28. Apr. 2025 · Wirtschaft

Trotz scharfer Kritik stimmen die Aktionäre dem Plan für die Continental-Zerschlagung zu

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Vor dem Portal mit seinen schweren Säulen flattern orangefarbene Continental-Fahnen müde im Wind. Ein E-Scooter lehnt verloren an der Straßenbahnschiene, ein paar Aktionäre stehen in kleinen Grüppchen, scherzen, rauchen, diskutieren. Im Foyer müssen die Aktionäre wie am Flughafen zunächst eine Taschenkontrolle durchlaufen. Der Kuppelsaal, ausgeleuchtet vom matten Schein der Bühnenscheinwerfer, füllt sich langsam. Einige Conti-Mitarbeiter sortieren noch Unterlagen auf den Tischen des Präsidiums, das sich hier in wenigen Minuten wie eine Jury gegenüber dem Publikum aufreihen wird. Neben der Bühne: ein einzelnes Stehpult, flankiert von Conti-Gelb. Hier, im mehr als 100 Jahre alten Hannover-Congress-Centrum, will der Vorstand des noch älteren Traditionskonzerns heute Geschichte schreiben – und den Grundstein für seine eigene Zerschlagung legen.

„Wir haben heute wegweisende Entscheidungen auf der Tagesordnung“, sagt Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle zu Beginn. Kein rhetorisches Vorgeplänkel. Kein Lächeln. Stattdessen der Tonfall eines Mannes, der gleich ein Kapitel zum Abschluss bringt. Die Strategie für den radikalen Umbau hat der Vorstand schon im vergangenen Jahr vorgelegt, gestützt vom Aufsichtsrat. Jetzt geht es um die Umsetzung. Drei Teile soll der Konzern künftig haben – drei „Champions in ihrer jeweiligen Industrie“, wie es Reitzle nennt: Aumovio für softwaregetriebene Mobilität, Contitech als spezialisierter Industrieausrüster und Continental selbst, konzentriert auf das weltweite Reifengeschäft.

Nikolai Setzer und Prof. Wolfgang Reitzle posieren vor der Hauptversammlung für ein Foto. | Foto: Continental AG

Es sei, sagt Reitzle, die „logische und konsequente Antwort auf die fundamentalen Veränderungen, die wir seit einigen Jahren auf den Märkten erleben“. Der Kapitalmarkt honoriere spezialisierte Unternehmen deutlich besser als breit aufgestellte Mischkonzerne. Zudem steige der Druck auf die Industriestandorte in Deutschland und Europa – „weil die politischen Rahmenbedingungen nicht Schritt halten“. Arbeit und Energie seien hierzulande so teuer wie fast nirgendwo sonst, der Kostendruck wachse stetig. „Unternehmen, die nicht nur überleben, sondern auch wertsteigender wachsen wollen, brauchen Tempo und Flexibilität.“ Die neue Struktur sei daher kein Bruch, sondern der nächste logische Schritt – mit dem Ziel, „Continental in drei hochspezialisierte Unternehmen zu überführen, die in ihrem Bereich zu den besten zählen wollen“.

Nikolai Setzer, Vorstandschef seit vier Jahren, tritt ans Mikrofon und wird wehmütig. „Fast genau vor 28 Jahren hatte ich meinen ersten Tag, in der Abteilung für Reifentests“, erinnert sich der CEO. Damals sei Continental gerade erst zum Systemlieferanten aufgestiegen. In seiner Rede zeichnet Setzer ein Bild vom Wandel als Teil der Unternehmensidentität – von der Pferdehuf-Puffer-Manufaktur bis zum Hightech-Lieferanten für autonomes Fahren. „So, wie es die Zeit und die Umstände von uns verlangten“, sagt Setzer, „haben wir uns immer wieder neu erfunden.“ Jetzt also der nächste große Schritt. Ein mutiger, ein notwendiger, wie er betont. Denn nur fokussierte, agile Unternehmen könnten im Wettbewerb bestehen – nicht mehr der klassische Mischkonzern. Automotive, Tires, Contitech – jeder Bereich ein eigener Player, unterstützt von einer „schlanken Holding“. „Heute wollen wir gemeinsam Continental verändern. Und neue Kräfte freisetzen.“ Die Bühne dafür sei bereit.

Nach der Präsentation des Vorstands beginnt die Generaldebatte – und sie wird rasch zum Ventil für aufgestauten Frust. Als erster tritt Christian Retkowski ans Rednerpult, Vertreter der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger. Er bleibt sachlich, aber bestimmt: Die geplante Aufspaltung sei ein riskanter Schritt, der bestehende Probleme nicht löse. „Die hausgemachten Schwierigkeiten – von Compliance-Verstößen bis zu Kartellverfahren – werden mit der Abspaltung der Automotive-Sparte nicht einfach verschwinden“, sagt Retkowski. Er verweist auf einen tiefen Vertrauensverlust – bei Anlegern wie in der Belegschaft. Und er stellt die Frage, die viele umtreibt: „Wie wollen Sie das Vertrauen zurückgewinnen, ohne die Belegschaft auf diesem Weg wirklich mitzunehmen?“ Zudem erinnert er daran, wie schwach sich die Aktie entwickelt habe. Während der Dax in den letzten zehn Jahren deutlich zugelegt habe, sei Continental weit abgeschlagen – „neben Bayer die schlechteste Performance im Dax“, so Retkowski. „Ich persönlich hatte immer das Gefühl, dass bei der Continental immer zu sehr der Fokus auf visionäre Zukunftsaussichten lag“, kritisiert er. Die Aktie sei für viele nur deswegen eher eine Wette auf die ferne Zukunft des autonomen Fahrens gewesen. Dass Continental auch für gute Reifen und hervorragende Bremsen stehe, habe dagegen kaum Gewicht entfalten können.

Aktionärsvertreter Christian Retkowski kritisiert die schlechte Kursentwicklung bei Continental. | Foto: Link

Ina Jähne, Rechtsanwältin aus Hannover und Vertreterin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, spricht den millionenschweren Neubau der Konzernzentrale an. „Ich habe dort nur wenige Arbeitsplätze gesehen, die genutzt werden, und habe mich gefragt, ob dieser Bau nicht völlig überdimensioniert für die Neuaufstellung der Continental ist“, sagt sie. Ihr Eindruck: Als der Komplex geplant und genehmigt wurde, habe noch niemand an eine Dreiteilung des Konzerns gedacht. Weitsichtiges Handeln sehe anders aus. CEO Setzer widerspricht, ohne belastbare Zahlen zur Auslastung zu nennen. Diese Zentrale sei „angemessen“, versichert er nur. Und ergänzt: „In Hannover haben wir sehr viele Mitarbeiter.“

Danach wird es persönlicher. Angela Banfield-Fox, langjährige Betriebsrätin und ehemalige Aufsichtsrätin, bleibt ruhig, ist aber sichtbar aufgewühlt. „In Wetzlar hängen wir mit null Perspektive“, sagt sie. 80 Jahre habe es den Standort gegeben, jetzt sei plötzlich von Entlassungen die Rede. „Man hat uns erst versprochen, es gebe keine Versetzungen. Und dann sollten auf einmal alle außer 18 Personen gehen.“ Ihre Botschaft: Wer Wandel will, muss ihn mit den Beschäftigten gestalten – nicht gegen sie. Erwin Wörle, früher selbst bei Continental in Führungsverantwortung, wird grundsätzlicher: „Die Zerschlagung ist eine Notschlachtung.“ Seit 2019 habe man die Automotive-Sparte dreimal umgebaut, ohne echten Erfolg. „Von einer Murkserei zur nächsten.“ Der Aufsichtsrat, so Wörle, habe zu lange zugesehen – und sei nun mitverantwortlich. Vorstandschef Setzer greift er offen an: „Automotive wird endlich von Ihnen befreit – höchste Zeit.“ Auch Christiane Benner von der IG Metall bleibt nicht verschont. Wörle wirft ihr vor, den Arbeitsplatzabbau nicht verhindert zu haben. „Wie kriegen Sie es zusammen, Continental einerseits öffentlich zu kritisieren – und andererseits die Schließung eines Standorts mitzutragen?“

Gerhard Janotta, von 1985 bis 2019 im Unternehmen, davon viele Jahre in Führungsfunktionen, spricht mit sichtbarer Enttäuschung über die Entwicklung des Konzerns. „Eine Continental, die nur Reifen gemacht hat, hat es nie gegeben“, erinnert er. Die Aufspaltung, die vom Vorstand beschlossen wurde, sieht er sehr kritisch. Auch deswegen, weil von den Entscheidungsträgern künftig fast niemand mehr an Bord sein wird: Personalvorständin Ariane Reinhart verlässt das Unternehmen im Juni, Finanzchef Olaf Schick wechselt im Herbst zu Mercedes-Benz, Philipp von Hirschheydt wird neuer Aumovio-Chef – und selbst CEO Nikolai Setzer hat seinen Abschied für das Jahr 2026 angekündigt. „Demnächst ist niemand mehr da, den der Fehler der eigenen Entscheidung auch einholen kann“, sagt Janotta und trauert um die einstigen Strukturen. „Die Conti, in die ich damals eingetreten bin, war ein familiäres Unternehmen. Das gibt es heute nicht mehr.“ Gute Stimmung, so Janotta, sorge für gute Leistung – doch aktuell komme mancher nur noch, um sein Gehalt abzuholen.

Martin Landsiegel, selbst betroffen von den Umstrukturierungen, zweifelt an der Argumentation des Vorstands. Die Entscheidungsgeschwindigkeit, die Aumovio künftig ermöglichen soll, hätte man auch innerhalb des bestehenden Konzerns realisieren können, meint er. „Warum hat man diese Freiheit nicht genutzt, solange man sie noch hatte?“ Stattdessen drohe man nun, Strukturen zu zerschlagen, ohne die Belegschaft mitzunehmen. „In der Belegschaft, der ich angehöre, sehe ich keine breite Akzeptanz. Gerade an den Standorten, an denen jetzt gekürzt wird, herrscht alles andere als Zustimmung.“ Und dann, als wäre das alles noch nicht deutlich genug gewesen, kommt Aktionär Erwin Müller ans Mikrofon. „Warum wollt ihr’s denn loswerden, wenn alles so wunderbar ist?“, ruft er in Richtung Vorstand und Aufsichtsrat. Es ist keine Frage, es ist eine Anklage. „In was für eine Vorstellung bin ich denn hier gelandet? Das ist ja krass.“ Müller schimpft über Parkgebühren, über zu wenige Brötchen, über mangelnde Ehrlichkeit. Und dann schleudert er den Satz in den Saal, der noch lange nachhallt: „Wenn Sie pleite sind, dann erzählen Sie’s bitte!“

Auf dem Podium gibt man sich unbeeindruckt. Vorstandschef Nikolai Setzer verweist auf die strategische Vorbereitung und betont: „Es ist ein Schritt, der neue Chancen schafft – für die Aktionäre, die Kunden und die Mitarbeiter.“ Der geplante Verkauf von Contitech bringe Tempo und wirtschaftlichen Nutzen, ein Spin-off sei langwieriger und unsicherer. Finanzchef Olaf Schick ergänzt: „Sonderdividenden oder Aktienrückkäufe – beides ist denkbar. Die Aktionäre sollen beteiligt werden.“ Bevor abgestimmt wird, meldet sich noch einmal Wolfgang Reitzle. Er weist die Kritik an einzelnen Vorstandsmitgliedern und am Hauptaktionär entschieden zurück – auch die an Georg Schaeffler. „Die Unternehmerfamilie Schaeffler ist ein Glücksfall für dieses Unternehmen“, sagt er. Der Umbau sei richtig und notwendig. Dann erfolgt die Abstimmung. Die Zustimmung zur Abspaltung fällt deutlich aus. Der Umbau ist beschlossen. Als die ersten Aktionäre das HCC wieder verlassen, hat sich der Himmel über Hannover zugezogen. Die orangefarbenen Fahnen flattern jetzt etwas lebendiger in der Brise. Der Himmel jedoch hat sich verdunkelt.

Roland Welzbacher wird neuer Finanzvorstand bei Continental. | Foto: Continental A
  • Neuer CFO gefunden: Roland Welzbacher rückt zum 1. August in den Continental-Vorstand auf und übernimmt ab Oktober die Aufgabe des Finanzvorstands. Er folgt auf Olaf Schick, der wieder zurück zur Mercedes-Benz-Gruppe wechselt. Welzbacher kennt das Unternehmen seit mehr als zwei Jahrzehnten. Der studierte Betriebswirt verantwortet seit 2023 die Finanzen im Geschäftsbereich „Tires“ und bleibt in dieser Funktion auch weiterhin tätig. Zuvor war er unter anderem Chef der Semperit Reifen GmbH und leitete das Ersatzgeschäft für Fahrzeughersteller und Flotten.
Dieser Artikel erschien am 28.4.2025 in Ausgabe #079.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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