Darum geht es: Die Bundesregierung will per Gesetz gegen Hasskommentare im Internet vorgehen. Werden offensichtlich strafbare Inhalte nicht gelöscht, sollen Bußgelder von bis zu 50 Millionen Euro drohen. Ein Kommentar von Martin Brüning.

Es ist zum Teil unappetitlich, was in den sozialen Netzwerken zu lesen ist. So antwortet ein User auf der Facebook-Seite der AfD Niedersachsen unter einer Meldung über den Familiennachzug bei syrischen Flüchtlingen: „Die werden natürlich ihren ankommenden Frauen als erstes ein neues Kind verpassen.“ Und eine andere scheibt: „Der ‚Brandbeschleuniger‘ ist also abgefeuert!“ Auf der Facebook-Seite der niedersächsischen SPD kommentiert jemand, die SPD möge ihre „Schuldkultur jemanden anderem aufzwingen – vielleicht den Israelis , wegen fast 50-jähriger Unterdrückung der Palästinenser. Aber hört endlich auf damit in Deutschland!!!“ Das Ausrufezeichen ist das Kennzeichen des Wutbürgers in sozialen Medien – je mehr Ausrufezeichen, desto größer die Wut. In den sozialen Medien kann man häufig weder von Debatten noch von Kultur sprechen. Allerdings kennzeichnet das nicht automatisch eine strafbare Aussage. Strafbar oder nicht: darüber sollen nach dem Willen der Bundesregierung demnächst private Unternehmen entscheiden.

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Die Androhung von horrenden Strafen von bis zu 50 Millionen Euro für Unternehmen, die offensichtlich rechtswidrige Aussagen nicht löschen, ist vermutlich eher der nahenden Bundestagwahl geschuldet. Da haut man besser laut und kräftig auf den Tisch, um auch gehört zu werden. Ob und wieviel ein Unternehmen am Ende überhaupt bezahlen muss, ist dabei noch lange nicht ausgemacht. Schließlich wurden der Gesetzentwurf in letzter Minute noch ein wenig entschärft. So soll in Einzelfällen berücksichtigt werden können, wenn Unternehmen nicht innerhalb eines Tages aufklären können, ob eine Nachricht wirklich der Kategorie Fake-News zuzuordnen ist.

Viel bedenklicher ist dagegen die Intention, die Entscheidung darüber, was von der Meinungsfreiheit gedeckt ist und was nicht, zu privatisieren. Warum sollten Facebook oder Twitter entscheiden, was jemand sagen darf, und was nicht? Natürlich wird mit dem Gesetzentwurf nicht die Meinungsfreiheit abgeschafft. Aber sie wird in Teilbereichen in Hände gelegt, in die sie nicht hineingehört und die dieser Aufgabe auch nicht gewachsen sind. Das Gesetz, wenn es denn so verabschiedet wird, könnte im schlechtesten Fall durchaus regelrechte Löschorgien zur Folge haben. Damit würden die Unternehmen auf Nummer sicher gehen, um Bußgelder zu vermeiden. Möglicherweise wäre es auch gar nicht anders möglich. Alle 60 Sekunden wird auf Facebook 300.000 mal etwas veröffentlicht, auf Twitter sogar 350.000 mal. Wer soll da den Überblick behalten? Die Unternehmen müssten Technik einsetzen, um strafrechtlich relevante Inhalte zu erkennen und zu löschen. Die Vorstellung, dass ein Facebook-Jurist über einem Kommentar brütet, ob dieser nun strafrechtlich relevant ist oder nicht, wird nicht der Realität entsprechen.

Durch die Fixierung auf die Unternehmen kommt zudem in der Debatte die Eigenverantwortung der Nutzer leider immer etwas zu kurz. Wer eine Facebook-Seite besitzt, sollte auch Verantwortung für seine Seite übernehmen. Was dort passiert, kann beeinflusst und Kommentare können gelöscht werden. Auch fragwürdige Veröffentlichungen von anderen können gemeldet werden. Ein soziales Netzwerk ist immer so stark wie seine Nutzer. Wir können Beiträge verbergen und ganze Seiten abbestellen. Auch auf Facebook gibt es den roten Knopf. Peter Lustig hätte in der Sendung „Löwenzahn“ gesagt: „Abschalten!“

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Übrigens: Diesen Kommentar lesen Sie auch direkt auf Facebook. Mit dem neuen Gesetz könnte Facebook darüber entscheiden, ob er dort gelöscht wird.

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