21. Apr. 2025 · TagesKolumne

TagesKolumne: Altlasten, Aussicht und andere Zumutungen

Erst kürzlich habe ich an dieser Stelle über Windkraft-NIMBYs geschrieben – jene Menschen, die grüne Energie prinzipiell ganz toll finden, aber bitte nicht in ihrer Nachbarschaft. Nach dem Landkreis Harburg tut sich ein neuer Schauplatz auf: Clausthal-Zellerfeld. Dort sollen auf dem Gelände der früheren NS-Sprengstofffabrik „Werk Tanne“ fünf Windräder entstehen. 250 Meter hoch – und damit für viele offenbar ein Anschlag auf ihr seelisches Gleichgewicht, ihre Fernsicht und den letzten Rest zumindest gefühlter, unberührter Zivilisationsferne.

Mehr als hundert Einwände sind bei der Stadt eingegangen. Die Argumente klingen vertraut: Eingriff in die Natur, Gefahr für seltene Tiere, Sorgen um das Trinkwasser. Und, besonders beliebt: die Angst um den Tourismus. Als wäre der Harz gerade knapp davor, von chinesischen Reisegruppen überrannt zu werden – solange da nicht jemand irgendwo ein Windrad in die Landschaft setzt.

Dabei wäre es aus Sicht des Naturschutzes fast schon ein Fortschritt, wenn auf dem Gelände überhaupt mal etwas passiert. Die Ruinen stehen seit Jahrzehnten im Wald, das Areal ist belastet, umzäunt und unzugänglich. Eine Pflanzenkläranlage steht dort längst – das fanden die Naturschützer noch super. Jetzt, wo der Eigentümer mit dem Gelände womöglich auch Geld verdienen will, ist plötzlich alles gefährdet: das Grundwasser, der Rotmilan und das Landschaftsbild.

Industriebrache im Wald: Die Ruinen der alten NS-Sprengstofffabrik sind vielen Anwohnern lieber als Windräder an gleicher Stelle. | Foto: Stadt Clausthal-Zellerfeld

Viele waren bisher zu sehr damit beschäftigt, beim Wandern um Baumleichen herumzulaufen. Jetzt fällt ihnen plötzlich auf, dass es im Harz nicht nur massenweise kaputte Fichten, sondern auch Altlasten gibt. Und wer sich vorher nie gefragt hat, wie das Gelände eigentlich mal saniert werden soll, weiß jetzt ganz genau, wie es auf keinen Fall verändert werden darf.

Für mich ist dabei vor allem eines klar: Wer sich ausgerechnet in einer alten Sprengstofffabrik über aufgewirbelten Staub beschwert, meint in Wahrheit: „Ich habe nichts gegen Windkraft – aber bitte nicht auf meinem Altmunitionsteppich.“

Auch in der heutigen Ausgabe geht es um das Sichtbare und das Unsichtbare. Wir berichten über:

Verwaltungsstreit in Hannover: Oberbürgermeister Onay erhält Rückendeckung vom Innenministerium im Konflikt mit der Ratsmehrheit über eine Personalie. Eine neue Ausschreibung läuft.

■ Cat-Calling: Wahlmanns Gesetzesvorstoß zur Bestrafung von sexueller Belästigung scheitert im Bundesrat, stößt aber bundesweite Debatte an.

■ SPD-Personalie: Grant Hendrik Tonne steht vor dem Sprung vom Fraktionsvorsitz ins Wirtschaftsressort – ein möglicher Schritt in Richtung Spitzenkandidatur?

Ich wünsche Ihnen einen klaren Blick auf diese Woche.
Ihr Christian Wilhelm Link

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #075.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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