Warum die Fesseln der Landesgeschichte den Politikern manchmal das Leben schwer machen
Darum geht es: Manche große Aufgabe, die sich die niedersächsische Landesregierung vornimmt, scheitert im Klein-Klein an rechtlichen Hindernissen. Auch aktuell gibt es dafür Beispiele, die mit der überlieferten Landesgeschichte zusammenhängen. Die Reform der Nord/LB etwa stößt auf historisch bedingte Komplikationen. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum.
Es kommt hin und wieder vor, dass sich niedersächsische Minister, solche für Finanzen besonders, an fürchterlich verwinkelten Rechtsfragen die Zähne ausbeißen. Da liegen einige Lösungen scheinbar nah – und sind dann doch, wegen der juristischen Verästelungen, unendlich schwer erreichbar. Oder eben gar nicht erreichbar. Vor acht Jahren überlegte der damalige Finanzminister Hartmut Möllring, ob man die verschiedenen öffentlichen Versicherungen in Hannover, Braunschweig, Oldenburg und Ostfriesland unter einem Dach vereinigen könne. Dies müsste, so damals seine Überlegung, bei der Veräußerung bestimmter Anteile zu kräftigen Einnahmen in den Landeshaushalt führen. Diese Einnahme war damals dringend gewünscht, denn anders als heute waren Haushaltspläne geprägt vom Druck, Ausgaben zu kürzen und zusätzliche Geldquellen zu erschließen.
Jahrelang lief die Diskussion, Gutachten wurden angefertigt – und am Ende dann war klar: So, wie Möllring sich das gewünscht hatte, war das nicht machbar. Die Versicherungsgruppe Hannover (VGH), vor gut 60 Jahren vereinigt aus der Landschaftlichen Brandkasse und verschiedenen Provinzial-Versicherungen, die im alten Königreich Hannover entstanden waren, fußen auf ganz alten Besitztümern. Die Stände waren einst die Eigentümer, sechs historische Landschaften sind bis heute Träger der Brandkasse, die wiederum ganz eng mit der VGH verwoben ist. Bei den anderen öffentlichen Versicherungen in Braunschweig, Oldenburg und Ostfriesland ist es nicht viel anders, ihre Selbstständigkeit ist ein über Jahrhunderte überliefertes Gut. Als Möllring die Idee der Fusion präsentierte, weckte das gleich Widerstandsgeister, die bis heute wirksame Argumente vortrugen: Das Land könne hier gar nichts neu ordnen, denn es sind alte Rechte aus vergangenen Jahrhunderten berührt, die eine Verfügbarkeit der aktuellen Politik einschränken.
Die öffentlichen Versicherungen sind ein Beispiel, die Klosterkammer ist ein anderes. So scheiterte in der vergangenen Wahlperiode der aus der damaligen rot-grünen Koalition laut gewordene Wunsch, stärkeren Parlamentseinfluss auf diese Institution auszuüben, die seit 200 Jahren (sehr erfolgreich) das Vermögen des Allgemeinen Hannoverschen Klosterfonds und anderer Fonds verwaltet. Es geht um säkularisierten Kirchenbesitz, der einem besonderen wohltätigen Zweck gewidmet ist. Der Vorstoß aus dem Landtag verpuffte wirkungslos, ebenso wie etliche ähnlich ausgerichtete Initiativen aus den Vorjahren.
Zwar ist die Argumentation in jedem Einzelfall spezifisch, aber die Kernbotschaft bleibt ähnlich: Immer dann, wenn überlieferte alte Rechte tangiert werden, sind die Handlungsspielräume der Politik begrenzt, weil jeder Eingriff einen langwierigen Rechtsstreit auslösen dürfte, bei dem die Inhaber der alten Rechte keine schlechten Karten haben. Bei der Nord/LB kann es jetzt wieder so sein, denn hier ist eine sehr alte Einrichtung aus Braunschweig angesprochen, die „Braunschweigische Staatsbank“, die 1765 gegründet wurde und spätestens ab 1834 auch formell eine „Landessparkasse“ war – also keine kommunale, sondern vom alten Land Braunschweig betriebene Einrichtung. Als 1970 die Nord/LB aus der Niedersächsischen Landesbank Girozentrale, der Braunschweigische Staatsbank, der Hannoverschen Landeskreditanstalt und anderen geformt wurde, waren es die Braunschweiger, die auf eine Absicherung der überlieferten Braunschweiger Rechte pochten. Sie taten das mit den gleichen Argumenten wie im Fall von VGH und Klosterkammer. Man mag das für undemokratisch halten, da das Festhalten an überlieferten Rechten den Freiraum des Souveräns, des Landtags als Volksvertretung, erheblich einschränken. Aber alles Lamentieren nützt nichts: Das Gewicht dieser alten Rechte ist einfach zu stark, als dass sich die Politik darüber leichtfertig hinwegsetzen könnte.
Was heißt das für die Debatte über die Frage, ob privates Kapital die Nord/LB verstärken und die Landesbank damit resistenter für bevorstehende Stresstests der EU machen könnte? Was immer geplant ist, ein Herauslösen oder Herumschieben der „Braunschweigischen Landessparkasse“ aus der Nord/LB, etwa in Form einer Verselbstständigung oder Kommunalisierung, scheidet höchstwahrscheinlich aus. Weil diese Einrichtung nun als Teil der Nord/LB in jedem Fall fortbestehen dürfte, sind auch der Verfügungsgewalt möglicher neuer Miteigentümer der Nord/LB klare Grenzen gesetzt. Das macht die Antwort auf die wichtige Frage, was aus der Norddeutschen Landesbank werden kann, noch einmal komplizierter.
Mail an den Autor dieses KommentarsDieser Artikel erschien in Ausgabe #132.