Nach einer aufgewühlten Debatte vor wenigen Wochen im niedersächsischen Landtag lässt die CDU-Fraktion auch im zuständigen Kultusausschuss nicht mehr locker. Die Abgeordneten wollen wissen: Arbeitet die rot-grüne Landesregierung insgeheim an der Einführung einer „Einheitsschule“ in Niedersachsen? Für die CDU-Bildungspolitiker rund um Christian Fühner liegt diese Entwicklung auf der Hand: Zuerst das „Einheitscurriculum“, dann der „Einheitslehrer“ und zuletzt die „Einheitsschule“ – so in etwa klingt der von den Christdemokraten unterstellte Dreiklang in der Bildungspolitik.

Gemeint sind damit erstens Anpassungen am Lehrplan, die Niedersachsen aufgrund eines Beschlusses der Kultusministerkonferenz vornehmen muss, um die Vergleichbarkeit von Abschlüssen zu gewährleisten, zweitens die Vorbereitung der sogenannten Stufenlehrer-Ausbildung, der zufolge Lehramtsstudenten nicht mehr nach Schulformen, sondern nach Klassenstufen ausgebildet werden sollen – und letztlich drittens eine Bevorzugung der Gesamtschulen, die als „Stärkung“ bereits im Koalitionsvertrag angekündigt worden ist.
Obwohl Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) wiederholt betont hat, keine solche Schulstruktur-Debatte führen zu wollen, trauen die Christdemokraten dem vermeintlichen Frieden nicht. Offensichtlich befürchtet man, dass im Kultusressort in Vorbereitung der Schulgesetznovelle, die dem Vernehmen nach für 2026 geplant ist, verschiedene Schritte geprüft werden, die aus Sicht der CDU einer „Einheitsschule“ den Weg ebnen sollen.

Ende Mai nahmen die Mitglieder des Kultusausschusses dazu eine Unterrichtung durch die Landesregierung entgegen. Die Ausführungen halfen allerdings nicht dabei, die Befürchtungen der CDU-Politiker zu zerstreuen. Vielmehr meinten sie, in den mündlichen Antworten des Leiters des Gesamtschul-Referats, Tom Wedrins, Widersprüche zu den schriftlichen Antworten auf eine zuvor gestellte „kleine Anfrage“ zu erkennen.
Grundsätzliche Unstimmigkeiten gab es in der Auslegung der Frage, ab wann ein Ministerium einen Sachverhalt konkret „prüft“ – und mit welcher Intention. Während Wedrins ausführte, dass das Ministerium bestimmte Alternativen allein deshalb prüfe, weil es zu seinen Aufgaben gehöre, bestimmte Entwicklungen etwa in anderen Bundesländern im Blick zu behalten, unterstellen die CDU-Politiker, die Prüfungen würden konkreten Vorbereitungen dienen, über die man die Parlamentarier aber noch im Unklaren lassen wolle.
Fühner stellte deshalb für seine Fraktion einen Antrag auf Akteneinsicht in dieser Angelegenheit – ein durchaus ungewöhnlicher Schritt für das Kultus-Ressort. Die Vehemenz, mit der die CDU-Politiker hier vorgehen, lässt die Vermutung zu, dass sie konkreten Hinweisen aus dem Haus von Kultusministerin Hamburg nachgehen – oder aber das Thema unbedingt weiterdrehen wollen.

Doch was befürchten die CDU-Politiker eigentlich konkret? Hinter dem Schlagwort „Einheitsschule“ verbirgt sich die Vorstellung, die rot-grüne Koalition könnte einseitig die Gesamtschule fördern und bestimmte Regelungen in der Gestalt abändern, dass nicht nur Haupt- und Realschulen, sondern künftig womöglich auch Gymnasien allmählich aus der niedersächsischen Schullandschaft verschwinden. Im Kultusministerium wertet man es zwar als Ausweis eines „guten, weil vielfältigen“ Angebots, wenn Gesamtschulen neben Gymnasien existierten. Für das Konzept der Gesamtschule könnte es sich langfristig aber als Problem herausstellen, wenn die gute Durchmischung unterschiedlicher Schülertypen nicht mehr gelingen sollte. Deutlicher formuliert: Besuchen die leistungsstarken Schüler einer Stadt alle das Gymnasium, geht das Konzept der Gesamtschulen nicht mehr auf.

Die Stellschrauben, an denen Rot-Grün drehen müsste und die von den CDU-Politikern deshalb genau beobachtet werden, sind diese: Noch haben Eltern laut niedersächsischem Schulgesetz einen Rechtsanspruch darauf, dass ihr Kind eine bestimmte Schulform besuchen kann – bei der Wahl der Schule gilt der Elternwille. Die CDU befürchtet nun, Rot-Grün könnte diesen Anspruch einschränken und die Wahlfreiheit allein auf den angestrebten Schulabschluss beziehen. Das würde heißen: Den Eltern wird nur garantiert, dass ihr Kind den Weg zum Abitur einschlagen darf – nicht aber, dass es sein Abitur am Gymnasium machen kann, wenn es als Alternative auch eine IGS mit gymnasialem Zweig gäbe. Das Kultusministerium antwortete darauf aber konkret: „Eine derartige Änderung ist nicht beabsichtigt.“
In eine ähnliche Richtung geht die Befürchtung der CDU, das Kultusministerium verfolge das Ziel, die IGS als „vollständig ersetzende Schulform“ zu akzeptieren. Das wiederum würde bedeuten, dass einzelne Schulträger nicht mehr gezwungen wären, ein Gymnasium in der Umgebung vorzuhalten, sobald es stattdessen auch eine IGS gibt. Darauf antwortet der Gesamtschul-Referatsleiter mit einem Verweis auf die seit 2015 geltende Rechtslage, der zufolge eine solche Option nicht geboten sei. Auf Nachfrage führte er weiter aus, dass auch keine entsprechenden Wünsche von Schulträgern vorliegen würden.
Ferner blicken die CDU-Politiker skeptisch auf die Idee, das Sitzenbleiben im Sekundarbereich I abzuschaffen. Man befürchtet, dadurch würden die Gymnasien, an denen die Versetzung noch eine wichtige Rolle spielt, der IGS weiter angeglichen werden. Das Kultusministerium entgegnete, ein solcher Vorstoß werde nicht geprüft – räumte in der Sitzung des Kultusausschusses aber ein, dass man durchaus schaue, was in anderen Bundesländern passiere, und diese Erfahrungen in die fachliche Bewertung einfließen lasse. Passiert da also doch etwas?
Die Koalitionsfraktionen halten das Agieren der CDU schlicht für Panikmache. Aus Sicht des SPD-Kultuspolitikers Thore Güldner ist nach der Plenardebatte und der schriftlichen Beantwortung auch in der Ausschuss-Unterrichtung ganz klar geworden, dass „wir keine Abschaffung von Schulformen wollen“. Fühner traut dem Ganzen derweil noch immer nicht und befürchtet, der Verweis auf die geltende Rechtslage verschleiere bloß, dass das Recht bald geändert werden könnte: „Wir alle wissen, dass eine Schulgesetznovelle kommt. Wir alle wissen, dass die Reform ansteht. Die Curricula werden überarbeitet. Die Lehrerausbildung wird überarbeitet.“ Wichtig sei der CDU als Oppositionsfraktion, „vollständige Transparenz“ darüber zu haben, in welche Richtung sich die Schulstruktur entwickelt. Nach den Sommerferien wolle man daher mehr erfahren.
Der Streit dürfte folglich weitergehen.
