„Deutschlands konservativer Führer scheiterte beim ersten Versuch, Kanzler zu werden“, titelte die BBC online. „Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands scheitert ein Kanzlerkandidat im ersten Wahlgang“, meldete Le Monde. CNN sprach von einer „peinlichen parlamentarischen Niederlage“ für Friedrich Merz. Und Fox News berichtete zur selben Stunde: „Trump-Team greift ein, um Ihre Kinder zu schützen, nachdem ein linkes Gericht einen illegalen 'Kindesentführer' laufen ließ.“ Kein Wort über Berlin, Merz oder den Bundestag. Auch wenn in Deutschland die Kanzlerwahl platzte, ist das für Fox kein Grund, den täglichen Kulturkampf zu unterbrechen. Konsequent sind sie, das muss man ihnen lassen.
Dabei wäre die quasi historische Schlappe von Friedrich Merz durchaus eine Schlagzeile wert gewesen – auch wenn sie am Ende nur eine politische Momentaufnahme blieb. Zwischen neun und 18 Abweichler aus den eigenen Reihen stellten dem Fast-Kanzler ein Bein, bevor der überhaupt loslaufen konnte. „Derzeit dreht sich die Spekulations-Spirale, wer wohl die Abweichler:innen gewesen sein sollten. Daran möchte ich mich nicht beteiligen, sondern möchte es kurzhalten: Es ist eine Niederlage für die angehenden Regierungsfraktionen. Es ist eine Niederlage der demokratischen Kräfte im Deutschen Bundestag. Profitieren wird lediglich die AfD“, kommentierte Hannovers SPD-Chef Adis Ahmetovic live aus dem Reichstag – auffällig schnell und verdächtig gut formuliert. Als hätte er es kommen sehen.

Zu diesem Zeitpunkt war die Spirale längst in Gang. Wer hatte Merz die Stimme verweigert? Welche Fraktion, welcher Flügel, welches Motiv? Doch noch bevor ein zweiter Dolchstoß-Mythos in Umlauf geraten konnte, trat Jens Spahn ans Mikrofon – und erklärte den Moment zur Schicksalsstunde der Republik: „Ganz Europa, vielleicht sogar die ganze Welt, schaut auf diesen zweiten Wahlgang. Ich appelliere an alle, sich dieser besonderen Verantwortung bewusst zu sein.“ Am Nachmittag dann der zweite Versuch: 325 Stimmen für Friedrich Merz – sieben mehr als nötig. Keine Glanzleistung, aber ein gültiges Ergebnis. Immerhin heißt es: Habemus cancellarium!
Und die Welt? Die schaute tatsächlich zu. Die Yomiuri Shimbun, die auflagenstärkste Zeitung Japans, schrieb: „Merz als neuer deutscher Kanzler gewählt – Mehrheit im zweiten Wahlgang“. Die New York Times titelte auf ihrer Online-Seite: „Merz wird deutscher Kanzler nach zweiter Abstimmung“. Bei Le Figaro hieß es: „Friedrich Merz im zweiten Wahlgang mit knapper Mehrheit ins Amt gewählt“. Und bei Fox News lautete die Topnachricht derweil: „Ilhan Omar sprach 2018 über ihre Angst vor weißen Männern – Republikaner empört“. Demokratie bleibt anstrengend – vor allem dort, wo sie noch funktioniert.
Nach dem Berliner Durcheinander heißt es nun zurück zum niedersächsischen Regelbetrieb. Das sind die Themen der heutigen Ausgabe:
■ Entsetzen auch in Hannover: Die holprige Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler hat im niedersächsischen Landtag für helle Aufregung gesorgt. Abgeordnete sprechen von einem „Warnsignal“ – und fragen sich, wie stabil das neue Bündnis wirklich ist.
■ Klimapolitik konkretisiert: Das Landeskabinett macht den Weg frei für einen niedersächsischen Klima-Bürgerrat. Außerdem werden neue sektorale Emissionsziele beschlossen – Umweltminister Christian Meyer will so den Druck auf alle Ressorts erhöhen.
■ „Du musst nicht Schiedsrichter sein“: In einer Landtagsveranstaltung mit internationalen Gästen spricht ein palästinensischer Vertreter ungewöhnlich offen über Erwartungen an Deutschland – und über die Grenzen außenpolitischer Neutralität.
Einen schönen Mittwoch in der Ära Merz wünscht Ihnen, notfalls auch im zweiten Anlauf,
Ihr Christian Wilhelm Link