Zum Ende des ersten Schulhalbjahres hat Niedersachsens Kultusministerin Julia Hamburg (Grüne) am Mittwoch aktuelle Zahlen zur Unterrichtsversorgung vorgelegt. Demnach stieg dieser Kennwert zum Stichtag 31. August 2023 auf 96,9 Prozent und liegt damit magere 0,6 Prozentpunkte höher als zur selben Zeit im Vorjahr. Angestiegen ist im selben Zeitraum allerdings auch die Zahl der Schüler: Im laufenden Schuljahr weist die Kultusstatistik insgesamt 821.376 Kinder und Jugendliche aus, die in Niedersachsen eine öffentliche allgemeinbildende Schule besuchen, was einen Zuwachs von 8964 Köpfen bedeutet.

Eine positive Gesamtbilanz kann das Kultusministerium auch beim Lehrkörper präsentieren: „Wir haben wieder mehr Lehrkräfte einstellen können, als aus dem aktiven Schuldienst ausgetreten sind. Im Kalenderjahr 2023 konnten wir insgesamt 2563 Lehrkräfte neu dazugewinnen – das sind rund 400 mehr als in Pension gegangen sind“, erläutert Hamburg. Im Einstellungsverfahren zu Beginn des Schuljahres haben demnach 1513 neue Lehrer an Niedersachsens Schulen den Dienst aufgenommen, im aktuell noch laufenden Durchgang seien es 883, wobei täglich noch neue hinzukämen. Zum jetzigen Zeitpunkt habe man knapp drei Viertel der ausgeschriebenen Stellen besetzen können. Um eine Unterrichtsversorgung von 100 Prozent zu erreichen, fehlten aber insgesamt noch rund 2000 Lehrer, erklärte Hamburg.

Dass trotz steigender Lehrerzahlen die rechnerische Unterrichtsversorgung nicht erheblich weiter angestiegen ist, habe neben den ebenfalls anschwellenden Schülerzahlen auch mit den wachsenden Ansprüchen an Schule zu tun, erläuterte die Ministerin. Zur Veranschaulichung verwies sie deshalb auf das Verhältnis von Lehrern zu Schüler, das mit 1,673 Lehrerstunden pro Schüler derzeit Ausdruck einer Qualitätssteigerung an den Schulen sei.
Gestiegen sei der Bedarf etwa aufgrund von Migration, Inklusion und Ganztagsangeboten, wobei die Ministerin darauf hinwies, dass es den Schulen seit Sommer 2022 und vorerst befristet bis 2025 erlaubt worden sei, den Ganztag auch ohne Lehrkräfte zu bestreiten – falls dies mit dem pädagogischen Konzept vereinbar sei. Die Schulen seien frei darin zu entscheiden, wie sie das ihnen zur Verfügung stehende Budget einsetzten, beispielweise auch für Kooperationen mit Sportvereinen, falls keine Lehrkräfte gefunden werden können.
Bei der Lehrerbedarfsplanung, erläuterte Hamburg, würden Geburtsstatistiken und Migrationsannahmen ebenso berücksichtigt wie bildungspolitische Entscheidungen, wie etwa der Ganztagsanspruch oder die Einführung des Pflichtfachs Informatik. Dabei müsse aber stets auch eine gewisse Improvisationszeit mit eingeplant werden, weil sich die Lehrerausbildung nur mit einem sechsjährigen Vorlauf steuern lasse. Zur Entlastung der Lehrer setzt die Kultusministerin verstärkt auf multiprofessionelle Teams, in dem auch nichtlehrendes Personal eingesetzt wird – allerdings ist auch dieses schwer zu finden.
Kultusministerin Hamburg sieht ihr Haus auf dem richtigen Weg. Die Ansätze zur Lehrkräftegewinnung ihrer Vorgänger zeigten Wirkung und auch die Anhebung der Lehrergehälter führe dazu, dass sich mehr Studienabsolventen für einen Berufseinstieg in Niedersachsen entschieden. Fünf Ansätze sollen nun weiter verfolgt werden: Um den Quereinstieg und die Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse zu vereinfachen, sollen die regionalen Landesämter gestärkt und die Verfahren beschleunigt werden.
Das Kultusministerium plant zudem ein digitales Diagnosetool anzubieten, mit dem Interessierte ihre Eignung für den Quereinstieg ermitteln sowie praktische Hinweise zu einer möglicherweise benötigten Nachqualifizierung erhalten können. Nichtlehrendes Personal soll den aktuellen Lehrkörper ebenso entlasten wie dies erweiterte Angebote aus dem „Care“-Programm leisten sollen. Mit dem Präventionsprogramm „Stark starten“ will das Kultusministerium Berufseinsteiger coachen, mit der Belastung des Schulalltags besser zurechtzukommen. Das Kultusministerium wird zudem die Gespräche im Dialogforum zur Lehrergewinnung fortsetzen, um weitere Ansatzpunkte mit den Betroffenen auszuloten.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wirft der Landesregierung vor, vieles angedacht aber wenig umgesetzt zu haben und die Bildungskrise zu verschleppen. Der GEW-Landesvorsitzende Stefan Störmer spricht von Stagnation statt Trendumkehr. Er fordert, die Ausbildungsbedingungen zu verbessern, um die Abbrecherquote zu verringern. Zudem sollten die Lehrpläne entschlackt werden, um Druck von den Lehrern zu nehmen. Gelobt wird von der GEW allein der Ausbau der Gesundheitsförderung für Lehrer.
Der CDU-Bildungspolitiker Christian Fühner wirft der Kultusministerin vor, „bisher weder grundlegende politische Aufgaben bewältigt noch neue Akzente gesetzt“ zu haben. Die CDU fordert einen Stufenplan zum Ausbau der Schulsozialarbeit sowie ein eigenes Budget für nicht besetzte Lehrerstellen, mit dem die Schulen eigenständig haushalten sollen. Zudem sollen Teilzeitkräfte zur Erhöhung ihres Stundenanteils motiviert werden. Das Kultusministerium solle außerdem den Quereinstieg verbessern, Pensionäre anwerben und Abschlüsse aus anderen Ländern einfacher anerkennen.
Olaf Brandes, Geschäftsführer der Bildungs-Stiftung Niedersachsen-Metall kritisiert, dass Lehrern zu viele Aufgaben neben dem Unterricht aufgebürdet würden. Der Schulalltag müsse sich wieder verstärkt der Vermittlung von Grundkompetenzen widmen.