25. Feb. 2024 · 
Wirtschaft

Tennet-Chef Meyerjürgens im Interview: "Planungsbeschleunigung zeigt erste Ergebnisse"

Der Deutschland-Chef des Stromnetzbetreibers Tennet steht einem wachsenden Unternehmen vor – die Vorhaben für die nächsten Jahre sind gewaltig. Gleichzeitig peilt Tennet einen Eigentümerwechsel an. Bei der Abstimmung zum „Niedersachsen des Jahres 2023“ ist der 48-jährige Oldenburger Tim Meyerjürgens als Sieger auf dem ersten Platz hervorgegangen. Er äußert sich im Interview mit dem Politikjournal Rundblick.

Tim Meyerjürgens ist Niedersachse des Jahres 2023. | Foto: Link

Rundblick: Herr Meyerjürgens, während wir hier reden, verhandeln der deutsche und der niederländische Staat über einen Verkauf Ihres Unternehmens. Die deutsche Regierung will neuer Eigentümer werden anstelle des niederländischen Staates. Schon vor Monaten wurde ein Abschluss erwartet, bis heute gibt es keinen – warum?

Meyerjürgens: Die Verhandlungen laufen, auch unter Beteiligung der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Sehen Sie es mir nach, dass ich zu Details gerade nichts sagen kann.

Rundblick: Warum wird denn ein Verkauf überhaupt angepeilt?

Meyerjürgens: Als Tennet, das zu 100 Prozent dem niederländischen Staat gehört, vor rund 15 Jahren das deutsche Stromnetz gekauft hat, war das Ausmaß der Energiewende von heute noch nicht absehbar. Damals erwartete man einen Investitionsbedarf von etwa drei bis vier Milliarden Euro, wofür kein zusätzliches staatliches Eigenkapital erforderlich war. Heute ist die Aufgabe der Energiewende jedoch so groß geworden, dass wir in den nächsten Jahren Investitionen von über 100 Milliarden Euro erwarten und dafür eine kräftige Stärkung des Eigenkapitals benötigen.

Tennet hat 2023 so viel wie nie in den Netzausbau investiert, zum Beispiel in den Bau einer Landstation für Offshore-Strom bei Emden. | Foto: Tennet

Rundblick: Ihr Unternehmen hat die Investitionen in den vergangenen Jahren erheblich gesteigert. Wie sind die Größenordnungen?

Meyerjürgens: Im kommenden Jahr investieren wir etwa zehn Milliarden Euro in den Netzausbau – zu 60 Prozent in Deutschland, zu 40 Prozent in den Niederlanden. 2022 hatten wir noch eine Investitionssumme von 4,5 Milliarden Euro, 2023 wurde es schon knapp verdoppelt.

Rundblick: Bei Ihnen stehen 26 Neubauvorhaben auf der Liste. Was sind die wichtigsten und welche Vorteile sind mit den Projekten verbunden?

Meyerjürgens: Südlink ist das prominenteste und verbindet Nord- mit Süddeutschland. Es ist eines der wichtigsten Projekte der Energiewende und das erste einer neuen Generation von Gleichstromprojekten. Südostlink ist die zweite große Trasse dieser Art. Südostlink wird Ende 2027 in Betrieb gehen, Südlink dann im Jahr darauf. Im neuen Netzentwicklungsplan sind fünf weitere Gleichstrom-Projekte verankert, und viele kleinere Vorhaben im Wechselstrombereich. Wenn viel Wind weht, müssen derzeit viele Windräder im Norden abgeregelt werden – da die Netze zu schwach sind, den zusätzlichen Strom aufzunehmen. Dadurch, dass wir die Lücken im Stromnetz schließen und neue Stromtransportleitungen aufbauen, werden diese Engpässe im Netz sukzessive beseitigt. Es kann dann in der Folge also mehr Strom aufgenommen und verteilt werden. Jede neue Leitung hilft die Abregelungen zu verringern.

Mit Elan für die Energiewende: Stephan Weil (Mitte) und Tim Meyerjürgens (2.v.r.) setzen den symbolischen ersten Spatenstich für ein Südlink-Testfeld. | Foto: Link

Rundblick: Das alles geht doch aber viel, viel zu langsam voran – oder?

Meyerjürgens: Als wir 2012 mit der Südlink-Planung als Freileitung starteten, war unser Ziel, diese Leitung 2022 in Betrieb zu haben. Obwohl wir als Netzbetreiber ganz klar die Konsequenzen aufgezeigt haben, kam 2015 die politische Entscheidung, anstelle von Freileitungen die Erdverkabelung vorzunehmen – ein Schritt, der alles teurer und aufwändiger gemacht hat. Damit war die Arbeit der ersten drei Jahre plötzlich für den Papierkorb. Dann kam die gesetzliche Neuerung der Bundesbedarfsplanung, das hat die Planungsphase noch mal länger gemacht. Nun aber haben wir seit fünf Jahren eine neue Zielzahl, die heißt 2028, und daran halten wir fest. Für die neueren Projekte greifen inzwischen die von der Ampelregierung eingeführten Beschleunigungsmaßnahmen. Das heißt zum Beispiel, für viele Projekte sind nun keine vorgeschalteten Raumordnungsverfahren mehr nötig, wir können gleich mit den Planfeststellungsverfahren starten. Heute gehen wir von deutlich kürzeren Zeiten bis zur Fertigstellung aus, die von der Politik versprochene Planungsbeschleunigung zeigt schon erste positive Ergebnisse. Bei der Stromtrasse von Ganderkesee nach St. Hülfe hat es von der Planung bis zur Inbetriebnahme noch 20 Jahre gedauert, bei der Westküstenleitung von der dänischen Grenze bis Brunsbüttel waren es dann zehn Jahre. Für die Industrieleitung nach Salzgitter rechnen wir nur noch mit fünf Jahren.

Tim Meyerjürgens (Mitte) redet mit Klaus Wallbaum und Christian Wilhelm Link über die Energiewende. | Foto: Matthias Fischer/Tennet

Rundblick: Sie gelten als Fan der Erneuerbaren Energien. Wie kam es dazu?

Meyerjürgens: Von Beruf bin ich Diplomingenieur für Elektrotechnik, und in dieser Branche bin ich seit 28 Jahren, seit fünf Jahren in meiner jetzigen Rolle. Energieversorgung, Hochspannung und die Integration von Erneuerbaren Energien haben mich schon immer fasziniert. Als ich in dieser Branche anfing, hieß es noch: Die Erneuerbaren können maximal zwei Prozent zur Stromproduktion beisteuern. Das haben wir inzwischen widerlegt, der Anteil der Erneuerbaren im Netz liegt heute im Durchschnitt bei 50 Prozent. Zur erfolgreichen Energiewende gehört nun noch, dass wir bewusst und klug mit den Angeboten umgehen. Günstiger Strom wird produziert, wenn viel Sonne scheint oder viel Wind weht.

Im Dezember 2023 sind die Bauarbeiten für die Südlink-Elbquerung gestartet. 2028 soll die neue Stromautobahn in Betrieb gehen. | Foto: Tennet

Rundblick: Was heißt das für den Verbraucher?

Meyerjürgens: Es muss Modelle geben, den Strompreis nicht als Fixpreis anzubieten, sondern an das Angebot von Erneuerbaren Energien zu koppeln. Dann kann sich jede Viertelstunde der Preis ändern, weil die Bedingungen der Stromerzeugung sich ändern. Ein modernes System kann es den Verbrauchern erlauben, auf solche veränderten Bedingungen zu reagieren: Elektroautos können dann aufladen und die Waschmaschine dann laufen, wenn der Wind weht und der Strompreis günstig ist. Durch Digitalisierung ließe sich das problemlos „smart“ mit dem heimischen Stromzähler koppeln.

Rundblick: Das verlangt den Verbrauchern aber eine Menge Flexibilität ab…

Meyerjürgens: Das kann man hinbekommen. In den Niederlanden ist man da schon viel weiter, dort gehört diese Form der Preissteuerung längst zur Normalität. Das können wir genauso in Deutschland umsetzen. Der nächste Schritt dazu ist, dass auch wir mit der Markteinführung intelligenter Stromzähler vorankommen.

Tim Meyerjürgens (links) bekommt von Christian Wilhelm Link die Rundblick-Krone. Der Tennet-COO hat die Wahl zum „Niedersachsen des Jahres 2023“ gewonnen. | Foto: Klaus Wallbaum

Rundblick: Die Landesregierung weckt mit dem Leitspruch „Industrie folgt Energie“ die Hoffnung auf große Neuansiedlungen in Niedersachsen. Bisher sind diese aber ausgeblieben. Liegt das vielleicht auch am überlasteten Stromnetz?

Meyerjürgens: Nein, tatsächlich sind solche großen Projekte an der Küste sogar eher netzentlastend. Northvolt hat sich mit Heide in Schleswig-Holstein für einen wichtigen Knotenpunkt im Stromnetz entschieden, solche Standorte gibt es auch in Niedersachsen. Neuansiedlungen sind hier durchaus attraktiv, aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht Nord- und Süddeutschland gegeneinander ausspielen. Wichtig ist, dass wir die Kosten im Blick behalten und auf effiziente Lösungen wie zum Beispiel Freileitungen an Stelle von Erdverkabelung setzen, um überall im Land und darüber hinaus in Europa die Energiepreise in einem gewissen Rahmen zu halten. Nur so werden wir gemeinsam im Weltmarkt die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie erhalten können.

Dieser Artikel erschien am 26.2.2024 in Ausgabe #036.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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