13. Feb. 2023 · Justiz

Wahlmann rügt Bundesregierung: Reform des Strafprozesses richtet Schaden an

Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) geht auf Distanz zu Vorschlägen, die Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zur Reform des Strafprozesses vorgelegt hat. „Ich lehne diese Pläne ab. Aus dem Gesetzentwurf spricht ein Misstrauen gegen Richterinnen und Richter, das ich in keiner Weise nachvollziehen kann. Ich sehe auch keinen Mehrwert in dem Entwurf, im Gegenteil: Ich halte ein solches Gesetz für schädlich“, sagte Wahlmann dem Politikjournal Rundblick. Besonders mit Blick auf die Verfahren, in denen es um Sexualstraftaten geht, lauere eine Gefahr: „Es wäre fatal, wenn Videos aus der Verhandlung an die Öffentlichkeit gelangen würden. Auch so etwas kann zu einer Retraumatisierung des Opfers führen“, erklärte Wahlmann.

Justizministerin Kathrin Wahlmann (Hier in der JVA Uelzen) lehnt die Reformpläne des Bundesjustizministers Marco Buschmann ab. | Foto: Christian Wilhelm Link

Buschmanns Plan zielt auf einschlägige Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO). Sie legt fest, dass in den erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten nur die wesentlichen Förmlichkeiten festgehalten werden. Nur ausnahmsweise würden einzelne Vorgänge oder gesamte Aussagen wörtlich ins Protokoll aufgenommen. Das Bundesjustizministerium sieht das als einen Nachteil an: „Den Verfahrensbeteiligten steht damit derzeit keine objektive, zuverlässige Dokumentation des Inhalts der Hauptverhandlung zur Verfügung. Sie müssen sich als Gedächtnisstütze jeweils eigene Notizen zum Inhalt der Hauptverhandlung, etwa der Aussage eines Zeugen, machen.“ Deshalb, so sagen die Mitarbeiter von Buschmann, könnten sich Richter, Anwälte und Staatsanwälte nicht auf das Geschehen in der Hauptverhandlung konzentrieren.

Transkriptionssoftware soll Ton in Text übertragen

Ein Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium sieht nunmehr vor, eine gesetzliche Grundlage für die digitale Inhaltsdokumentation der erstinstanzlichen Hauptverhandlung zu schaffen. In Bild und Ton sollen die Prozesse aufgezeichnet werden können. Außerdem soll über eine Transkriptionssoftware die Tonaufzeichnung automatisiert in ein Textdokument übertragen werden. Der Plan aus dem Hause Buschmann sieht vor, damit in einem ersten Schritt bei den Oberlandesgerichten zu beginnen – und zwar in den Staatsschutzverfahren, die vor den Oberlandesgerichten in der Zuständigkeit des Bundes geführt werden. Damit könne den Verfahrensbeteiligten „ein verlässliches, objektives und einheitliches Hilfsmittel für die Aufbereitung des Hauptverhandlungsgeschehens“ zur Verfügung gestellt werden. Es solle aber auch „verfahrensrechtliche und materiell-strafrechtliche Regelungen“ zum nötigen Schutz der Persönlichkeitsrechte geben. Da solche Verfahren immer länger dauern auch deshalb, weil viele wichtige Informationen nicht festgehalten werden, liege die Alternative in einer herkömmlichen Dokumentationstechnik über den Einsatz vieler Gerichtsschreiber und Stenographen. Das wäre „nicht zeitgemäß und mit einem sehr viel größeren personellen und finanziellen Aufwand verbunden“, schreibt das Bundesministerium.

"Eine Videoaufzeichnung kann den Beweiswert von Zeugenaussagen erheblich mindern."

Wahlmann widerspricht nun diesen Plänen. Diese seien aus mehreren Gründen schädlich: „Zunächst, weil eine Videoaufzeichnung den Beweiswert von Zeugenaussagen erheblich mindern kann. Schon jetzt fühlen sich viele Zeugen durch die besondere Situation vor Gericht – im Übrigen in der Regel in Anwesenheit des Angeklagten – gehemmt. Dies würde durch eine zusätzliche Videoaufzeichnung massiv verschärft werden. Es ist sogar davon auszugehen, dass viele Zeugen entweder gar nicht oder aber nur noch oberflächlich und unvollständig aussagen werden, wenn sie wissen, dass jedes ihrer Worte und jede ihrer Regungen bis in alle Ewigkeit auf Video festgehalten und archiviert werden. Das kann unser Rechtsstaat sich nicht leisten: Zeugen sind in vielen Prozessen das wichtigste Beweismittel und verlässliche Aussagen sind für die Wahrheitsfindung unabdingbar.“ Wahlmann sieht auch die Gefahr, dass solche Videos im Internet landen könnten und Persönlichkeitsrechte von Verfahrensbeteiligten verletzt werden. Sollte sich der Buschmann-Plan durchsetzen, komme vermutlich auch viel Arbeit auf die Gerichte zu, da die Spracherkennungssoftware an Grenzen geraten könne – wenn Zeugen nur gebrochen Deutsch sprechen oder Slang-Ausdrücke verwenden.

Dieser Artikel erschien am 14.2.2023 in Ausgabe #027.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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