9. Apr. 2020 · Soziales

Tägliche Pressekonferenz führt zu Unmut bei Abgeordneten

Vier Wochen besteht heute der faktische Ausnahmezustand in Niedersachsen, begleitet von allerhand Merkwürdigkeiten: Schwerwiegende politische Entscheidungen, die tief in den Alltag aller Bewohner eingreifen, werden per Verordnung vom Sozialministerium verfügt. Die parlamentarische Begleitung und Kontrolle fällt weitgehend aus, da der Landtag seinen Betrieb auf eigenen Wunsch extrem heruntergefahren hat. Nun wird spürbar Unmut in den Fraktionen laut, auch in den großen von SPD und CDU. Die Rufe nach einem Wiederaufleben der Parlamentsarbeit werden lauter. Das Missvergnügen vieler Politiker macht sich merkwürdigerweise an einem anderen Umstand fest: Während die Abgeordneten ihren Sitzungsbetrieb radikal heruntergefahren haben und zum Schweigen verurteilt sind, tagt jeden Tag um 14.30 Uhr die Landespressekonferenz, dort tritt regelmäßig Krisenstab-Leiter Heiger Scholz auf, der Staatssekretär im Sozialministerium. Mehrfach kam es vor, dass über die Nachfragen der Journalisten Ungereimtheiten und Schwachstellen in den Verordnungen der Regierung offenkundig wurden. [caption id="attachment_49247" align="alignnone" width="780"] Sitzungen gibt es im Landtag derzeit kaum, dafür aber eine tägliche Corona-Pressekonferenz - Foto: MB.[/caption] Beides, das forsche Auftreten der LPK-Journalisten und die Enthüllungen über Mängel im Krisenmanagement der Regierung, hat in der SPD/CDU-Koalition zu erheblichem Unmut geführt. Wie Teilnehmer berichten, soll Ministerpräsident Stephan Weil in der jüngsten Kabinettssitzung am Dienstag angekündigt haben, mit der täglichen LPK müsse „künftig Schluss sein“. Es könne nicht sein, dass die Journalisten in die Rolle der Parlamentarier rückten. Verärgert sollen einige Koalitionspolitiker über den Satz des LPK-Vorsitzenden Peter Mlodoch sein, dass die Journalisten „in die Rolle des Kontrolleurs der Regierung schlüpfen“. Damit wollte Mlodoch jedoch nach Rundblick-Informationen keineswegs anmaßend einen Anspruch der LPK als Ersatz-Parlament formulieren, sondern lediglich das Problem beschreiben, dass die Medien in der parlamentsabstinenten Zeit umso stärker ihre Aufgabe als Hinterfrager und Infragesteller der Regierungstätigkeit erfüllen müssen.
Mancher Ärger in der Koalition richtet sich in Wahrheit wohl auch auf organisatorische Mängel im Krisenstab.
Einige Politiker indes sind von der gegenwärtigen Entwicklung sehr empfindlich berührt, so wird Anstoß genommen daran, dass die LPK im Übergangsplenarsaal des Landtags tagt, also die Insignien der Volksvertretung nutzt. Das liegt jedoch nur am Mangel ähnlich großer Tagungsräume im Parlament – da ja auch bei den Pressekonferenzen ein ausreichender Mindestabstand eingehalten werden muss. Nun heißt es, einige in der Regierung sähen das Agieren der LPK als höchst sinnvoll an, da so die nötige Öffentlichkeit des Handelns hergestellt werde. Enorme Zuschauerzahlen von 40.000 bei den Live-Übertragungen bestätigten das. Ministerpräsident Weil indes soll das anders sehen und auf eine Änderung drängen.
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Die Wiederaufnahme der Parlamentsarbeit wird aus unterschiedlichen Gründen im Landtag geradezu herbeigesehnt: Abgeordnete der Opposition wittern die Chance, selbst Widersprüche im Regierungshandeln aufzudecken und damit auch als Enthüller wirken zu können, solche der Koalition wollen versuchen, die Regierung über eine positive öffentliche Begleitung ihrer Arbeit besser aussehen zu lassen als bisher. Mancher Ärger in der Koalition richtet sich in Wahrheit wohl auch auf organisatorische Mängel im Krisenstab, da dort eine richtige Anbindung sowohl nach oben als auch nach unten verbesserungsbedürftig ist: An der Spitze steht Scholz als Staatssekretär, der aber eigentlich nur Vorschläge an das Kabinett unterbreiten und nicht selbst entscheiden kann, denn wichtige Festlegungen sind der Ministerrunde vorbehalten. https://www.youtube.com/watch?v=Fte7-FqDu78 Wie mangelhaft die Abstimmung hier unter Zeitdruck zuweilen läuft, hat die Panne mit dem wieder einkassierten Kontaktverbot in den Wohnungen gezeigt. Das lag auch daran, dass Fristen zur internen Abstimmung oft nur wenige Stunden betrugen. Beklagt wird auch, dass dem Krisenstab eine Verstärkung der Geschäftsstelle gut täte, wenn also Festlegungen zügiger durchzusetzen wären.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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