27. Apr. 2020 · 
Inneres

Warum das Verbot von „NS-Kennzeichen“ für den Landtag gefährlich werden könnte

Die guten Absichten der Antragsteller, SPD und CDU, sind so unbestritten, dass die Opposition nichts dagegen sagen dürfte. Damit ist der Drucksache Nummer 18/6166 im Landtag wohl in einigen Wochen eine breite Mehrheit sicher. Mit dieser Entschließung soll das Parlament die Regierung auffordern, bestimmte Autokennzeichen zu verbieten – nämlich solche, die Assoziationen an die Herrschaft der Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945 wecken könnten. [caption id="attachment_49788" align="alignnone" width="780"] Und jetzt auch noch Auto-Kennzeichen: Verbote der Landesregierung fallen negativ auf - Foto: GettyImages/diephosi[/caption] Die Kombinationen KZ, SA, HJ, SS und NS sind bereits untersagt, und nach dem Willen der Koalition in Niedersachsen soll das Verbot noch ausgeweitet werden. „HH 88“ oder „AH 18“ sollen künftig auch unterbunden werden. Damit könnte ja „Heil Hitler“ gemeint sein, bezugnehmend auf die Reihenfolge des H im Alphabet, oder auch „Adolf Hitler“ entsprechend. Die Kraftfahrzeugzulassungsstellen sollen außerdem angewiesen werden, bei einem Besitzerwechsel die Änderung eines Kennzeichens vorzunehmen, wenn sich daraus eine anrüchige Buchstaben- und Zahlenkombination ergibt.

In der Corona-Zeit fallen weitere Verbote negativ auf

Die Überschrift des Antrags führt zur Motivation: „Keine NS-Propaganda auf unseren Straßen“, heißt es da, ergänzt mit der Aufforderung „Sittenwidrige Kfz-Kennzeichen verbieten!“ Das Ausrufungszeichen hinter „verbieten“ symbolisiert den starken, handlungsfähigen Staat. Interessant ist noch das Datum des Antrags, der 25. März 2020. Das war tatsächlich zu einem Zeitpunkt, der mitten in die Startphase des Corona-Krisenmanagements fällt. Manches spricht also dafür, dass hier die Strategen der beiden großen Fraktionen nicht gut genug aufgepasst haben. https://www.youtube.com/watch?v=kpZgKcuhuOE Denn natürlich wird jedes Verbot, das die Landesregierung verhängt, heute anders diskutiert als noch vor zwei Monaten. Damals, in der Vor-Corona-Welt, wäre das wohl gar nicht weiter aufgefallen, denn es gab nur wenige überraschende neue staatliche Verbote, der politische Betrieb war daran gewöhnt, lediglich in kleinen Details nachzusteuern und zu verbessern. Außerdem war es üblich, mit derartigen Anträgen die eigene moralische Stellung zu unterstreichen. Davon gab es Anträge zuhauf.

Verliert die Verbotspolitik nun jedes Maß?

Aber heute, nach Beginn der Krise? Die Landesregierung hat Geschäfte geschlossen, Versammlungen untersagt und Treffen in privaten Wohnungen begrenzt, zeitweise sogar strikt verhindern wollen. Das sind tiefe Einschnitte in das Alltagsleben der Leute, längst ist – völlig zu Recht – ein Streit darüber entbrannt, wie berechtigt die vielen Verbote sind, die die Landesregierung per Verordnung verhängt hat.
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Und nun soll also nach dem Willen der Koalition noch das Verbot der Zahlen- und Buchstabenkombination auf Autokennzeichen dazukommen? Wer der niedersächsischen SPD/CDU-Koalition nicht von vornherein freundliche Absichten unterstellen wollte, könnte hier ein Beispiel für die Maßlosigkeit der Verbotspolitik erkennen. Er könnte so argumentieren: Wenn die Regierung jetzt also auch noch genau vorschreiben will, was auf Autokennzeichen stehen darf, dann zeigt das doch nur, wie grenzenlos die Verbotskultur der Regierung schon geworden ist. Daran würde er die Frage anschließen, was denn als nächstes komme – vielleicht ein Verbot der Hausnummern 18 und 88, sodass zwingend 17a oder 87a zu verwenden wären?

Sind die Einschnitte geeignet, erforderlich und angemessen?

Im Ernst: Gerade in der aktuellen Debatte über die Corona-Kontaktverbote wird ein juristischer Grundsatz wieder bewusst, der bei allen staatlichen Beschränkungen angewendet werden muss: Sind die Einschnitte geeignet, erforderlich und angemessen? Prüfen wir das mal bei dem Verbot bestimmter Autokennzeichen: Ist dieser Schritt geeignet, die Ausbreitung rechtsextremer oder neonazistischer Gruppen und Gesinnungen einzudämmen? Die Antwort ist nein. Denn mit dem geplanten Verbot lässt sich das Land genau auf die Argumentation bestimmter rechtsextremer Kreise ein, die Autokennzeichen aufwerten als politische Meinungsäußerung. Die klügeren unter denen, die mit dem Verbot getroffen werden sollen, dürften beispielsweise ausweichen auf RH (Rudolf Hess) oder 2004 (Geburtstag von Adolf Hitler) – und sie hätten vermutlich eine diebische Freude daran, mit solchen Aktionen ihre Gegner zu ärgern. Ist das Kennzeichenverbot erforderlich, gibt es nicht vielmehr bessere Mittel? Die Antwort ist wieder nein. Denn Präventionsarbeit, demokratische Bildungsangebote, Geschichtsunterricht und effektive, sachorientierte Parlamentsarbeit sind tausendmal besser, den Reiz neonazistischer Bewegungen auf junge, orientierungslose Menschen zu verringern – indem man einfach zeigt, wie gut die Demokratie funktioniert. Dritte Frage: Ist das Kennzeichenverbot angemessen, überwiegen also die Vorteile die Nachteile? Auch hier ein klares Nein als Antwort. Wenn der Eindruck entsteht, die Landesregierung agiere irrwitzig, weil sie nach all den Verboten der vergangenen Wochen nun auch noch die Autokennzeichen vorschreiben will, dann wäre der Schaden sicher viel größer als der – vermeintliche – Nutzen. Man kann sogar sagen, dass die Aktion kontraproduktiv ist: Wenn man jetzt schon bestimmte Autokennzeichen für gefährlich hält und verbieten will, sind dann die erlassenen Kontaktverbote womöglich ähnlich schwach und angreifbar begründet, nämlich mit nur vorgeschobenen Argumenten?

Debatte bewegt sich auf sehr dünnem Eis

Oder ist der Zweck des Kennzeichenverbots gar nicht, rechtsextreme Strömungen einzudämmen? Wenn es den Antragstellern vielmehr lediglich darum gehen sollte, die eigene moralische Haltung als „die bessere“ zu unterstreichen, dann sollten sie nach ernster Prüfung ihren Antrag im eigenen Interesse möglichst schnell in der Versenkung verschwinden lassen. Denn dann müsste man sich unweigerlich auch die Frage stellen, wie es um die Motive der vielen anderen aktuellen staatlichen Verbote steht. Dienen auch sie in Wahrheit nicht dem Zweck, der vorgegeben wird? Die Debatte zeigt, auf welch dünnem Eis sich die Koalition mit ihrem Antrag zu den Autokennzeichen befindet. (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #080.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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