Gott sei Dank, der Nikolausabend ist sicher. Also, natürlich ist nicht sicher, was Sie in Ihrem Stiefel vorfinden werden, wenn Sie ihn am Donnerstagabend vor die Tür stellen. Das Ergebnis hängt davon ab, wie brav oder wie gut vernetzt Sie sind. Aber auf Borkum zumindest müssen Frauen wohl nicht mehr fürchten, an „Klaasohm“ von marodierenden Junggesellen mit Kuhhörnern verprügelt zu werden. Unisono haben die Innenministerin, die Polizei und der Verein Borkumer Jungens e.V. 1830 mitgeteilt, dass das Fest in diesem Jahr gewaltfrei stattfinden wird. Dass man das im Jahr 2024 noch betonen muss, ist schon bemerkenswert.

Mich hat die Geschichte an die ganz frühen Kindheitserinnerungen meiner Mutter aus Schlesien erinnert. Dort verschanzten sich die Mädchen und Frauen vor Ostern in den Häusern, aus einem ganz ähnlichen Grund. Schon als kleines Kind meinte meine Mutter, eine gewisse Ambivalenz bei den Verwandten und Nachbarinnen zu spüren: Einerseits Angst, andererseits aber auch so ein Prickeln. Vielleicht die Neugier darauf, die eigene Popularität auf die Probe zu stellen – mit Blick auf einen bestimmten jungen Mann oder ganz allgemein. Sagen wir es, wie es ist: Erotik war damals nicht ohne Machtgefälle zu haben. In einer demokratischen Gesellschaft zu leben und mutwillig dieses Machtgefälle nachzuspielen, kann man sexy finden, wenn man möchte. Es gibt auch gute Gründe, das nicht zu tun. Und es gibt gar keinen Grund, ungefragt Menschen mit hineinzuziehen, nur weil sie auf derselben Insel geboren sind.
Oft denkt man ja, Bräuche seien uralt und würden irgendetwas allgemein Menschliches offenbaren. Dabei sind die meisten nur um die zweihundert Jahre alt. Sie entstanden in einer Epoche, als man schon die Moderne kommen fühlte und sich nostalgisch nach der „guten alten Zeit“ zurücksehnte. Was den „Klaasohm“ betrifft, wird ein Bezug zum Walfang vermutet: Wenn die Männer nach langen Monaten auf See nach Hause zurückkehrten, wollten sie den Frauen unmissverständlich klarmachen, dass sie jetzt wieder das Sagen haben. Was auch bedeutete (und da haben sich die Zeiten leider weniger geändert, als man wahrhaben möchte): Der öffentliche Raum gehörte wieder den Männern.
Der Rundblick dagegen gehört wie immer Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Inhaltlich bleiben wir aber bei den angerissenen Themen:
Jetzt bleibt mir nur, Ihnen einen schönen Nikolausabend zu wünschen – frei von Angst und mit reich gefülltem Stiefel.
Ihre Anne Beelte-Altwig