Wahlmann und Behrens betonen: Clan-Kriminalität ist ernsthafte Bedrohung
Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann verteidigt den großen Aufwand, mit dem Polizei und Justiz gegen kriminelle Clan-Strukturen im Land vorgehen. Deutlich machte die SPD-Politikerin dies bei der Vorstellung des neuen Lagebilds, das Justiz- und Innenressort am Montag in Hannover präsentiert haben. Mit 0,65 Prozent machte die Clan-Kriminalität im vergangenen Jahr zwar nur einen geringen Anteil an der Gesamtkriminalität aus. Mit aller Kraft dagegen vorzugehen, ist nach Wahlmanns Ansicht aber ebenso berechtigt wie der hohe Aufwand, den man betreibe, um Tötungsdelikte oder terroristische Straftaten aufzudecken oder bestenfalls zu verhindern. Der Staat dürfe nicht zulassen, dass durch kriminelle Machenschaften ganze Stadtteile oder Landstriche unter Kontrolle gebracht würden oder sogar No-Go-Areas in Niedersachsen entstünden. Angesichts von realen Einschüchterungsversuchen gegen Mitarbeiter von Polizei und Staatsanwaltschaften lobte Wahlmann die Beamten für ihren entschiedenen Einsatz für den Rechtsstaat. Als wichtiges Instrument zur Schwächung der Clan-Strukturen nannte Wahlmann die Vermögensabschöpfung, also das Beschlagnahmen von Geldern, Uhren, Autos oder Immobilien. Innenministerin Daniela Behrens (SPD) betonte, dass von der Clan-Kriminalität eine „wirklich ernsthafte Bedrohung für den gesellschaftlichen Frieden“ ausgehe. Insbesondere die große Gewaltbereitschaft der Täter bereite ihr Sorgen. Ein leichter Rückgang der Fallzahlen sei kein Grund zur Entwarnung, so Behrens. Dabei stellte sie heraus, dass der Staat nicht gegen kriminelle Familien vorgehe und dabei Angehörige in Sippenhaft nehme. „Wir verfolgen niemanden wegen des Nachnamens, sondern aufgrund eines Tatverdachts.“ Aus der Analyse der Tat heraus werden die dahinterliegenden Strukturen in den Blick genommen.
Grüne stellen Lagebild infrage
Diese Rechtfertigungen, mit denen die beiden Landesministerinnen die Vorstellung des Lagebilds zu imprägnieren versuchten, müssen vor dem Hintergrund der Kritik des eigenen Koalitionspartners betrachtet werden. Evrim Camuz, rechtspolitische Sprecherin der Grünen im niedersächsischen Landtag, kritisiert schon lange, dass Polizei und Justiz überhaupt von Clan-Kriminalität sprechen. „Es ist höchst erfreulich, dass die Fallzahlen auf dem Gebiet der sogenannten Clan-Kriminalität zurückgehen“, lobt Camuz in einer Stellungnahme im Nachgang der Vorstellung des Lagebilds – nur um direkt danach zu fragen, ob solch geringe Fallzahlen überhaupt ein eigenes Lagebild rechtfertigten. Die Grünen-Politikerin kritisiert, dass die der Betrachtung zugrungegelegten Indikatoren und Begriffe „zu wenig bestimmt und eingegrenzt“ seien. Aufgrund dieser Ungenauigkeit würden Polizeidirektionen die Zuordnung sehr unterschiedlich handhaben, Stigmatisierungen seien die Folge. Außerdem würden völlig verschiedene Delikte der Clan-Kriminalität zugeordnet, Verkehrsverstöße ebenso wie Raub und Totschlag. Camuz fordert, „im Interesse der Betroffenen und der Polizei“ klare Vorgaben zu erarbeiten. Außerdem solle die Arbeit der Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften unabhängig evaluiert werden. Sie stellt in Frage, ob Niedersachsen das Ziel der Kriminalitätsbekämpfung mit diesen Mitteln überhaupt erreicht.
Landespolizeipräsident Axel Brockmann führte aus, dass Grundlage der erfolgreichen Bekämpfung von Clan-Kriminalität die gute Zusammenarbeit zwischen Polizei und Justiz sei. Basis dieser Arbeit ist eine gemeinsame Definition des Phänomenbereichs, auf die sich die Ressorts verständigt haben. Da sich die Formen der kriminellen Betätigung rasch veränderten und ein breites Spektrum unterschiedlichster Taten abdecken, müsse die Polizei auch ihre Strategien stetig anpassen, so Brockmann. Insgesamt 3610 Fälle weist die Polizeistatistik für das Jahr 2023 aus, wobei es sich größtenteils um Rohheitsdelikte sowie Vermögens- und Fälschungsdelikte handelte. Bei der regionalen Verteilung sei keine Ballung festzustellen, kriminelle Clan-Strukturen gebe es sowohl im ländlichen wie im städtischen Umfeld. Die Zahl der deutschen Tatverdächtigen mache knapp die Mehrheit aus, allerdings befänden sich darunter auch deutsche Staatsbürger mit türkischem und libanesischem Migrationshintergrund. Anders als bei der Polizei sind bei den Staatsanwaltschaften die Fallzahlen im vergangenen Jahr angewachsen. Justiz-Abteilungsleiter Thomas Hackner spricht von einem massiven Anstieg um 29 Prozent bei insgesamt 1404 Verfahren, die gegen namentlich bekannte Beschuldigte neu eingeleitet worden seien. Hackner erklärte zudem, die Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften in Braunschweig, Hildesheim, Osnabrück und Stade hätten sich bewährt. Erfolgreich seien sie durch eine enge Zusammenarbeit mit regionalen Behörden, Kenntnisse über regionale Gegebenheiten und eine effektive Strafverfolgung trotz einer hohen Arbeitsbelastung vor Ort.
CDU-Fraktionschef Sebastian Lechner fordert, diese behördlichen Sicherheitspartnerschaften unter Federführung der vier Schwerpunktstaatsanwaltschaften flächendeckend auszurollen. Eine Spezialkammer an einem niedersächsischen Gericht solle sich zudem schwerpunktmäßig um organisierte Kriminalität kümmern. Der Oppositionsführer fordert zudem eine rechtliche Grundlage für die Vorratsdatenspeicherung sowie regeren Gebrauch der Vermögensabschöpfung. Er mahnt an, bei möglichen Verflechtungen von Clan-Kriminellen zu Islamisten genauer hinzuschauen.
Dieser Artikel erschien am 20.08.2024 in der Ausgabe #141.
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