Von gut bis mangelhaft: So verschieden fällt die Bilanz der Landesminister aus
Sie sind jetzt fast alle elf Monate im Amt – manche noch länger, aber in dieser Konstellation sind es mit Ausnahme von Andreas Philippi elf Monate. Zur Jahresbilanz fehlt nun noch ein Monat, sicher, aber für viele ein Fixpunkt der Beurteilung ist die Landtagswahl vom 9. Oktober. Damals siegte Rot-Grün bei der Landtagswahl souverän, es gab euphorische Feiern bei Sozialdemokraten und Grünen, die Koalitionsgespräche begannen und wurden schon nach kurzer Zeit erfolgreich zum Resultat gebracht.
Nun fragt man sich: Wie hat sich das Team, das damals angetreten ist, ein Jahr nach der Landtagswahl bewährt? Allgemein fällt auf, dass SPD und Grüne in der Gesetzgebung zurückhaltend sind. Mit Ausnahme des verschärften Klimagesetzes, das auch Ausfluss einer Ermahnung des Bundesverfassungsgerichts an Bund und Länder ist, sind nur weniger umstrittene Vorhaben auf den Weg gebracht worden. Die Koalitionsfraktionen legten elf Gesetzentwürfe vor, dazu 33 Entschließungsanträge. Zwei Nachtragsetats wurden geebnet – mehr Geld für Lehrer und die Klinik-Finanzierung zählen dazu. Einige große Vorhaben lassen weiter auf sich warten.
Die Rundblick-Redaktion hat der Regierung ein erstes Zwischenzeugnis ausgestellt. Hier die Ergebnisse:
Stephan Weil, Ministerpräsident: Note 3-
Der 64-Jährige tritt souverän auf, wirkt landesväterlich und ist tief in den aktuellen landespolitischen Themen verhaftet. Das ist die positive Seite. Es fällt aber schon auf, dass sein vehementes Drängen etwa in Richtung einer Subvention für energieintensive Industrie beim Kanzler und Parteifreund Olaf Scholz bisher auf taube Ohren stößt. Mag sein, dass Scholz sich noch bewegt – aber dann würde er sicher auf den Eindruck Wert legen, nicht Weils Druck habe das bewirkt.
Das nächste Problem für Weil besteht im Fachkräftemangel, der immer drastischer auch in den Behörden von Land und Kommunen spürbar wird. Jetzt rächt sich, dass Weil in seinen zehn Amtsjahren alle Versuche einer ernsthaften Verwaltungsreform, die Abläufe strafft, Aufgaben ausdünnt und Personalstellen abbaut, konsequent ins Leere hat laufen lassen. Nun fehlen die Konzepte, anhand derer die Landes- und Kommunalverwaltung umgebaut werden müsste. Für die sympathische und umsichtige Amtsführung gibt es eine 1 bis 2, für die Versäumnisse bei den Reformen eine glatte 5. Da das zweite schwerer wiegt, kommt eine 3- dabei heraus.
Julia Hamburg, Kultusministerin: Note 3-
Sie hat das schwierigste Ressort – und versucht, mit schonungsloser Offenheit die Probleme anzusprechen. Zwar ist noch keine der zumeist unpopulären Schritte gegen die Unterrichtsversorgung konkret geworden, aber die Ministerin hat immerhin in mehreren Tagungen die verschiedenen Varianten angesprochen, die möglich sind.
Das ist ein Anfang, auch wenn in wichtigen Punkten schon mehr hätte geschehen müssen – etwa die Rekrutierung von mehr Quereinsteigern für Lehrerberufe, oder auch ein pragmatischer Einsatz von Betreuungskräften in den Kindergärten. Gegen Hamburgs Führungsstil spricht auch, dass die in ihrem Haus angesiedelte Koordinierung der von Grünen geführten Ministerien teilweise viel Zeit braucht. Dass Abstimmungen zwischen SPD und Grünen sehr lange dauern, wird auf Seiten der SPD gern mit Verweis auf die angeblich zu langsame Grünen-Koordination im Kultusministerium erklärt.
Olaf Lies, Wirtschaftsminister: Note 2
Olaf Lies ist nach dem Start von Rot-Grün geblieben, was er vorher schon war – ein sehr reger, engagierter und am Fortschritt der Sachen interessierter Politiker. Zu Beginn der Regierungsarbeit hat er sich massiv und nachdrücklich für den Aufbau des LNG-Terminals in Wilhelmshaven eingesetzt. Lies ist ein Kommunikationstalent, der lieber einmal öfter als einmal zu wenig mit Kritikern spricht – auch zuweilen mit Leuten, die einen untragbaren Protest vertreten wie im Mai die Greenpeace-Besetzer auf dem Dach des Landtags.
Auch mit den Gegnern des Südschnellweg-Ausbaus in Hannover hat sich Lies gemeinsam auf den Weg nach Berlin gemacht, ohne ihnen jedoch zu viel zu versprechen. Ihm geht es dabei um die pragmatische Lösung in der Sache, dabei vergisst er dann manchmal die symbolische Wirkung seines Handelns – oder er beachtet es nicht so stark wie es andere tun. Die meisten Beobachter indes nehmen ihm diese Art nicht übel. Er ist auf jeden Fall ein Aktivposten im Kabinett.
Daniela Behrens, Innenministerin: Note 3+
Da sie eine Verwaltungsfachfrau ist, hat sich Daniela Behrens nach ihrer Ernennung zur Innenministerin mühelos eingearbeitet. Sie wird bei der Polizei respektiert und bei den Kommunalvertretern geachtet. Dabei meinen manche, sie könne sehr schnell kühl und abweisend reagieren, wenn sie mit weitreichenden Forderungen von Verbänden konfrontiert wird.
Bei Personalentscheidungen zögert sie teilweise nicht lange – auch wenn es den kritischen Hinweis gibt, sie agiere zuweilen zu schnell und zu kurzentschlossen. Immerhin, heißt es, zähle sie nicht zu den Zögernden und Zaudernden. Die Kommunen sind angetan, dass sie sich derzeit sehr klar auf ihre Seite im Streit um die Flüchtlingspolitik stellt. Das Hardliner-Image, das eigentlich alle Innenminister prägt, hat Behrens indes noch nicht angenommen. Fraglich ist, ob sich das bei ihr noch ändern wird.
Gerald Heere, Finanzminister: Note 2-
Im ersten Haushaltsplanentwurf, den er verantwortet hat, wird die Schuldenbremse eingehalten. Zwar treffen die Mahnungen des Rechnungshofs, das Land solle Strukturreformen anschieben, auch ihn als Finanzminister – in erster Linie aber den Ministerpräsidenten und die Koalition insgesamt. Heere hat als Aufsichtsratschef der Nord/LB den drohenden Eklat im Streit um die IT-Anschaffung der Bank abwenden können.
Große Aufgaben indes bleiben noch: Wie sollen die von Rot-Grün geplanten Großinvestitionen finanziert werden? Wie geht es mit der Nord/LB weiter? Wie können die Finanzminister die vermutlich sehr hohen Tarifforderungen der Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst abwenden? Bisher reagiert der Minister ruhig, besonnen und zurückhaltend – für manche: zu zurückhaltend. Aber der Start ist trotzdem gut.
Christian Meyer, Umweltminister: Note 2
Als es zu Jahresbeginn um die vorbereitenden Pläne zum Ausbau der Windkraft ging, fackelte Meyer nicht lange – und legte vor. Im Streit um den Wolf wurde er spätestens dann pragmatisch, als ihm klar wurde, wie stark sich der Protest der betroffenen Landwirte und Weidetierhalter zuspitzen würde.
Ähnlich wie Lies ist auch Meyer ein Aktivposten in der Landesregierung, man merkt ihm Gestaltungswillen an. Seine Stärke ist auch, dass er sich in den Themen, die auf seinem Tisch liegen, sehr gut auskennt und mit Augenmaß agiert.
Miriam Staudte, Agrarministerin: Note 3+
Die Grünen-Politikerin hatte anfangs Startschwierigkeiten und fremdelte im Amt, vor allem in Augenblicken, in denen Kritiker ihr gegenüber einen rauen Ton anschlugen. Inzwischen hat sich das gelegt, und Staudte hat sich mit den Vertretern der Landwirtschaft arrangiert.
Das Programm zum Umbau der Ställe und zur Abkehr von der Schweinehaltung findet Lob bei Fachleuten, hier ging sie pragmatisch und schnell vor, sodass die Förderung zügig die Empfänger erreichen konnte. Damit hat sie viele positiv überrascht. Beim Landesraumordnungsprogramm steht die Bewährungsprobe noch bevor.
Kathrin Wahlmann, Justizministerin: Note 2
Die Justizministerin hat Mut bewiesen, als sie wiederholt in Interviews ihre Vorbehalte zu Plänen äußerte, die etwa ihre Parteifreunde in der Bundesregierung mitverantworten wollen. Dabei ging es um die Legalisierung von Drogen, aber auch um das Selbstbestimmungsgesetz und die Folgen in bestimmten Bereichen. Zur Strafbarkeit der Proteste radikaler Klimaschützer äußerte sie sich eindeutig – was die CDU im Landtag zu kräftigem Beifall veranlasste.
Kein anderer Minister aus der Regierung strahlt bisher so über das rot-grüne Lager hinaus und in das konservative hinein. Aus dem Justizministerium wird über einen angenehmen Führungsstil berichtet, der in keiner Weise parteipolitisch einseitig ist.
Andreas Philippi, Sozialminister: Note 4
Es war eine Überraschung, als Ministerpräsident Stephan Weil Ende Januar den Krankenhaus-Arzt und gerade noch frischen Bundestagsabgeordneten Andreas Philippi als neuen Sozialminister präsentierte. Seine Auftritte im Landtag waren zuweilen wenig glücklich, er wirkte oft angespannt. Eine Verhärtung ist im Kontakt mit den Krankenhaus-Trägern feststellbar.
Diese fordern seit Monaten ein Hilfsprogramm des Landes, Philippi aber wiederholt ständig die Position, dass das Land nicht zuständig sei. Die Verordnung, die Basis einer wichtigen Neuordnung der Kliniklandschaft sein soll, liegt Monate nach dem ersten Entwurf immer noch nicht vor. In der Arbeitsmarktpolitik, einem wichtigen Teil seines Ressorts, gibt es keine Impulse. Auch ein Paritätsgesetz, von vielen Frauen in der Koalition herbeigesehnt, lässt immer noch auf sich warten.
Falko Mohrs, Wissenschaftsminister: Note 3-
Der 39-jährige Minister aus Wolfsburg tritt in der Öffentlichkeit sehr gewandt auf, er ist ein Meister der Kommunikation. Es gibt kaum einen Termin, in dem er unvorbereitet oder wortkarg erscheint. Bei den großen Baustellen im wichtigsten Teil seines Ministeriums, den Hochschulen, tut sich nur wenig. Eine Reform des Hochschulgesetzes mit mehr Autonomie für die Unis ist bisher noch nicht in Sicht.
Die Frage, wie der Investitionsstau in den Hochschulen beseitigt werden soll, bleibt noch unbeantwortet – auch wenn Mohrs hier nicht primär zuständig ist. Dass bei der Straßenbahn-Anbindung des MHH-Neubaus bisher nicht alles glatt läuft, ist auch Mohrs vorzuhalten. Der Wolfsburger hat nicht immer den besten Stand in der Regierung. Wäre es anders, dann hätte der Ausbau der Medizin-Studienplätze in Oldenburg schon im Etatentwurf Berücksichtigung gefunden. So muss er jetzt erneut über die „politische Liste“ der Fraktionen nachgereicht werden.
Wiebke Osigus, Ministerin für Regionales, Bundes- und Europaangelegenheiten: Note 5
Seit das Europaministerium 2017 geschaffen wurde, gibt es Streit über seine Berechtigung. Die bisherige Ministerin Birgit Honé versuchte noch, sich Zuständigkeiten zu erstreiten. In ihrer unbestreitbaren Verwaltungskompetenz galt Honé als Schwergewicht. Sie hatte auch eine Konzeption für eine Reform des Behördenaufbaus im Visier.
Ihre Nachfolgerin Osigus erweckt den Eindruck, sie habe auf diesem Gebiet keine Ambitionen. Zum Ausgleich ihrer Schwächen wurde die Landesvertretung in Berlin personell mit einer Doppelspitze verstärkt. Dennoch: Das Wirken der Ministerin liefert keinen Beleg dafür, dass die ihr unterstellten Fachabteilungen eine eigenständige ministerielle Spitze rechtfertigen.
Dieser Artikel erschien am 06.10.2023 in der Ausgabe #172.
Karrieren, Krisen & Kontroversen
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