16. Juni 2025 · 
TagesKolumne

TagesKolumne: Karpfen statt Hechte

Die niedersächsische CDU hat sich in Oyten getroffen, um den wirtschaftspolitischen Kompass neu auszurichten. Bei der Auftaktveranstaltung für den sogenannten Niedersachsenplan ging es zunächst um die Wirtschaft – und der vielgeäußerte Wunsch vieler Redner lautete: weniger Bürokratie. Doch während die politische Antwort noch gesucht wird, liefern die Unternehmen längst Anekdoten, die fast schon nicht mehr lustig sind.

Andreas Röders ist Geschäftsführer der G.A. Röders GmbH. „Wir haben am Standort in Soltau 170 Mitarbeiter – und 21 Beauftragte. Um Ressourcen zu sparen, haben wir den Leiterbeauftragten auch gleichzeitig zum Menschenrechtsbeauftragten gemacht“, berichtet der Unternehmer, der sich nicht nur intensiv mit der Verarbeitung von Aluminium und Kunststoffen beschäftigt, sondern auch regelmäßig mit Anhang 39 zur Verwaltungsvorschrift über wassergefährdende Stoffe. Seine Erfahrungen mit der Bürokratie: „Es nimmt einfach Überhand.“ Da hilft nur noch Galgenhumor. „Ich bin 65 Jahre, ich habe mir überlegt, wenn ich im Ruhestand bin, mache ich Kabarett – über die Datenschutzgrundverordnung.“

Das Publikum hat abgestimmt: Bürokratie ist das Top-Ärgernis in der niedersächsischen Wirtschaft. Unternehmerin Bianca Rosenhagen ist genervt, UVN-Geschäftsführer Christoph Meinecke zeigt mit dem Finger in Richtung Politik. | Foto: Link

Alexander Becker, CEO des Stahlunternehmens Georgsmarienhütte, musste beim Behördengang für die Einbürgerung seiner Frau zuschauen, wie fünf Seiten Formular händisch ins System getippt wurden – ein digitales Dokument hatte er selbst auf Anfrage nicht bekommen. „Ich würde mir wünschen, dass die Politik sagt: Wir akzeptieren keine mit Hand geschriebenen Zetteln mehr.“ In seinem Unternehmen hat Becker schon reagiert: „Ab nächstem Jahr darf bei uns im Unternehmen keiner mehr drucken. Wer das möchte, muss selbst Papier kaufen.“

Bianca Rosenhagen, Chefin eines mittelständischen Metallbauers aus Burgwedel, kennt den bürokratischen Slapstick ebenfalls: Vor einem Jahr hat sie einen Antrag gestellt, letzte Woche kam endlich Post von der N-Bank – und das Porto hätte man sich unter Umständen sparen können. „Jetzt muss ich erstmal prüfen, ob die Anschaffung überhaupt noch sinnvoll ist.“ Die Transformation der Wirtschaft laufe inzwischen mit einem höheren Tempo ab als das Förderwesen. Die alte Business-Logik „Der Große frisst den Kleinen“ gelte schon lange nicht mehr. Heute sei die Devise: „Der Schnelle frisst den Langsamen.“ Im Gartenteich der Bürokratie drehen allerdings die alten Karpfen weiter geduldig ihre Runden und kennen weder Hast noch natürliche Feinde. Für „Fressen und Gefressenwerden“ gibt es eben leider kein Feld im Antragsformular.

Und was sagt CDU-Landeschef Sebastian Lechner? Der bleibt vorsichtig: „Über Bürokratieabbau spreche ich, wenn wir’s gemacht haben.“ Erst müsse das Vertrauen in die Fähigkeit des Staates zurückgewonnen werden, Vorgaben auch tatsächlich wieder reduzieren zu können – „ansonsten haben wir da null Glaubwürdigkeit“. Bürokratierückbau, so Lechner, sei eine stille Disziplin: „Mit sehr viel Akribie, mit Willen und Wollen – und gegen sehr viel Widerstände.“ Bis dahin bleibt Niedersachsen das Land der geduldigen Karpfen – und nicht der schnellen Hechte.

Ideen aus dem Goldfischglas für die Wirtschaft: Die CDU debattiert in Oyten im Fishbowl-Format. | Foto: Link

Während draußen noch weitere Förderanträge auf Bearbeitung warten, widmen wir uns im Rundblick bereits den folgenden Themen:

CDU entwirft Niedersachsenplan: CDU-Chef Sebastian Lechner hat in Oyten den Niedersachsenplan gestartet. Mit mehr Vertrauen in die Unternehmen und Streitlust will er das Land aus der Mittelmäßigkeit holen. Hier lesen
Hamburg korrigiert Zeugnis: Das Zeugnis für den designierten Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover war rechtswidrig – doch die Kultusministerin bessert es nun offenbar nach. Hier lesen
Kirche sucht Sparkurs: Die Kirchen müssen sparen. Aber wo? Die evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers setzt eine inhaltliche Neubestimmung an den Anfang ihrer Kürzungspläne. Hier lesen

Kommen Sie gut durch in die Woche – und lassen Sie sich nicht auffressen!
Ihr Christian Wilhelm Link

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #110.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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