24. Okt. 2023 · 
TagesKolumne

TagesKolumne: Von Sahra geträumt…

Neulich erschien mir Sahra Wagenknecht im Traum. Es war im Sommer 2026, ein gutes Jahr vor der niedersächsischen Landtagswahl. Sie saß in einer Pressekonferenz im Alten Rathaus in Hannover neben Doris Schröder-Köpf, der bisherigen SPD-Landtagsabgeordneten. Schröder-Köpf gehörte jetzt zum „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW), der neuen Links-Rechts-Mitte-Partei auf der politischen Bühne. Beide verkündeten, sie wollten „die Politik besser machen als Rot-Grün“.

Doris Schröder-Köpf und Sahra Wagenknecht bei der BSW-Pressekonferenz im Alten Rathaus im Sommer 2026. | Foto: Staatskanzlei, Altes Rathaus, BSW, Montage: Rundblick/Link

Zeitsprung, anderthalb Jahre später – der Abend der Landtagswahl. Das Ergebnis lautet wie folgt: CDU 32 Prozent, stärkste Partei. SPD 30 Prozent. An dritter Stelle rangiert das BSW mit 18 Prozent, gefolgt von den Grünen auf Platz vier mit 12 Prozent. Und die AfD, der Umfrage-König auf dem Jahr 2023, schneidet mit nur 6 Prozent bescheiden ab. FDP und Linke verpassen wieder den Einzug in das Parlament.

Was geschieht nun? Im Traum hat Sahra Wagenknecht ihr Ziel erreicht, die AfD geschrumpft und alle Russland-Versteher, Befürworter einer strengen Steuerung der Migration und Gegner einer Politik, die Minderheitenrechte betont und Gendersprache verachtet, für ihre neue Partei mobilisieren können. Und da das BSW anders als die AfD eine unmissverständliche Abgrenzung zu allen rechtsradikalen Strömungen vertritt, ist sie für die anderen Parteien auch koalitionsfähig. Ministerpräsident Olaf Lies (SPD) versucht sodann, mit Grünen und BSW eine Dreierkoalition zu bilden. Doch das ist wenig aussichtsreich, da die Grünen mit dem BSW nichts zu tun haben wollen. Selbst Lies‘ Überredungskünste haben keinen Erfolg. Also kommt die Chance für Sebastian Lechner von der CDU. Er rauft sich mit der BSW-Spitzenkandidatin Doris Schröder-Köpf zusammen und vereinbart eine Koalition. Die SPD und Olaf Lies werden auf die Oppositionsbänke geschickt, die Grünen mit Julia Hamburg und Christian Meyer auch.



Als es gerade um den neuen Koalitionsvertrag ging, bin ich aufgewacht. Dabei wäre gerade das spannend geworden. Wie verhalten sich die Atlantiker von der CDU mit den Russland-Freunden vom BSW im Bundesrat? Und vor allem: Welche Leute bietet das BSW auf. Wird es gelingen, noch weitere Überläufer aus anderen Parteien zu gewinnen?

Da merkt man, dass das alles eben nur ein Traum gewesen sein konnte. Noch ist ein solches Szenario weit, weit weg von der Realität. Die Unebenheiten im Programm sind nicht mal das größte Problem des BSW, schon so viele haben hier einen großen Spagat geschafft. Hauptsache, man schafft für alle Unzufriedenen ein wohlig-angenehmes Gefühl der Zugehörigkeit. Weit wichtiger ist es, gute Leute für die politischen Ämter zu finden. Eine Wagenknecht kann nicht alles, im Europaparlament, Bundestag und in mehreren Landtagen sitzen. Sie dient nur als Ikone, als abgehobene Leitfigur. Darunter muss eine Mannschaft mit klugen Köpfen kommen – erfahrene, angesehene und umgängliche Leute. Bei der Linken, der früheren Heimat von Wagenknecht, gibt es davon nur eine begrenzte Anzahl. Und ob eine wie Schröder-Köpf je auf den Gedanken käme, beim BSW mitzumachen, darf man ja auch bezweifeln.

Also wird der Traum wohl realitätsfern bleiben. Obwohl, ehrlich gesagt, das BSW verlockend klingt – es wäre ein Sammelbecken für alle Nörgler und Zweifler, zugleich aber eine Kraft, mit der SPD und CDU koalieren könnten.

Wenden wir uns dem morgigen Rundblick und der Wirklichkeit zu:

Antisemitismus: Bei Polizei und Justiz gibt es Bestrebungen, die antisemitischen Straftaten genauer zu analysieren und besser als bisher zuzuordnen. Längst nicht alles, was Juden-Feindlichkeit ausdrückt und ohne erkennbaren Täter bleibt, ist rechtsextremistisch motiviert.

Behindertenwerkstätten: Viele Menschen, die in Werkstätten für Behinderte arbeiten, finden den Absprung in den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht – obwohl sie es gern möchten.

Kirchentag 2025 in Hannover: Was erwartet uns im übernächsten Jahr, wenn in Hannover der nächste evangelische Kirchentag stattfindet? Niklas Kleinwächter hat mit Anja Siegesmund gesprochen, der Kirchentagspräsidentin. Sie war lange in der Thüringer Landespolitik aktiv, als Grünen-Politikerin und Umweltministerin. Nun erklärt sie, warum der Kirchentag dabei helfen kann, dass die Menschen in den schwierigen Krisenzeiten ihren Mut nicht verlieren.



Für die kommende Nacht wünsche ich Ihnen einen guten Schlaf – möglichst ohne Träume, die von einem Polit-Thriller geprägt sind.

Klaus Wallbaum

Dieser Artikel erschien am 24.10.2023 in Ausgabe #184.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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