TagesKolumne: Gehüpft, gezählt, gefährdet
Inventuren sind nichts Besonderes: Im Supermarkt werden Dosen gezählt, in Behörden die letzten verbliebenen Faxgeräte, und im eigenen Haushalt geht es darum, herauszufinden, ob der Aufschnitt noch für die nächste Woche reicht. Aber Niedersachsen hebt das Thema jetzt auf ein ganz neues Level: Während man sich anderswo um die Asyl-Wende, die Wirtschaftskrise oder den Fachkräftemangel sorgt, hat der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) ein landesweites Heuschrecken-Monitoring gestartet. Das klingt zunächst wie ein PR-Gag aus der Satire-Abteilung des Umweltministeriums oder wie eine Beschäftigungstherapie für nicht ausgelastete Biologen, ist aber eine sehr ernste Angelegenheit. Schließlich ist gut ein Drittel der heimischen Heuschreckenarten bestandsgefährdet. Man könnte sagen: Es herrscht Alarmstufe Grün. Oder Braun. Oder je nachdem, in welcher Tarnfarbe die Heuschrecke gerade unterwegs ist.
Dramatisch ist die Lage etwa für die Heideschrecke, die bundesweit vom Aussterben bedroht ist. Für ein Insekt, das auch unter dem Namen „Locusta prima“ bekannt ist, kann das keine zufriedenstellende Entwicklung sein. „Niedersachsen trägt eine besondere Verantwortung für den Erhalt der Art, da es eine der größten Populationen in Deutschland aufweist“, meint das NLWKN. Anders ausgedrückt: Wenn die Heideschrecke es hier nicht schafft, schafft sie es nirgendwo.
Doch wie läuft so eine Heuschrecken-Inventur eigentlich ab? Stellen wir uns das einmal bildlich vor: Wissenschaftler mit Klemmbrettern schleichen durchs Gras, zählen „eins, zwei, drei… Mist, weggehüpft“ und beginnen wieder von vorn. Vermutlich hilft es, wenn man zuvor die Fortbildung „Heuschrecken zählen für Anfänger – ab wann braucht man den Taschenrechner?“ besucht hat oder spezielle Apps wie „Shazam“ auf dem Smartphone hat – nur eben für zirpende Geräusche: „Sie hören: Feldgrashüpfer in B-Dur.“
Erste Ergebnisse des schon seit 2022 laufenden Monitorings liegen vor: 28 Arten wurden gezählt. Das klingt nicht schlecht, ist aber auch nicht gerade eine Zahl, mit der man Niedersachsen als Naturerlebnisland vermarkten kann. „Auf den landeseigenen Naturschutzflächen konnten wir in aller Regel deutlich mehr Arten finden als auf den Flächen in der Normallandschaft“, berichtet Projektkoordinator Franz Löffler von der Universität Osnabrück. Wie der große wissenschaftliche Erkenntnisdurchbruch klingt das noch nicht, denn dass es Insekten dorthin zieht, wo sie nicht von Autos überfahren oder von Mähdreschern plattgemacht werden, klingt relativ wahrscheinlich.
Doch das Monitoring liefert nicht nur Zähl-Ergebnisse, sondern auch Denkanstöße: Heuschrecken reagieren sensibel auf Umweltveränderungen und sind damit eine Art Frühwarnsystem. Wenn sie verschwinden, ist das ein bisschen so, als wenn das WLAN-Signal schwächer wird – es zeigt an, dass man ökologisch nicht mehr da steht, wo man eigentlich hin sollte. Und wenn die Heuschrecken fehlen, ist die Verbindung ganz weg.
Falls Ihnen also demnächst beim Spazierengehen oder Wandern eine Heuschrecke vor die Füße hüpft, schauen Sie genau hin. Es könnte sein, dass Sie gerade auf ein besonders rares Exemplar gestoßen sind. Vielleicht ist es sogar die letzte ihrer Art – oder zumindest die letzte, die sich hat zählen lassen.
Während der NLKWN fleißig Heuschrecken zählt, wird andernorts mit ähnlicher Akribie gestritten und diskutiert – allerdings nicht im Gras, sondern in Parlamenten, Rechenzentren und auf Deutschlands Straßen. Nach der Inventur im Grünen kommen wir nun zu den politischen Beständen des heutigen Rundblicks:
◼ Asyl-Wende: CDU-Chef Friedrich Merz hat im Bundestag versucht, das Asylrecht zu reformieren – knapp gescheitert. Manche in seiner eigenen Partei sehen das positiv: Endlich wieder Platz für andere Wahlkampfthemen.
◼ Cybersicherheit: IT-Beauftragter Horst Baier hat festgestellt, dass viele Kommunen in Niedersachsen auf Cybersicherheit setzen wie auf einen Regenschirm im Orkan – einfache Antiviren-Programme reichen eben nicht. Er fordert mehr Engagement und klare Zuständigkeiten.
◼ Verkehrsgerichtstag: Der E-Scooter-Boom führt zu mehr Unfällen. Während Verbände strengere Regeln fordern, verteidigen Anbieter ihre Flitzer als sicher. Offen bleibt, ob ein Helm mehr schützt als das Prinzip Hoffnung.
Einen guten Sprung in die neue Woche wünscht
Ihr Christian Wilhelm Link
Dieser Artikel erschien am 03.02.2025 in der Ausgabe #021.
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