Wenn man doof findet, was andere Leute so machen, kann man ihnen das auf Social Media mitteilen: „Dein Ernst?“, „Nimm mal ab!“, „OMG, wie sieht das denn aus?“… Sie wissen schon. Aber was tun, wenn es die eigenen Nachbarn sind, die den Unmut auf sich ziehen? Soll man klingeln und sagen: „Ihr Schottergarten trägt dazu bei, das Klima aufzuheizen. Das Regenwasser kann nicht versickern. Und außerdem ist er hässlich.“ Im Emsland hat jemand lieber den sicheren Weg einer anonymen Anzeige gewählt. Mit durchschlagendem Erfolg: 91 Hausbesitzer in Spelle, Lünne und Schapen müssen jetzt ihre Schottergärten zurückbauen. Das Ergebnis wird kontrolliert, droht der Landkreis streng.

Vorgarten mit Schotter, gepflasternen Wegen und Buchsbäumen
Schottergarten | Foto: U.J. Alexander via GettyImages

Mein Mitleid mit den Hausbesitzern hält sich in Grenzen. Oder können Sie mir erklären, warum man ins Grüne zieht, wenn man Natur nicht mag? Frühling in der Siedlung, das bedeutet: Eine Nachbarin jagt dem Unkraut zwischen den Steinen mit der Giftspritze hinterher. Ein Nachbar deckt die Stellplätze für die Hollywood-Schaukel und den Swimmingpool mit Plastikrasen ab. Hat er auch das Gerücht gehört, die Verwaltung fahnde mit Drohnen nach versiegelten Flächen? Eine Familie ist umgezogen. Um das Haus herum liegen nur noch traurige vereinzelte Steinchen. Den Schotter hat die Familie in ihr neues Zuhause mitgenommen. Nicht ohne meinen Schotter!

Man muss das nicht mögen. Aber ist es in Ordnung, die Nachbarn bei der Kommune zu verpfeifen? Mir fiel mein Besuch bei Frank Fischer wieder ein. Er ist Oberarzt auf Teen Spirit Island, der Sucht-Station im Kinderkrankenhaus Auf der Bult. Okay, der Vergleich zwischen Schottergärtnern und suchtkranken Teenagern ist schief. Aber lassen Sie mich erklären. Die Patienten kommen oft mit einer Art von Mafia-Ethik, sagte er. Sie denken, wenn sie darüber sprechen, dass jemand anders Probleme oder Mist gebaut hat, dann begehen sie Verrat. Erst, wenn sie verstehen, dass alle hier nur das Beste wollen, ist der Kodex des Schweigens gebrochen. Dann entstehen echte Freundschaften.

Dass es der Beginn einer echten Freundschaft mit Ihrem Nachbarn ist, wenn Sie ihn bei der Bauverwaltung anschwärzen, halte ich für unwahrscheinlich. Entscheidend finde ich einen anderen Punkt, nämlich dass alle nur das Beste wollen. Wer will das nicht für seine Nachbarschaft? Vielleicht macht es Sinn, ein bisschen mehr darüber zu reden, was wir uns von der Nachbarschaft wünschen (mehr Natur, zum Beispiel, oder etwas Unterstützung bei der Gartenarbeit für betagte Hausbesitzer). Gerne öffentlich, in den Kommunen, Vereinen oder Kirchengemeinden. Denn in absehbarer Zeit, darauf weisen Fachleute mit Nachdruck hin, werden wir eh enger zusammenrücken müssen – weil wir alle altern und nicht genug Profis da sein werden, um uns im Alltag zu unterstützen. Besser, man fängt schon mal an zu glauben, dass der Nachbar nur das Beste will. Auch wenn sein Vorgarten scheußlich ist.

Nicht nur die Vorgärten werden in Niedersachsen immer besser, wie Sie heute im Rundblick sehen:

  • Leichte Sprache hilft allen, komplizierte Dinge zu verstehen. Eine Fachfrau für Leichte Sprache leitet jetzt auch das neue „Kompetenzzentrum Barrierefreiheit“.
  • Anders als neuerdings in den USA gilt in Niedersachsen die Freiheit von Forschung und Lehre. Ob das zu einer Einwanderungswelle amerikanischer Wissenschaftler führen wird, ist noch nicht sicher.
  • Die rot-schwarz-gelbe Ratsmehrheit in Hannover scheint überzeugt, die Bürger besser zu verstehen als der grüne Oberbürgermeister. Jetzt hat sie die Kontrolle der Schottergärten gestoppt.

Genießen Sie den Mittwoch und seien Sie nachsichtig, wenn Sie können – mit dem Unkraut, mit den Nachbarn und mit allen anderen auch.

Ihre Anne Beelte-Altwig