitragssatzungen, umgangssprachlich oft „Strabs“ genannt, gehört zu dieser Kategorie. Es gibt erbitterte Gegner, und diese sind auch auf lokaler Ebene effektiv organisiert – überall in Niedersachsen, ebenso aber in vielen anderen Ländern. Diejenigen, die sich für die Fortsetzung der jahrzehntealten Praxis einsetzen und den Kommunen weiterhin die Chance zu solchen Umlage-Verfahren geben wollen, geraten vor Ort sehr oft in die Defensive. Trotzdem ist es den „Strabs“-Gegnern bisher nicht gelungen, ein landesweites Verbot dieser Methoden durchzusetzen. Warum? Hier sei eine These gewagt: Das liegt daran, dass es eben nicht so einfach ist, die Frage der Gerechtigkeit mit einem klaren Ja oder Nein zu beantworten.

Unklare Lage: Muss der Anlieger, dessen Grundstück einen längeren Abschnitt zur Straße hat, mehr bezahlen als sein Nachbar, dessen Grundstück ganz anders geschnitten ist und der nur eine schmale Front zur Straße hat? | Foto: passengerz via Getty Images

Zunächst einmal zur Sache: Das Niedersächsische Kommunalabgabengesetz (NKAG) erlaubt es den Gemeinden, für den Ausbau und die Erneuerung von Anlagen Beiträge von den Anliegern zu erheben. Das wird meistens dann bedeutsam, wenn eine Straße, die vorwiegend von den Anliegern genutzt und nicht für den Durchgangsverkehr vorgesehen ist, ausgebaut oder mit einer neuen Straßendecke versehen werden soll. Dort, wo solche Beiträge erhoben werden, häufen sich oft jede Menge Probleme, die man als „Ungerechtigkeit“ bezeichnen kann. Muss der Anlieger, dessen Grundstück einen längeren Abschnitt zur Straße hat, mehr bezahlen als sein Nachbar, dessen Grundstück ganz anders geschnitten ist und der nur eine schmale Front zur Straße hat? Oder müsste man beide nicht gleich belasten, da der Nutzen, den sie von der Straße haben, bei dem einen nicht höher ist als bei dem anderen? Eine der Kernfragen, die ebenfalls am Thema der Gerechtigkeit rührt, setzt schon früher an: Wenn Anliegerstraßen auch für den Durchgangsverkehr zugelassen sind, und das trifft ja für die mit Abstand meisten dieser Straßen zu, kann es dann fair sein, für den Ausbau nur die Anlieger heranzuziehen? Müsste man dann nicht konsequenterweise zunächst ermitteln, wer alles diese Straße nutzt – und dann, wenn man schon die Nutzer besonders zur Kasse bitten will, allen Nutzern anteilig eine Rechnung stellen? Allein der erhebliche Verwaltungsaufwand, den eine solche Feststellung erfordern würde, spricht schon gegen dieses Modell. Dann wäre da noch die Frage, ab wann eine Straße eine reine Anliegerstraße ist. Welches Ausmaß an überörtlichem Verkehr ist nötig, um behaupten zu können, der Charakter der Straße habe sich gewandelt?

Diese Einwände sind es, die in vielen Kommunalparlamenten den Ausschlag geben dafür, in den kommunalen Satzungen auf die Möglichkeit von Straßenausbaubeiträgen zu verzichten. Man kann das aber wohl auch nur erklären in Verbindung mit dem Druck, der durch Betroffenen-Initiativen erzeugt wird – zumal es bereits mehrere landesweit agierende Gruppen gibt, die erfolgreich die lokalen Protestgruppen miteinander vernetzen und damit ihren Beitrag dazu leisten, die Vereine vor Ort argumentativ und mit Mitteln von Public Relations aufzurüsten. Gern wird dann der Fall eines Rentner-Ehepaars beschrieben, das über viele Jahre das Einfamilienhaus abgezahlt hat und sich auf einen Lebensabend ohne Schulden freut, während der Bescheid für den plötzlich fälligen Straßenausbau hereinflattert – mit einer Belastung von mehreren zehntausend Euro. Das sind dann soziale Härten, die die beschriebenen Grundfragen der Gerechtigkeit noch einmal zuspitzen und zur Emotionalisierung der Debatte beitragen. Übertragen auf die Landesebene lautet der Forderungskatalog dieser Initiativen dann, aus dem NKAG die Möglichkeit zu streichen, dass die Kommunen diese Kosten für den Ausbau von Straßen überhaupt auf die Anlieger verteilen dürfen. In mehreren Bundesländern ist dieser Weg schon beschritten worden. In Niedersachsen hatte die Große Koalition schon vor Jahren intensiv über das Für und Wider eines landesweiten Verbots von solchen Beiträgen diskutiert – und am Ende einen salomonischen Beschluss gefasst. Den Kommunen wurde eingeräumt, anstelle von einmaligen (und dann in der Regel sehr hohen) Beiträgen auch auf wiederkehrende Beiträge umsteuern zu können. Es geht um günstige Kreditfinanzierungen und die Chance, die Rückzahlung dann bis zu 25 Jahre lang strecken zu können – alles Schritte, mit denen besondere soziale Härten vermieden werden sollen.

Abschaffung der „Strabs“ war Wahlkampfthema

Im Landtagswahlkampf hatte sich die FDP vehement für die landesweite Abschaffung der Straßenausbaubeiträge eingesetzt. Als die Grünen auf ihrem Landesparteitag über ihr Programm abstimmten, wurde ein ähnlicher Antrag vorgetragen – der dann beim entscheidenden Parteitag genauso viele Ja- wie Nein-Stimmen mobilisierte. „Mit Stimmengleichheit abgelehnt“, lautete dann das Resultat. Dieser Vorgang zeigte, wie sehr dieses Thema die Politiker bewegt – vor allem jene, die in den Kommunen Verantwortung tragen und mit entsprechenden lokalen Gruppen konfrontiert sind. Der damalige CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann plädierte zunächst für die Abschaffung der Möglichkeit zur Erhebung solcher Beiträge – um dann aber, nachdem sich im Wahlprogramm eine vermittelnde Position durchgesetzt hatte, wieder zurückzurudern. In dieser Wahlperiode war es mehrfach die AfD, die vehement für die Abschaffung stritt. Die Resonanz blieb im Landtag sehr mager. Tatsache ist nun auch: Überall dort, wo auf die Chance zu Straßenausbaubeiträgen verzichtet wird, das betrifft laut einer NDR-Recherche mehr als die Hälfte aller niedersächsischen Kommunen, sind die dortigen Kämmerer zur Finanzierung von Straßenausbauten auf andere Schritte angewiesen – etwa auf die Erhöhung der Grundsteuer, die dann von den Vermietern auch auf die Mieter übertragen werden kann. Das heißt: Die Allgemeinheit kommt für die Kosten auf. Die Befürworter der Straßenausbaubeiträge weisen dann stets darauf hin, dass der Nutzen von ausgebauten und erneuerten Anliegerstraßen ja in jedem Fall bei dem Grundstückseigentümer liege – da er dann behaupten könne, der Wert seines Grundstücks habe sich durch den Ausbau gesteigert. Stimmt, entgegnen die „Strabs“-Gegner. Aber das stimme ja auch für die Anlieger von Straßen, deren Ausbau nicht auf die Anwohner umgelegt werde. Insofern bleibe es bei einer Ungerechtigkeit.

Man mag dieses Thema drehen und wenden, so oft man will. Es bleibt bei allen Lösungen, die man geht, ein unbefriedigendes Gefühl zurück. In Laatzen (Region Hannover) gab es einen Streit darüber, ob die Stadt auf die Beiträge verzichten kann, während die Kommunalaufsicht der Region von der Stadt fordert, alle Einnahmemöglichkeiten auszuschöpfen. Die Sache ging bis vor das Oberverwaltungsgericht, und die Stadt blieb am Ende bei ihrem Weg. Ein Votum mit Nebenwirkungen – in der Folge musste in Laatzen die Grundsteuer angehoben werden.

Dieser Artikel erschien am 22.3.2024 in Ausgabe #055.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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