30. Aug. 2021 · 
Wirtschaft

Vertrauliche Studie: So kann die Stahlproduktion der Zukunft laufen

Wie sieht die Stahlproduktion der Zukunft aus? Das soll möglichst so geschehen, dass keine Kohle mehr für die Erzeugung von Strom und enormer Hitze verwendet wird – damit der Kohlendioxidausstoß erheblich gedrosselt wird. Da die Stahlerzeugung besonders energieintensiv ist, gehört die radikale Umstellung ihrer Produktion zu den ehrgeizigsten wissenschaftlichen Projekten weltweit. Nun ist erstmals für den Standort Wilhelmshaven genau beschrieben worden, wie das funktionieren kann, in welchen Schritten das möglich wäre und welche Kosten damit verbunden sind. Wilhelmshaven und damit Niedersachsen können zum Vorreiter einer international vorbildlichen Innovation werden. Wenn, ja wenn alle Beteiligten mitziehen und auch der Staat kräftig in die Tasche greift und Fördergelder mobilisiert. Das dürfte nun noch einige Diskussionen auslösen.

Foto: GettyImages/sdlgzps

Die 139 Seiten starke „Machbarkeitsstudie“, die mögliche Wege in Wilhelmshaven beleuchtet, ist in der vergangenen Woche an die Landesregierung überreicht worden. Das Papier ist vertraulich und nicht-öffentlich, liegt aber dem Politikjournal Rundblick vor. Mehrere Akteure haben daran mitgewirkt, vor allem die Salzgitter AG, die selbst an der engen Kooperation mit Wilhelmshaven interessiert ist, das Logistikunternehmen Rhenus, der Kraftwerkbetreiber Uniper und der Stahlkonzern ArcelorMittal. Das Land und die Stadt Wilhelmshaven waren ebenfalls dabei. „Gedanklicher Ausgangspunkt“ war laut dem Papier die in Salzgitter schon vor längerem entwickelte Überlegung mit dem Stichwort „Salcos“, die mit Kohle beheizten Hochöfen allmählich abzuschalten und zu neuen Formen der Beheizung zu kommen. In diesem Zusammenhang kommt nun Wilhelmshaven ins Spiel: Dort könne eine Anlage gebaut werden, die zwei Millionen Tonnen pro Jahr an „klimafreundlichem Eisenschwamm“ produziert, das ist ein Vorprodukt für die Stahlerzeugung. Anfangs soll das noch auf der Basis von Erdgas als Energiequelle geschehen, also nicht ganz CO2-neutral, Schritt für Schritt soll Erdgas dann aber durch Wasserstoff ersetzt werden. So könnten, heißt es in der Studie, schon vor 2030 jährlich bis zu 2,3 Millionen Tonnen Kohlendioxid bei der Stahlerzeugung eingespart werden.

Das Schöne an Wilhelmshaven ist nun, dass dort alles in der Nähe ist – der Tiefwasserhafen, in dem das Eisenerz angeliefert wird, die Windräder, die den Strom erzeugen und die freien Flächen im Jade-Weser-Port, die bisher ungenutzt blieben. Auch Kavernen, in denen man Gase aufbewahren kann, wären nicht weit weg. Zwei Kraftwerke stehen auch dort, eines stellt jetzt von Kohle auf Biomasse als Antrieb um, das andere soll geschlossen werden. Einige Investitionen indes müssten noch geleistet werden: Das Erdgasnetz ist elf Kilometer entfernt, braucht also einen Anschluss. Wenn später die Wasserstoff-Elektrolyse laufen soll, ist der Umstieg auf eine 380-kV-Höchstleistungs-Stromversorgung zwingend, außerdem soll später ein Wasserstoff-Fernleitungsnetz angekoppelt werden. „Für spätestens 2030“ habe man das bereits beim Netzbetreiber angemeldet, wird in der Machbarkeitsstudie berichtet. Die Firma Rhenus soll jährlich 3 Millionen Tonnen Eisenerz im Hafen anliefern, in einer neuen Direktreduktionsanlage sollen diese dann in rund 2 Millionen Tonnen Eisenschwamm umgewandelt werden – alles auf dem bereits voll erschlossenen Flächen des „Rüstersieler Grodens“ in Wilhelmshaven. Der „Eisenschwamm“ soll dann mit Zügen von Wilhelmshaven über Oldenburg, Bremen und Hannover nach Salzgitter gebracht werden. Die Bahnstrecke von Oldenburg nach Wilhelmshaven soll bis Dezember 2022 elektrifiziert sein. Ein weiterer Abschnitt, der bis direkt zur Produktionsanlage führt, soll sich bis 2027 anschließen.

Foto: GettyImages/sdlgzps

Die Gutachter gehen nun davon aus, dass rund 5750 Tonnen Eisenschwamm täglich die Anlage verlassen können. Das wären zwei Güterzüge täglich, die im Abstand von zwölf Stunden zwischen Wilhelmshaven und Salzgitter verkehren sollen – „im festen Pendelverkehr“. Dieser Eisenschwamm soll in fester Form als Briketts verladen werden, die im heißen Zustand gepresst werden und dann abkühlen müssen. Erwähnt wird, dass es aber auch eine Alternative gibt, nämlich den Eisenschwamm in der nicht kompakten, kalten Form zu transportieren. Der Stoff ist dann aber hochporös – und die Sicherheitsanforderungen sind höher. „Bisher gibt es für den Landtransport über Bahn und Lastwagen in Europa keine Transporteinstufung und -genehmigung“, heißt es in dem Gutachten – auch wenn dieser Weg in Amerika und Mexiko gängige Praxis sei. Vor der Verladung in Schiffen müsse das Material dort dann aber erst bis zu 72 Stunden in Stickstoff-Silos abklingen. Wenn man diesem Gedanken in Deutschland nähertreten wolle, seien wohl umfangreiche Untersuchungen erforderlich.

Eine der vielen Fragen, die noch offen sind, betrifft den Wasserstoff – denn davon dürfte viel mehr zum Betrieb der Anlage nötig werden als bisher in Deutschland verfügbar ist.

Eine der vielen Fragen, die noch offen sind, betrifft den Wasserstoff – denn davon dürfte viel mehr zum Betrieb der Anlage nötig werden als bisher in Deutschland verfügbar ist. Die Studie formuliert diese Stelle etwas umständlich und unklar. Erwähnt wird eine „um ein mehr als zehnfach größere bereits existierende schiffsseitige Transportvolumina“. Nötig sei ein Wasserstoff-Importterminal (wohl in Wilhelmshaven), dieses sei „auf Basis von Ammoniak realistisch“. Mit anderen Worten: Was die Anlieferung und Lagerung von Wasserstoff vor Ort angeht, muss noch nachgerüstet werden. Auf jeden Fall gibt es in Wilhelmshaven Transportleitungen, Planungen für das zwischenzeitlich erwogene, derzeit aber unrealistische LNG-Terminal liegen schon vor – einiges an Vorarbeiten besteht also schon. Wie immer bei solchen Großprojekten herrscht die Sorge, das Immissions- und Umweltschutzrecht könne einen Strich durch die Rechnung machen. Doch das niedersächsische Umweltministerium erklärte, das Bundesimmissionsschutzgesetz sei hier nicht anzuwenden, denn eine Direktreduktion von Eisenerz sei eben noch kein Schmelzprozess, und viele Vorschriften bezögen sich nur darauf. Eine andere Auswertung habe ergeben, so heißt es in der Studie weiter, dass „keine oder nur geringe Auswirkungen auf die Schutzgüter Pflanzen, Tiere und biologische Vielfalt zu erwarten sind“.

Unterm Strich geht die Studie von „einem kalkulierten Investitionsbedarf von 1,1 Milliarden Euro“ aus.

Nun heißt es allerdings auch in dem Gutachten: „Die Direktreduktion von Eisenerz ist allerdings heute in Europa selbst auf der Basis von Erdgas im Vergleich zur Hochofenroute noch nicht wirtschaftlich. Wichtige Voraussetzungen für das Gelingen eines solchen Projektes sind daher eine entsprechende öffentliche Förderung der hierfür erforderlichen Milliarden-Investition, sowie die sichere Verfügbarkeit von Erdgas und grünem Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen am Standort Wilhelmshaven.“ Unterm Strich geht die Studie von „einem kalkulierten Investitionsbedarf von 1,1 Milliarden Euro“ aus – 64 Millionen für die Logistik, 400 Millionen für Energieanbindung und 632 Millionen für den Bau der Direktreduktionsanlage. Auch einen Zeitplan liefern die Autoren: Ende 2022 könne man die ersten Zuwendungsbescheide für Investitionsförderung bekommen, zwischen 2024 und 2028 könnten die Genehmigungen vorliegen, Mitte 2028 könne die Direktreduktionsanlage dann betriebsbereit sein, zwei Jahre darauf wäre der Anschluss an eine Wasserstoff-Fernleitung vorstellbar. (kw)

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #149.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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