Die Transformation der Automobilbranche läuft auf Hochtouren. Auch die VW-Tochter Volkswagen Nutzfahrzeuge (VWN) befindet sich gerade mitten im Umbruch. „In den nächsten fünf Jahren wird es mehr Veränderungen geben als in den letzten 50 Jahren. In zwei Punkten bleiben wir uns aber treu: beim Standort Hannover und bei unseren Gewerbekunden“, sagte gestern Astrid Fontaine, VWN-Vorständin „People & Transformation“.

Bei der Fachtagung „Zukunft durch Transformation“ erläuterte Fontaine vor 200 Teilnehmern aus Wirtschaft und Wissenschaft, warum ihr Unternehmen in der Antriebs- und Mobilitätswende nicht nur viele Herausforderungen, sondern auch Chancen sieht. „Unsere Fahrzeuge stellen die Größe dar, um die letzte Meile zu gehen“, sagte die VWN-Vorständin und nannte drei „Profit Pools“, auf die sich der Nutzfahrzeughersteller künftig konzentrieren will: „Das sind die Elektromobilität, die autonomen Fahrzeuge und die Software“. Laut der Konzern-Strategie „Grip 2030“ soll der Anteil von Elektrofahrzeugen beim Umsatz und Absatz bis zum Ende des Jahrzehnts auf mindestens 55 Prozent steigen. „Produkte und Services spielen für uns auch eine immer größere Rolle, vor allem unsere Onlinedienste“, erläuterte Fontaine.
„Wir müssen den Mitarbeitern die Angst davor nehmen, dass sich etwas verändert.“
Astrid Fontaine
Neben der Fahrzeugherstellung wird der „digitale Fahrer“ für VWN ein zentrales Geschäftsmodell. „Das Thema ist technologisch nicht aufzuhalten und aus unserer Sicht gibt es einen klaren gesellschaftlichen Auftrag“, sagte Fontaine und verwies insbesondere auf den Fachkräftemangel in der Logistik. „Transport-as-a-Service“ heißt das Geschäftsmodell, das die Warenlieferung auf Basis autonomer Fahrzeuge beschreibt. Im Bereich „Mobility-as-a-Service“ ist VWN durch den Shuttle-Service Moia bereits vertreten. Neben Hamburg und Hannover soll der Carsharing-Dienst demnächst auch in München eingeführt werden. Bis 2025 sollen die ersten Moia-Shuttles autonom fahren, kündigte Fontaine an.

Dass die autonomen Taxis im großen Stil durch deutsche Großstädte rollen, ist für das Jahr 2030 geplant. Anders als der Moia-Fahrer lässt sich der Werkmitarbeiter bei VWN nicht so einfach durch künstliche Intelligenz ersetzen. Hier spürt die Volkswagen-Tochter das Spannungsfeld von Fachkräftemangel und Transformation. „Wir müssen den Mitarbeitern die Angst davor nehmen, dass sich etwas verändert“, sagte Fontaine: „Mit einem Werker zu reden, der seit 20 Jahren am selben Arbeitsplatz arbeitet, und dem zu sagen, dass er nächsten Sommer zum T6 in die Montage muss - für den bricht dann die Welt zusammen.“ Während in der Produktion immer weniger Arbeiter benötigt werden, sucht das Unternehmen händeringend nach IT-Fachkräften.
Die Angst vor der Transformation nimmt auch Wirtschaftsminister Olaf Lies als Problem wahr. „Als Elektroingenieur ist Transformation etwas Großartiges, aber das sieht nicht jeder so“, sagte Lies. Drei Probleme nannte der SPD-Politiker: „Ein großer Teil der Verantwortung für den Erfolg der Transformation liegt auch bei uns in der Politik. Und was wir gerade erleben bei der Akzeptanz der Elektromobilität, das treibt mich mit einer gewissen Sorge um. Durch viele Debatten ist Unsicherheit entstanden, wir können aber nicht mehr zurück“, sagte Lies. Er stelle auch große Zweifel gegenüber der Ladestruktur für die Elektromobilität in Niedersachsen fest. „Wenn erst einmal der Eindruck entsteht, dass die Ladeinfrastruktur nicht optimal ist, dann kannst du sie noch so gut machen: In den Köpfen setzt sich das fest“, mahnte Lies.

Unzufrieden ist er auch mit den Zulassungszahlen für Elektroautos, die aus seiner Sicht nicht schnell genug steigen. „Das Anreizsystem, das richtig war, um auf Elektromobilität umzusteigen, ist weg“, kritisierte Lies und forderte eine Debatte über eine neue Kaufprämie. „Die Zulieferer profitieren vom Volumen, das ist aber entgegen aller Prognosen um 50 Prozent gesunken. Und aus diesen geringeren Umsätzen müssen wir noch stärker in die Zukunft investieren“, sagte Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsen-Metall. 40 Prozent der niedersächsischen Zulieferer würden derzeit rote Zahlen schreiben und bis zum Ende des Jahrzehnts sei auch nicht zu erwarten, dass sie durch das Geschäftsfeld „E-Mobilität“ wieder in die Gewinnzone zurückkehren. „Wir stellen fest: Große Teile der Wertschöpfung gehen dorthin, wo man so kostengünstig wie möglich produzieren kann“, sagte Schmidt. Er wies darauf hin, dass Unternehmen in Serbien, Kroatien oder in der Türkei mit denselben Maschinen zu einem Drittel der Kosten produzieren können.