6. Nov. 2023 · 
Wirtschaft

SPD-Ökonom Südekum: „Der 15. November ist der Schicksalstag für die Ampel"

Seine Ernennung in den Rat der Wirtschaftsweisen hat die FDP im vergangenen Jahr erfolgreich vereitelt. Nichtsdestotrotz hat seine Expertise zu Wirtschafts- und Außenhandelsfragen in Kanzleramt und Bundeswirtschaftsministerium ein hohes Gewicht. „Ich bin recht aktiv in der Politikberatung für die Ampelkoalition“, verrät Prof. Jens Südekum bei einem Industrie- und Transformationstalk der Friedrich-Ebert-Stiftung in Hannover.

Mann in Sakko und Pullover
Jens Südekum, Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre in Düsseldorf | Foto: Link

Vom Düsseldorfer Universitätsprofessor für Internationale Volkswirtschaftslehre bekommen Olaf Scholz (SPD) und Robert Habeck (Grüne) dieser Tage vor allem eines zu hören: Deutschland muss viel mehr Geld in die klimafreundliche Transformation seiner Wirtschaft ausgeben. Von den jährlich fast 100 Milliarden Euro, die allein für Klimaschutzausnahmen noch zusätzlich investiert werden müssen, handele es sich zwar größtenteils um Privatinvestitionen. „Realistischerweise wird ein Teil dieser Investitionen aber nicht einfach so kommen, sondern muss staatlich angereizt werden“, sagt Südekum.

Denn zum einen stehe Deutschland im Wettbewerb mit anderen Ländern, die großzügige Steuergeschenke an die Unternehmen verteilen. Zum anderen seien Geschäftsbanken oft dermaßen zurückhaltend, dass eine staatliche Förderung überhaupt erst zur Kreditvergabe führt. Den zusätzlichen staatlichen Ausgabebedarf für die Dekarbonisierung beziffert der Ökonom deswegen auf etwa 45 Milliarden Euro pro Jahr. „Irgendwie ist das allen klar, aber die Frage lautet: Wo kriegen wir das Geld her?“, fragt Südekum.

Naheliegend sei es, das Geld an anderer Stelle im Haushalt einzusparen, doch darauf könne sich die Ampelkoalition offenbar nicht einigen. Wirtschaftsökonom Südekum macht dafür insbesondere die FDP verantwortlich, die die Haltung vertrete: „Wir müssen sparen, wir müssen priorisieren – aber nicht, wenn es um meine Klientel geht.“ Die Chance auf Mehreinnahmen durch Steuerreformen – etwa bei der Erbschafts- und Einkommenssteuer oder durch einen Klima-Soli – sieht der gebürtige Goslarer zwar grundsätzlich. „Ich bezweifle aber, dass man das kurzfristig umsetzen kann.“

Vier Personen diskutieren
Diskutieren über die Transformation (von links): Wirtschaftsminister Olaf Lies, Moderatorin Cosima Schmitt, DGB-Bezirksleiter Mehrdad Payandeh und Ökonom Jens Südekum | Foto: Link

Vor zusätzlichen Einnahmen durch die CO2-Steuer warnt der Volkswirt sogar, denn das würde die gesellschaftliche Akzeptanz der Abgabe weiter schwächen. Südekum kommt daher zu folgendem Schluss: „Bei allen Finanzierungsoptionen wird es realistischerweise ohne das Instrument der Kreditfinanzierung nicht gehen.“ Allerdings agiere Deutschland hier mit angezogener Handbremse und betreibe eine Finanzpolitik wie in den 80er Jahren. „Obwohl wir von der Energiekrise besonders betroffen waren, fahren wir die restriktivste Haushaltspolitik aller G7-Länder. Das passt nicht zur Gemengelage“, kritisiert der 48-Jährige, der selbst SPD-Mitglied ist.

Dass sich die FDP dazu überreden lässt, die Schuldenbremse zu lockern, glaubt Südekum zwar nicht. „In dieser Ampelkoalition wird man nicht mehr weit kommen, wir haben das Ende der Fahnenstange erreicht. Die Akteure haben sich eingemauert“, sagt er. Darüber hinaus ließen sich auch die Sondervermögen nicht mehr „schuldenbremsenneutral“ befüllen und der Klima- und Transformationsfonds (KTF) sei ohnehin bereits verplant. Mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), der durch den von Kanzler Scholz „Doppel-Wumms“ genannte Schritte gefüllt wurde, gebe es aber noch einen „Joker“ in Höhe von 150 Milliarden Euro in Form von vom Bundestag genehmigten Kreditermächtigungen.

Die sind zwar eigentlich für die Energiepreisbremse vorgesehen gewesen, könnten aber vielleicht auch für die Dekarbonisierung genutzt werden – sofern das rechtlich zulässig ist. Die Antwort darauf gibt demnächst das Bundesverfassungsgericht, wenn es über die Klage der Union gegen den Nachtragshaushalt 2021 entscheidet. Auch hier geht es um die Zweckentfremdung eines Sondervermögens und zwar in Form von genutzten Corona-Hilfen aus dem Energie- und Klimafonds (EKF) in Höhe von 60 Milliarden Euro.

„Der 15. November ist der Schicksalstag für die Ampelkoalition“, sagt Südekum deswegen über den Tag der Urteilsverkündung, dem am 16. November eine Haushaltsausschuss-Sitzung folgen wird. Im schlimmsten Fall würden die 60 Milliarden Euro durch die Gerichtsentscheidung gesperrt. „Dann geht haushaltspolitisch nichts mehr“, prognostiziert der Ökonom und stellt klar: „Wenn der WSF gesperrt wird, gibt es keinen Spielraum für den Brückenstrompreis.“

Sollte die Ampelkoalition jedoch willens und in der Lage sein, die „langfristigen Investitionsschäden“ mit staatlichen Milliardenausgaben zu beheben, empfiehlt Südekum den Blick über den großen Teich. Dort prescht US-Präsident Joe Biden bei den Subventionen für die grüne Wirtschaft (Energie, Halbleiter, Wasserstoff) gerade vor. „Es ist eine teure Veranstaltung, aber es scheint zu funktionieren“, sagt der Experte für Wettbewerbsökonomie über die „Bidenomics“ und lobt: „Der Aufbau des Inflation Reduction Act ist genial einfach.“

Laut einer Studie von „Goldman Sachs“ wird der Inflation Reduction Act den Staat bis 2023 etwa 1,2 Billionen Dollar kosten, aber dafür Investitionen im Wert von voraussichtlich 3 Billionen Dollar auslösen. „In den USA finden die Investitionen statt, die wir in Deutschland gerne hätten“, sagt Südekum anerkennend. Zum Vergleich stellt er dem Subventionsboom aus den USA das deutsche Wachstumschancengesetz gegenüber, das Unternehmen bei der Dekarbonisierung mit gerade mal 390 Millionen Euro pro Jahr fördert. Den Effekt dieser Investitionsprämien auf die dringend nötige Transformation der deutschen Wirtschaft beschreibt Südekum wie folgt: „Das ist, als ob wir mit einer Wasserpistole gegen Godzilla kämpfen.“ (cwl)

Dieser Artikel erschien am 7.11.2023 in Ausgabe #192.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail