Der ganze Hörsaal lachte. Der Dozent hielt inne und genoss seinen Triumph. Es war Schnupperwoche an der Universität in den 90er Jahren. Wir drängten uns auf Treppen und Fensterbänken. Was wir hörten, war nicht schmeichelhaft: „Germanistik ist ein Fach, das aus Gewohnheit gelehrt und aus Irrtum studiert wird.“ Ich lachte laut – und schrieb mich trotzdem ein. Und ich war nicht die einzige.
Vermutlich wollte ich den Applaus, den ich immer mal wieder für meine Gedicht-Interpretationen im Deutsch-Leistungskurs erntete, einfach nicht verlieren. Ich hatte keinen Schimmer, wozu die Soft Skills, die man zum Interpretieren von Gedichten braucht, sonst nützlich sein könnten. Bis heute bin ich sicher, dass man eine Menge über das Leben und sich selbst erfährt, wenn man liest und mit anderen darüber spricht. Aber das heißt um Himmels Willen nicht, dass man das beruflich machen muss.

Nach welchen Kriterien Jugendliche heute ihre Ausbildung wählen, lesen Sie im Rundblick. Vielleicht werden Sie ebenso verblüfft sein wie die Autoren der Studie. Ganz vorne liegen nämlich nicht soziale Anerkennung und Selbstverwirklichung, sondern ein gutes Einkommen, Sicherheit, Work-Life-Balance und flexible Arbeitszeiten. Hätten Sie es gedacht von der Fridays-for-Future-Generation?
Es scheint die schlimmsten Alpträume von Ex-Bundesinnenminister Thomas de Maizière zu bestätigen. Er schimpfte vor einigen Monaten in der ZEIT:
„Work-Life-Balance - schon der Begriff ist abstrus. Die Anspruchshaltung vieler in dieser Generation Z geht mir gegen den Strich. Mich ärgert, dass sie zu viel an sich denken und zu wenig an die Gesellschaft.“
Ich kann mir kaum vorstellen, dass junge Menschen früher an die Gesellschaft gedacht haben, wenn sie die Schneiderei ihrer Mutter oder den Installateur-Betrieb ihres Vaters übernommen haben. Auf jeden Fall: Das Handwerk hat es heute schwer, den Jugendlichen das zu bieten, was sie erwarten. Wenn die Meister bisher gedacht hatten, im Rennen um den Nachwuchs mit einer sinnhaften Tätigkeit punkten zu können, die von den Kunden sehnlichst erwartet wird, dann belehrt sie die Studie eines Besseren.
Von Erwerbsarbeit erwarten die Jugendlichen nicht viel mehr, als dass sie sie ernährt und ihnen möglichst Kummer erspart. Ist das erwachsen oder einfach desillusioniert? Oder ist die Generation Z vielleicht sogar einer Zukunft auf der Spur, die sie aus Burnout, Pflegenotstand und Kinderbetreuungskrise herausführen wird, weil alle mehr Zeit für das Wesentliche einplanen? Wer gut verdient und viel Freizeit hat, kann auch für andere da sein und das tun, was ihn oder sie stolz macht – ohne den Druck, davon leben zu müssen. Aber wer wird dann die Haare schneiden oder die Photovoltaik-Anlagen montieren? Es gibt noch viel zu diskutieren mit der Generation Z.
Übrigens schafft es Literatur sogar manchmal in den Rundblick. Schauen Sie doch gleich mal in die Personalien! Außerdem haben wir für Sie:
• E-Akte: Die Digitalisierung ist in den Gerichten angekommen. Damit sich das "Störgefühl" in Grenzen hält, dürfen die Richterinnen und Richter weiter Akten ihre Stempel aufdrücken - nur jetzt elektronisch.
• AfD: Die Partei spürt Rückenwind. Ideen hat sie nicht nur zur Migration, sondern auch für Häuslebauer und Opfer sexueller Gewalt.
Jetzt müssen wir uns beeilen, damit wir es noch zur Solidaritäts-Kundgebung mit Israel in Hannover schaffen. Am Mittwoch wird Ministerpräsident Weil zum Thema eine Regierungserklärung halten. Wir halten Sie auf dem Laufenden!
Einen sinnstiftenden Dienstag wünscht Ihnen
Ihre Anne Beelte-Altwig