Neues Amt, vertraute Stärken: Olaf Lies zeigt schon auf seiner ersten großen Dienstreise durchs Land, dass er sich als Ministerpräsident nicht neu erfinden muss. Stattdessen genügt dem SPD-Politiker aus Friesland ein gezielter Perspektivwechsel. In Achim präsentiert sich der frühere Bauminister als Kümmerer für stabile Nachbarschaften. In Oldenburg spricht der ehemalige Wirtschaftsminister zunächst bei den Gemeinnützigen Werkstätten über Wege in den ersten Arbeitsmarkt. Anschließend widmet sich der Digitalisierungs-Fan im Klinikum einem seiner Lieblingsthemen – diesmal eben in der Gesundheitsvorsorge. Zwei Jahre vor der Landtagswahl deutet sich an, dass der Nachfolger von Stephan Weil mit einem gehörigen Amtsbonus in das Rennen um die Staatskanzlei 2027 gehen will.

Erste Station des Tages: Achim. Bürgermeister Rainer Ditzfeld begrüßt Olaf Lies als „alten Bekannten in neuer Funktion“. Er erinnert an den Besuch des damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff im Bürgerzentrum mitten im sozialen Brennpunkt der Stadt, der dort ausgiebig Tischkicker gespielt und damit seinen Terminplan gehörig durcheinandergebracht habe. „Seitdem habe ich gelernt, dass man mit einem Ministerpräsidenten vorsichtig sein muss, was die Zeitplanung betrifft“, sagt Ditzfeld mit einem Schmunzeln. Das Duo Lies/Dörte Liebetruth einigt sich mit der Stadtspitze jedoch schon nach dem ersten Schlagabtausch auf ein Remis. Viel lieber plaudert der Ministerpräsident mit Ehrenamtlichen, den Frauen im Integrations- und Deutschkurs sowie Sozialarbeitern – und verteilt dabei auch mal Wassereis an Kinder. „Integration wird nicht funktionieren ohne Arbeit“, stellt Lies fest und wirbt für mehr Städtebauförderung. „Das ist optimal investiertes Geld. Jeder Euro, den der Staat in die Hand nimmt, löst sieben bis acht Euro private Investitionen aus“, erklärt der Ministerpräsident. Bürgermeister Ditzfeld bestätigt diese Erfahrung: „Vor 20, 30 Jahren hatten wir hier eine Riesenhochhaussiedlung, und das gesamte Gebiet drohte den Bach runterzugehen. Heute ist daraus eine stimmige, runde Sache geworden – mit ganz viel Fördermitteln.“ Den ehemaligen Bauminister und neuen Landesvater lobt Ditzfeld in den höchsten Tönen: „Was ich an ihm sehr schätze, ist seine Verlässlichkeit. Was er zugesagt hat, hat er auch gehalten.“
In der Volkshochschule Oldenburg gestaltet sich das Bild etwas zurückhaltender. Das Team im Café Kurswechsel, ein Arbeitsprojekt für Menschen mit Behinderung, reagiert zunächst scheu auf den Pressetrubel. Doch Olaf Lies schafft es, mit seiner offenen Art genug Vertrauen zu gewinnen, sodass es am Ende zu einem Gruppenfoto mit dem Ministerpräsidenten kommt. „Weg von hinter der Hecke, ab in die Mitte der Gesellschaft“, beschreibt Wolfgang Hündling, Chef der Gemeinnützigen Werkstätten Oldenburg, das Ziel des Projekts. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen rund 800 Mitarbeiter an verschiedenen Standorten. „Zirka zehn Prozent unserer Beschäftigten sind außerhalb des klassischen Werkstättengeschäfts tätig – und die hier im Café zählen dazu“, sagt Hündling. Die Menschen mit Behinderung übernehmen hier Aufgaben in Küche, Reinigung und Service und haben intensiven Kundenkontakt. Der Ministerpräsident zeigt sich beeindruckt: „Wir erleben hier echte Integration. Barrieren werden durch Begegnungen abgebaut, die sonst nicht zustande kämen.“

Eine solche Begegnung erfährt Lies auch im Klinikum Oldenburg. Dort besucht er das Projekt „TeleStorch“, bei dem sich Geburtsstationen in der Fläche per Videochat von den Spezialisten im Fachkrankenhaus unterstützen lassen können. Bei dieser Gelegenheit trifft er auch auf die frisch geborene Olivia aus Wilhelmshaven. Darüber hinaus lässt sich der Ministerpräsident das 346-Millionen-Euro-Bauprojekt auf dem Klinikgelände und die fortschrittlichen Digitalisierungsmaßnahmen erklären. Neben den Fortschritten in der pränatalen Abteilung hat das Klinikum unter anderem eine digitale Besucherführung und ein innovatives Medikamentenmanagement eingeführt – Faktoren, die Oldenburg unter den deutschen Krankenhäusern zu den Spitzenreitern in Sachen „digitale Reife“ machen. Klinikum-Managerin Christa Malessa berichtet, dass es dort keine Tablettenboxen mehr gibt. Stattdessen erhalten stationäre Patienten ihre Tagesration in eingeschweißten Plastiktüten mit Barcode, die beim Scannen fast alle Fehlerquellen der Medikation ausschließen. „Die Logistik ist eine völlig andere. Wir haben kaum noch Medikamente auf Station, dafür müssen wir im Voraus ausreichend bestellen“, erläutert Malessa das „Closed Loop“-System. „Die Digitalisierung sorgt hier für deutlich mehr Sicherheit“, zeigt sich Lies beeindruckt. Zudem kündigt er an: „Wir wollen die Universitätsmedizin hier weiter ausbauen. Es spricht vieles dafür, wenn ich auf der einen Seite ein Klinikum habe, das die Kriterien erfüllt, und auf der anderen Seite eine Universität, die wir ausgebaut haben.“ Die Umsetzung liegt freilich in den Händen von Wissenschaftsminister Falko Mohrs. Zumindest das ist neu: Lies will nun auch seine Lieblingsthemen delegieren, um sich besser auf seine Kernaufgaben konzentrieren zu können.