Ja, es war meine Idee. Mein Begleiter war skeptisch. Aber ich überredete ihn, die endlosen Stufen der Cumberlandschen Galerie hochzusteigen, einer Spielstätte, die in Hannovers Theaterlandschaft für Innovation zuständig ist. Der Begleiter ist nicht gut zu Fuß. Um sein Sehvermögen ist es inzwischen besser bestellt als damals, als die Geschichte spielt. Ich dachte, das passt schon irgendwie, denn die Performerinnen und Performer an diesem Abend waren taub. Jetzt scheint es mir naiv, aber ich glaubte, der Abend würde in gewisser Weise von uns handeln – und vom Leben in einer Welt mit Hindernissen. Tatsächlich war einfach die Aufführung das Hindernis. Mein Begleiter saß ziemlich allein am Rand eines ziemlich dunklen Raumes voller ekstatisch tanzender Menschen und zuckender Lichter. Ich lehnte mich vorsichtig an ihn und schämte mich. 

Die Geschichte fiel mir ein, als mein Kollege Niklas Kleinwächter von einem Abend in Hannovers Marktkirche berichtete. Sie können davon auch gleich lesen. Heribert Prantl, Grandseigneur der Süddeutschen Zeitung, diskutierte mit Regionalbischöfin Petra Bahr und Schauspiel-Intendantin Sonja Anders darüber, wie Kirche, Kultur und Gesellschaft die Demokratie stärken können. Staatstragende Säulen sind Kirche und Kultur von jeher. Als stützende Instrumente der Demokratie sind sie noch relativ neu im Geschäft. Irgendwann hörten sie plötzlich auf, an der Seite der Mächtigen zu stehen. Oder von denen, für die Glaube und Sprache vor allem Mittel sind, um die Welt in „wir“ und „die“ zu unterteilen. In den 1970er und 80er Jahren in Westdeutschland wurden gesellschaftliche Trends auf den Kirchentagen verhandelt. Theologinnen marschierten ganz vorne in Gorleben und auf Friedensdemos. Vielleicht meinen die Regionalbischöfin und die Intendantin das, wenn sie sagen, dass Kirche und Theater „die Macht der Schwachen“ sichtbar werden lassen. 

Vielleicht ist damit ja auch gemeint, dass taube Performer auf der Bühne stehen. Persönlich finde ich es ziemlich großartig, wie sichtbar die gesellschaftliche Vielfalt im Theater geworden ist. Auf der Bühne, um genau zu sein. Das Publikum sieht immer noch ziemlich weiß, fit, gebildet und wohlhabend aus – im Theater wie im Gottesdienst. Dass diejenigen, die sich abgehängt fühlen, hier die „Macht der Schwachen“ entdecken, ist so schnell nicht zu erwarten.  


Link zum Podcast mit Wissenschaftsminister Falko Mohrs

Bevor ich Ihnen verrate, wie unser Theater-Erlebnis ausging, hier noch schnell die weiteren Themen des Rundblicks:

·      Künftig sollen Anwohner von Windparks nicht nur profitieren können, sondern müssen. Der Branchenverband LEE findet die Idee ziemlich, hm, windig.

·      Die Kommunen müssen sehr, sehr viele Flüchtlinge unterbringen. Manche Bürgermeister finden das herausfordernd, andere finden deutlichere Worte.

·      Stephanie Springer, Verwaltungschefin der hannoverschen Landeskirche, hat einen neuen Job. Insider finden das überraschend. 

Die Festival-Veranstalter haben sehr höflich auf meine Kritik geantwortet. Ich hätte halt das Kleingedruckte zum Thema Barrierefreiheit lesen sollen. Ich suchte nach einem passenden Vergleich. Dann schrieb ich zurück: Ich wünsche mir, dass „zugänglich für alle“ ein Gütesiegel wird. Dass Veranstalter damit offensiv werben wie – sagen wir – mit einem „Vegan“-Logo. Ich bekam keine Antwort mehr.

Einen kommunikativeren Donnerstag wünscht Ihnen 

Ihre Anne Beelte-Altwig