TagesKolumne: Von der Provinz in die Hölle
Für die Technikbegeisterten unter Ihnen wird die heutige Rundblick-Ausgabe ein Fest. Wir beleuchten:
- Warum ist längst nicht sicher, dass ab 2029 Atommüll im Schacht Konrad gelagert werden kann?
- Wer speichert die Energie, wenn Wind und Sonne gerade mehr Strom liefern, als gebraucht wird?
- Welche Baustellen (im engeren und im übertragenen Sinn) erwarten den neuen Wirtschaftsminister?
Für alle, die eher schöngeistig unterwegs sind, ist auch etwas dabei. Die TagesKolumne stellt die Stipendiatinnen und Stipendiaten der niedersächsischen Literaturstipendien vor. Um das schon mal vorwegzunehmen: Es wird apkalyptisch! Ein Jahresstipendium geht an Jakob Nolte, der mit dem Krimi „Die Frau mit den vier Armen“ das Genre des „Niedersachsen Noir“ kreiert hat. Mit seinem Romanprojekt „Die Haselblatts“ will der vom Deister stammende Autor nichts Geringes als „Familie neu erzählen und nicht nur der niedersächsischen Provinz ein literarisches Denkmal setzen“, wie die Literaturkommission des Landes ankündigt. Dazu knüpfe er an die „Tradition des Phantastischen Realismus“ an. Jetzt wird es interessant, oder? Phantastischen Realismus verbindet man im deutschsprachigen Raum eher mit Malerei, mit „mythischen Themen, kosmischen Träumen, alttestamentarischen Fabeln und apokalyptischen Visionen“, wie DuMonts Kleines Sachwörterbuch zur Kunst des 20. Jahrhunderts informiert. Stellen Sie sich das alles mal in der niedersächsischen Provinz vor!

Europäer, behauptete der auf Kuba aufgewachsene Autor Alejo Carpentier 1949, kriegen das überhaupt nicht hin, diese Verbindung von Realismus mit dem Magischen und Mythologischen. In Lateinamerika sei der Glaube an Mythen und Geister ganz natürlich im Alltag integriert. Bei uns dagegen, den Europäern, habe die Aufklärung den Sinn für das „wunderbar Wirkliche“ kaputt gemacht. Hm, hat er Recht? Wenn man gegen Ende des Jahres in eine normale niedersächsische Buchhandlung geht, könnte man den Eindruck gewinnen, wir tun tagelang nichts anderes, als Geister zu beschwören und in die Zukunft zu blicken. Aber wahrscheinlich würde die Mehrheit der Leute, die Räucherwerk und Raunachtskalender kaufen, eher gerne daran glauben, als dass sie restlos überzeugt wäre. Vielleicht führt das aktuelle Revival unserer fast verlorenen Sprache, des Plattdeutschen, ja auch dazu, dass wir uns unserer ganz alten Wurzeln wieder bewusst werden? Die Kolumnistin ist jedenfalls sehr gespannt, ob Jakob Nolte es schafft, die These des kubanischen Kollegen zu widerlegen.

Thematisch bleiben wir gleich bei der Apokalypse und kommen zum Kinder- und Jugendbuchstipendium. Das geht an Katja Hemkentokrax aus Oldenburg, die uns in die „skurrilen Abgründe höllischer Verwaltung“ führen will. Das kommt Ihnen bekannt vor? Dann haben Sie vielleicht dieser Tage unsere Serie zum Bürokratieabbau gelesen. Bei Hemkentokrax geraten die Beamten der Hölle an ihre Grenzen, als sie zu empfindlichen Einsparmaßnahmen gezwungen werden. Ich liebe es jetzt schon – und muss an die Serie „Good Omens“ bei Amazon Prime denken. Hier erinnert die Hölle eher an eine Rockerkneipe, während der Himmel neonhell erleuchtet und bürokratisch durchorganisiert ist. Dem nach himmlischen Maßstäben viel zu menschlichen Engel Aziraphale wird noch am Jüngsten Tag angekreidet, dass er am Anfang der Zeiten ein Flammenschwert hat verschwinden lassen. Theologisch gesehen, ist die Hölle ja dem Himmel gegenüber weisungsgebunden. Insofern fürchte ich, dass an der These etwas dran ist, dass die Bürokratie in Wahrheit im Himmel erfunden wurde.

Außerdem lesen wir demnächst einen Roman über einen Zensor, der ,anstößige‘ Szenen aus Filmen löscht und aufgrund dieser Tätigkeit langsam die Kontrolle über sein Leben verliert. Arzu Altuğ wird ihn aus dem Türkischen übersetzen. Sool Park lässt sich für seine „Halbinselgeschichten“ von der offenbar inzwischen untergegangenen mündlichen Erzähltradition Koreas inspirieren. Da freuen wir uns doch auf den Vergleich mit dem Phantastischen Realismus in der niedersächsischen Provinz!
Jetzt hoffe ich erstmal, dass Sie sich auf diesen Donnerstag freuen können!
Ihre Anne Beelte-Altwig
Dieser Artikel erschien am 17.04.2025 in der Ausgabe #074.
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