Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte in der vergangenen Woche seinen Amtssitz nach Nordhorn verlegt – ein aus Sicht vieler Grafschafter längst überfälliger Schritt. Umso größer war die Enttäuschung, dass das Staatsoberhaupt nach drei Tagen das Hotel Riverside am Vechtesee wieder gegen das Schloss Bellevue an der Spree eintauschte. „Nordhorn ist eine Stadt, die sich nach der tiefen Krise, nach dem Ende der Textilindustrie, wieder nach oben geschafft hat“, lobte Steinmeier jedoch zum Abschied und fügte hinzu: „Ich bin fest davon überzeugt, dass dieses Beispiel ein Mutmacher für viele andere Orte in Deutschland sein kann.“ Mit seiner Macht der warmen Worte taute der Bundespräsident sogar die Herzen der eher als gefühlskalt bekannten Nordhorner auf. „Der erste Besuchstag hat bei schönstem Wetter bei vielen Menschen für Begeisterung gesorgt“, berichtete Bürgermeister Thomas Berling. Der eine oder andere Südwestniedersachse soll sogar gelächelt haben.

„Wenn er schon mal da ist, kann er auch die Vechte sauber machen“, dachte sich Nordhorns Zoodirektor Nils Kramer (Mitte, links) und drückte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (Mitte, rechts) bei der gemeinsamen Bootsfahrt einen Kescher in die Hand. | Foto: Foto Graf

Dass Steinmeier ausgerechnet eine niedersächsische Grenzregion besucht hat, ist kein Zufall. Unter den Nachfahren Herzog Widukinds breitet sich eine gewisse Aufmüpfigkeit gegenüber der Obrigkeit aus, die man in Berlin ernst nehmen sollte. In Göttingen und Vechta will man die Universitätspräsidenten stürzen, in der Gemeinde Langeoog die Bürgermeisterin. Auch in Neu Darchau (Landkreis Lüchow-Dannenberg) wächst die Gruppe von Unzufriedenen, die Bürgermeister Klaus-Peter Dehde (SPD) aus dem Amt jagen möchte.

Offenbar befindet sich der bekennende Elbbrückengegner nicht nur mit Landrat Jens Böther aus dem benachbarten Landkreis Lüneburg im Clinch, der aus seiner Sicht ein „Unsinns-Projekt“ verfolgt, sondern auch mit der Redaktionsleitung der Elbe-Jeetzel-Zeitung und weiten Teilen des Gemeinderats. „Wenn Sie noch ein wenig Anstand haben und weiteren Schaden von der Gemeinde abwenden wollen, sollten Sie Ihr Mandat heute niederlegen“, zitiert die Lüneburger Landeszeitung den Vertreter der Bürgerliste in der jüngsten Ratssitzung. Weiter berichtet die Zeitung, dass in der anschließenden Fragestunde ein Bürger skandierte: „Wann trittst du endlich zurück? Ich sage, tritt zurück! Tritt zurück! Tritt zurück.“

Ziemlich krasse Ansagen an den Bürgermeister. Was war passiert? Hatte Dehde persönlich die Elbfähre versenkt? Hatte er den Bauauftrag für das neue Feuerwehrhaus ohne Ausschreibung an seinen Cousin vergeben? Oder hatte er Pjöngjang zur neuen Partnerstadt von Neu Darchau erklärt? Nichts von alledem: Auf Facebook war der Streit um den Sauberkeitszustand des Kinderspielplatzes im Ort dermaßen eskaliert, dass nicht mal mehr der Bundestagspräsident in der Elbtalaue für Ordnung sorgen könnte. Es sei denn, Steinmeier kappt die Internetverbindung nach Neu Darchau, denn zwei Wochen ohne Social Media würden der politischen Streitkultur im Ort wirklich gut tun.

Anarchie in Neu Darchau: Ein Gemeindemitarbeiter hatte das defekte Karussell auf dem Spielplatz abgesperrt, doch über Nacht räumten Unbekannte die Absperrung ab und warfen sie in den Wald. Seitdem ist der Ort nicht mehr derselbe. | Foto: Bürgermeister-Blog von Klaus-Peter Dehde

Sofern Ihre Internetverbindung noch ordnungsgemäß funktioniert, können Sie nun die aktuelle Rundblick-Ausgabe herunterladen, in der es um folgende Streitigkeiten geht:

◼ Der Staatsgerichtshof verhandelt in dieser Woche über einen Neuzuschnitt der Wahlkreise in Niedersachsen: Der Osten soll weniger Sitze im Landtag bekommen, der Westen dafür mehr. Hintergrund ist allerdings nicht die sonderbare politische Streitkultur in manchen Teilen des Landes, sondern die Bevölkerungsentwicklung.
◼ In Hannover treffen sich heute Vertreter von IG Metall und Niedersachsen-Metall zur zweiten Runde der Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie. Die Arbeitgeber werden aller Voraussicht nach ein Angebot vorlegen, das der Gewerkschaft nicht gefallen wird.
◼ Im Europaministerium hat es zuletzt einige Personalentwicklungen gegeben, die im Haus für Unruhe gesorgt haben. Rundblick-Chefredakteur Klaus Wallbaum gibt einen Überblick über die Streitpunkte.

Einen harmonischen Start in die Woche wünscht
Ihr Christian Wilhelm Link