TagesKolumne: SPD in der Realitätsfalle
Bronze geholt, aber auf dem Siegerpodest jubeln, als hätte man den Weltrekord aufgestellt – so gibt sich derzeit die SPD. Bei der Bundestagswahl hat sie gerade einmal 16,4 Prozent erreicht, ein historisches Tief. Und doch droht jetzt ausgerechnet die eigene Basis, den von der Parteiführung ausgehandelten Koalitionsvertrag mit der Union platzen zu lassen – weil angeblich nicht genug SPD drinsteckt.

Anstatt sich über das mehr als beachtliche Verhandlungsergebnis zu freuen oder wenigstens darüber zu wundern, dass man überhaupt wieder Teil der Bundesregierung wird, eskalieren Teile der Partei an den eigenen Ansprüchen. Kritisiert werden die geplanten Änderungen beim Arbeitszeitgesetz, ein schärferer Ton in der Migrationspolitik und die befürchtete Aushöhlung sozialer Leistungen. Die Jusos blasen zum Widerstand, Landesverbände murren, und in den sozialen Netzwerken sammeln sich Likes für empörte Beiträge – auch wenn der Hashtag #NichtMeinKoalitionsvertrag bislang unter dem Radar bleibt.
Die SPD hat bei der Wahl keine Mehrheit bekommen, sondern einen Denkzettel. Wer in dieser Lage glaubt, übertriebene Bedingungen stellen zu können, braucht keinen Mitgliederentscheid, sondern einen Wirklichkeits-Check. Es geht nicht darum, ob jeder Satz im Koalitionsvertrag den eigenen Idealen entspricht, sondern darum, ob es überhaupt zu einer Regierung kommt. Wenn die SPD-Mitglieder ihre Parteispitze jetzt auflaufen lassen, bekommen sie am Ende nicht mehr sozialdemokratische Politik, sondern im schlimmsten Fall gar keine. Das Gewissen mag dann rein sein – aber entschieden wird trotzdem. Nur eben von anderen. Die FDP hat vorgemacht, wohin das führt.
Und während auf Bundesebene über Positionen und Prinzipien diskutiert wird, geht es in Hannover um Posten und Bewertungen. In der heutigen Rundblick-Ausgabe lesen Sie:
■ Neues Kabinett für Olaf Lies: Wer rückt im Kabinett an die Seite von Ministerpräsident Olaf Lies? Wir blicken auf mögliche Namen, Hintergründe und regionale Verteilungen im künftigen SPD-Führungsteam.
■ Beurteilungsaffäre wird politisch: Das Kultusministerium schweigt weiter zur rechtswidrigen Bewertung eines Bewerbers – jetzt kommt Kritik von der CDU, die Aufklärung im Landtag fordert.
■ Koalitionskrimi: Das SPD-Mitgliedervotum zur Zusammenarbeit mit der Union sorgt für innerparteiliche Unruhe – besonders bei Jusos und in Fragen der Sozialpolitik.
Bleiben Sie gelassen, auch wenn andere gerade auf dem falschen Podest feiern.
Ihr Christian Wilhelm Link
Dieser Artikel erschien am 16.04.2025 in der Ausgabe #073.
Karrieren, Krisen & Kontroversen
Meilensteine der niedersächsischen Landespolitik
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