30. Mai 2023 · Inneres

Verwaltungsfachleute klagen: Regierung bremst bei der nötigen Digitalisierung

Das Niedersächsische Studieninstitut für kommunale Verwaltung (NSI) ist unzufrieden mit dem Tempo der Digitalisierung und der technischen Erneuerung in der Landesverwaltung. „Wir könnten die leistungsfähige Form von Microsoft 365 in der Landesverwaltung einführen – aber bisher gibt es dafür immer noch keine Freigabe, obwohl wir schon seit Jahren darüber diskutieren“, sagte Daniel Sandvoß vom NSI kürzlich in einer Fachveranstaltung. Es habe aber über viele Monate Widerstände der Landesdatenschutzbeauftragten gegeben – und Unterstützung von Seiten der Landesverwaltung habe er auch nicht gespürt. „Jetzt haben wir ja einen neuen Landesdatenschutzbeauftragten. Ich bin gespannt, wie er die Sache einschätzt“, sagte Sandvoß.

Daniel Sandvoß | Foto: NSI

Das NSI bildet als Studieninstitut die angehenden Kommunalbeschäftigten aus – und teilweise auch von Landesbediensteten. In einer Informationsveranstaltung präsentierte sich die Einrichtung, die derzeit 1800 spätere Verwaltungsmitarbeiter betreut, als moderne und zukunftsweisende Ausbildungsstätte.


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Der NSI-Leiter Prof. Michael Koop erklärte, der Schwerpunkt liege bei den Kommunalbediensteten, es würden aber auch jährlich 90 Studenten des Landes unterrichtet. Der Fachkräftemangel mache sich zunehmend bemerkbar, und dies sei ein wichtiges Signal an die Landesregierung, sich für Reformen bei den Abläufen der Verwaltungsarbeit stark zu machen. „Wir werden mehr Aufgaben im Zuge der Digitalisierung anders und mit weniger Personal erfüllen als bisher“, sagte Koop.

Michael Koop | Foto: NSI

In einem Grußwort in der NSI-Veranstaltung räumte der Digitalisierungs- und Verwaltungsreformbeauftragte des Innenministeriums, Horst Baier, einige Mängel ein. Die Bundesrepublik sei nicht führend bei der Digitalisierung, das liege auch am komplizierten Verwaltungsaufbau mit Bund, Ländern und Kommunen. Der Bund beschließe Gesetze, kümmere sich aber nicht ausreichend um die Umsetzung. Hinzu komme, dass die Bevölkerung zu großen Teilen nicht digitalaffin sei, sondern die Erneuerungen mit Skepsis begleite.

Negativbeispiel für antiquierte Gesetzgebung: Elterngeld-Antrag

Als Beispiel für eine antiquierte Gesetzgebung nannte Baier den Elterngeld-Antrag, der 24 Seiten umfasse. Für die Bearbeitung hätten, so die Schätzung, alle deutschen Kommunen insgesamt 10.000 neue Mitarbeiter einstellen müssen. Das sei eine „Ressourcenverschwendung“. Die Kindergrundsicherung, die derzeit diskutiert werde, solle Kindergeld, Kinderzuschlag, Grundsicherung und Wohngeld zusammenführen.


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Dafür habe man auf Bundesebene einen interministeriellen Arbeitskreis gegründet, bei dem aber das Innenministerium nicht einbezogen worden sei – obwohl es doch in diesem Zusammenhang unverzichtbar bleibe. „Wir brauchen künftig für Verwaltungsmitarbeiter andere Ausbildungsinhalte – mehr Agilität, weniger Hierarchiestufen“, betonte Baier.

Ein paar Thesen zur Erklärung für die zögerliche Digitalisierung in Deutschland trug Prof. Peter Daiser vor. Die Verwaltung in Deutschland sei riesig, dezentral organisiert und in tausende einzelne Behörden untergliedert – und sie habe ein Monopol, müsse sich also nicht mit Konkurrenz messen. Handlungsdruck zur Reform gebe es kaum, und die EU habe mit der „Datenschutzgrundverordnung“ (DSGVO) in der statischen bürokratischen Form reagiert auf die dynamische Entwicklung der Digitalisierung. Manche Juristen, die gegenüber Erneuerungen zurückhaltend sind, nutzten die DSGVO gern als Instrument, um die Digitalisierung zu blockieren oder zu verzögern.

Prof. Peter Daiser | Foto: NSI

Prof. Tim Brockmann vom NSI erklärte, die Veränderungen in den Verwaltungen erforderten auch eine völlig neue Art des Lernens und Lehrens. Wenn die Künstliche Intelligenz in Echtzeit alle Informationen aus dem Internet ziehe, daraus Reden, wissenschaftliche Arbeiten oder auch Koalitionsverträge erarbeiten könne, dann gehe auch die Authentizität des geschriebenen Wortes und der wissenschaftlichen Texte verloren. „Darauf müssen wir achten, wenn wir vieles künftig umstellen“, sagte Prof. Brockmann.

Dieser Artikel erschien am 31.5.2023 in Ausgabe #098.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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