3. Dez. 2020 · 
Wirtschaft

Warum die nächste Generation weniger Büros braucht

Schlechte Nachrichten für Anbieter von Büroimmobilien: Geht es nach der Unternehmensberaterin Leonie Müller, die in Berlin in diesem Jahr das „Zentrum für neue Arbeit“ gegründet hat, wird gerade die jüngere Generation weniger sesshaft sein und die Möglichkeiten des mobilen Arbeitens stärker für sich in Anspruch nehmen. Für Müller sind Orte lediglich Ressourcen, die man aktiv in die Arbeitswelt integrieren kann – und das muss nicht zwingend das Büro sein. „Wir müssen effizienter und effektiver arbeiten, und dabei kommt es überhaupt nicht darauf an, ob jemand bis 17 Uhr in einem Büro sitzt“, sagte Müller am Donnerstag auf der Digitalmesse Techtide in Hannover. Ein Grund für die nötigen Veränderungen sind für die Unternehmensberaterin auch die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, der Wechsel der Babyboomer-Generation in die Rente führe zu einem großen Fachkräftemangel, es gebe über sechs Millionen Erwerbstätige weniger.
Büros sterben nicht aus, es wird immer Menschen geben, die den Raum und den Austausch dort nutzen wollen.
Über Leonie Müller war vor einigen Jahren weltweit berichtet worden, weil sie ihr Leben als „digitale Nomadin“ in die Züge der Deutschen Bahn verlegt hatte. Sie zog aus ihrer Wohnung aus, kaufte sich eine Bahncard 100 und war ständig unterwegs. Müller beschrieb, wie sie sich im Zug die Haare wusch oder eine Pizza ans Bahngleis bestellte. Sie zeigte sich überzeugt, dass man flexible Arbeitsformen schaffen müssen, gab aber auch Entwarnung: „Büros sterben nicht aus, es wird immer Menschen geben, die den Raum und den Austausch dort nutzen wollen.“

Raum nicht mehr physisch sehen

Max Senges, Geschäftsführer von Wolfsburg 42, einer gemeinnützigen Programmierschule für alle, an der es keine Professoren gibt, sagte, man müsse den Raum nicht mehr physisch sehen, sondern als Denkraum, in dem man zusammenkomme. „Bei uns geht es um einen Raum zum Lernen, der 24 Stunden am Tag geöffnet ist.“ Man wollen den Studenten ein Gefühl der Selbstbestimmtheit vermitteln, das für diese Zeit prägend sei.  Jeder könne heute sein eigenes Lebenskonzept haben. „Man kann eben auch in Brasilien am Strand sitzen und nur an einem Tag in der Woche programmieren“, erklärte Senges.
Auch wir brauchen multiprofessionelle Teams, und wir müssen ortsunabhängiger zusammenarbeiten können.
Die Veränderungen betreffen auch die Verwaltung,  berichtete Dennis Weilmann, Wirtschaftsdezernent der Stadt Wolfsburg. „Auch wir brauchen multiprofessionelle Teams, und wir müssen ortsunabhängiger zusammenarbeiten können.“ Die Corona-Krise habe in der digitalen Arbeit einen großen Schub gebracht. Mehr als die Hälfte der Stadtverwaltung könne inzwischen mobil arbeiten. „Jetzt ist es eine Selbstverständlichkeit, aber ohne Corona hätten wir das so nicht geschafft. Wir hätten viele, viele Schleifen drehen müssen“, sagte Weilmann. Auch für Unternehmen ist der Prozess der Digitalisierung und die Folgen für die Zusammenarbeit eine große Herausforderung.
Wir haben als Menschen als Arbeitnehmer gewonnen, die davon gehört hatten, was wir machen und wieder in ihre Heimat zurückwollten.
Olaf Weddermann, Prokurist der Reederei Norden-Frisia, erklärte auf der Messe, man sei zu Beginn mit der Brechstange vorgegangen und habe die Mitarbeiter „einfach mal machen lassen“. Die Reederei habe Fehler zugelassen und viele positive Erfahrungen gemacht. „Wir haben als Menschen als Arbeitnehmer gewonnen, die davon gehört hatten, was wir machen und wieder in ihre Heimat zurückwollten.“ Und Weddermann beschrieb auch überraschende Momente. Einmal habe ein Schiffsmechaniker vor ihm gestanden und gesagt: „Ihr baut eine Buchungsplattform, ich möchte gerne mitmachen.“ Der Mitarbeiter habe sich privat mit dem Programmieren beschäftigt. Als Geschäftsleitung habe man lernen müssen, loszulassen. „Wir müssen lernen, loszulassen und nur noch Sparringspartner sein.“

Angst vor Veränderung nehmen

Ein wichtiger Bestandteil der Techtide war, die Angst vor den Veränderungen zu nehmen. Das gilt auch für die Sorge vor der Entwicklung der künstlichen Intelligenz. Man müsse alles dafür tun, die Entwicklung künstlicher Intelligenz zu einem echten Wettbewerbsvorteil zu machen, die im Dienst unseres Wohlstands und unserer Lebensqualität steht, sagte Wirtschaftsminister Bernd Althusmann. Die nötigen Fortschritte, zum Beispiel bei Mobilität, Klimaschutz oder Steuerung der Energieversorgung, seien ohne künstliche Intelligenz nicht denkbar und machbar. Althusmann zeigte sich überzeugt: „Wir werden einmal das Jahr 2020 als die entscheidende Wende in Richtung Digitalisierung begreifen.“ Philipp Becker, Geschäftsführer des Unternehmens Vision Lasertechnik, sieht die negativen Ansicht über künstliche Intelligenz als Problem. Er verwies auf eine Umfrage des Verbands Bitkom, nach der fast die Hälfte große Gefahren im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz sehen und rund zwei Drittel Sorge vor Arbeitsplatzverlusten hat.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #219.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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