2. Juni 2025 · 
MeldungGesundheit

Universität Oldenburg entwickelt jetzt ein tragbares Gerät zur Sturzprävention

Etwa dreißig Prozent der Über-65-Jährigen stürzen mindestens einmal im Jahr, berichtet Jessica Koschate-Storm, Forschungsleiterin der Abteilung Geriatrie an der Universität Oldenburg. Über das Thema sprechen viele Senioren nicht gerne. Ärzte und Forscher erhalten ehrlichere Antworten, wenn sie etwas harmloser formulieren: „Sind Sie mal hingefallen?“ Statistisch gesehen ist die Folge eines schlimmen Sturzes wie ein Oberschenkelhalsbruch häufig der Grund für den Umzug in eine stationäre Pflegeeinrichtung. Die gute Nachricht: Nur ein Viertel der Stürze sind mit Verletzungen verbunden. Reagieren sollte man aber in jedem Fall, erklärt Koschate-Storm – nicht mit einem Umzug ins Pflegeheim, sondern mit mehr körperlicher Aktivität, um die Muskelkraft und das Gleichgewicht zu verbessern. Bei einem Sturz, sagt die Sportwissenschaftlerin, spielen oft mehrere Faktoren eine Rolle: die „reaktive dynamische Balance“ kann beeinträchtigt sein, also die Fähigkeit, bei einer Störung des Gangs das Gleichgewicht wieder herzustellen, die Muskulatur, der Blutdruck, das Sehvermögen oder kognitive Fähigkeiten. Einiges davon lässt sich gut trainieren. Das Problem ist, dass viele Senioren nach einem Sturz ängstlicher werden und Bewegung eher vermeiden: ein Teufelskreis. 

PD Jessica Koschate-Storm | Foto: privat

Hier setzt das Forschungsprojekt „Personalised diagnostics of critical physical stress in everyday life“ an, an dem Koschate-Storm und Prof. Tania Zieschang von der Geriatrie gemeinsam mit Sandra Hellmers und Prof. Andreas Hein von der Abteilung Assistenzsysteme und Medizintechnik sowie Nils Strodthoff, Leiter der Abteilung „AI4Health“, arbeiten. Das Projekt wird vom Wissenschaftsministerium und der Volkswagenstiftung als Teil des Programms „Zukunft Niedersachsen“ gefördert. Das Ziel ist, sogenannte „Wearables“ zu entwickeln, also tragbare kleine Diagnosegeräte, die für mehr Sicherheit beim Treppensteigen, bei der Gartenarbeit oder beim Spazierengehen sorgen. Sie sollen ein Signal geben, wenn die sogenannte „ventilatorische Schwelle“ erreicht ist. Das ist eine Messgröße aus der Sportmedizin: Oberhalb dieser Schwelle entsteht im Körper vermehrt das Stoffwechselprodukt Laktat, das das Gleichgewicht beeinträchtigen kann. Wenn diese Schwelle überschritten wurde, sollen ältere Menschen eine Art Warnsignal erhalten. Nach dieser etwas intensiveren körperlichen Aktivität sollten sie keine anspruchsvollen koordinativen Aufgaben erledigen. Viele Sportuhren haben bereits Diagnosetools für Herz und Kreislauf, doch noch keine könne die ventilatorische Schwelle messen, erklärt Koschate-Storm. Außerdem sind die Algorithmen handelsüblicher Geräte für jüngere Menschen optimiert. Die „personalisierte Medizin“ dagegen, die mit dem Programm „Zukunft Niedersachsen“ gefördert wird, zielt darauf, mit Hilfe von Digitalisierung und KI individuell passende Lösungen für jeden Patienten zu finden. „Die Vorhaben greifen wichtige klinische Fragestellungen einer älter werdenden Gesellschaft auf und stehen für den Anspruch, wissenschaftliche Erkenntnisse zügig in die Praxis am Krankenbett zu überführen“, kommentiert Wissenschaftsminister Falko Mohrs. 

„Optimal wäre, das Gerät in ein Hilfsmittel zu integrieren, das man sowieso trägt, zum Beispiel in das Hörgerät oder in die Brille“, sagt Sandra Hellmers. „Es soll möglichst unsichtbar sein und keine Bedienung erfordern.“ Eine Alternative wäre eine Art Pflaster oder ein Armband, das mit dem Smartphone gekoppelt ist. Das Signal des Gerätes, erklärt sie, soll nicht aggressiv sein, sodass der Träger nicht erschrickt oder ungewollte Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ein Tracker, der die ventilatorische Schwelle misst, könnte später nicht nur für Senioren, sondern auch für Sportler hilfreich sein: Wer gezielt um die ventilatorische Schwelle herum trainiert, kann gezielt die individuelle Ausdauerleistungsfähigkeit steigern. Die Projektlaufzeit beträgt vier Jahre. Allerdings wird es länger dauern, kündigen die Wissenschaftlerinnen an, das Produkt bis zur Marktreife zu entwickeln. 

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #102.
Anne Beelte-Altwig
AutorinAnne Beelte-Altwig

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