Ab 2020 sollen 18 Prozent des deutschen Energiebedarfs aus regenerativen Energien gedeckt werden. Diese Vorgabe hat die EU Deutschland in einer 2013 in Kraft getretenen Richtlinie gemacht. Der Bundesverband Erneuerbare Energie geht jedoch davon aus, dass dieses Ziel verfehlt wird. In seiner neusten Trendprognose schätzt der Verband, dass nur 16,7 Prozent des Energieverbrauchs durch Wind-, Wasser- und Solarenergie gedeckt werden kann, sofern die Bundesregierung den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht stärker vorantreibt.  Fritz Brickwedde, Präsident des Verbands, hat gestern auf der Hannover-Messe skizziert, wie eine zusätzliche Förderung aussehen könnte. „Unser Energiesystem muss flexibler werden, um die Schwankungen in der Produktion von Wind- und Solarenergie auszugleichen“, sagt Brickwedde. Das betrifft vor allem die Gestaltung der Infrastruktur, um Strom aus anderen Quellen ins Netz einzuspeisen, wenn gerade Windflaute ist oder die Sonne nicht scheint. Mit diesem Thema befasst sich auch das Kopernikus-Forschungsprojekt „Ensure“, das vom Bundeswissenschaftsministerium gefördert wird. Ministerin Johanna Wanka und der Sprecher des Projekts, Professor Holger Hanselka, stellten es gestern ebenfalls auf der Messe vor. Dass die Technologie für eine intelligente Infrastruktur in Ansätzen schon vorhanden ist, zeigen zahlreiche Unternehmen in der Messehalle 27. Viele von ihnen sind der Überzeugung, dass künftig nicht mehr wenige Großkonzerne Menschen und Wirtschaft mit Strom versorgen, sondern dass jeder Einzelne sowohl Verbraucher als auch Produzent sein wird.

Jeder produziert selbst Strom: Zum beispiel mit Photovoltaikanlagen in Brillenglästern. Daran forscht das Karlsruher Institut für Techniologie (KIT). Foto: Christian

Wie so ein intelligentes Netzwerk funktionieren kann, zeigt die Firma Sonnen aus dem Allgäu. Sie verkauft Speichersysteme für Solaranlagen an Unternehmen und Private. Die Idee dahinter liegt auf der Hand: „Tagsüber, wenn die Sonne scheint, sind die Leute meistens nicht zu Hause und können die Energie nicht nutzen“, erklärt Felix Dembski, Vizepräsident im Bereich Strategie. „Abends dagegen, wenn sie den Strom brauchen, ist die Sonne weg.“ Aber der kleine Kasten für die Zimmerwand kann die Energie der Photovoltaikanlage nicht nur speichern. Er kann sie auch weitergeben. Mithilfe von Algorithmen haben die Ingenieure von Sonnen die Geräte untereinander vernetzt, sofern der Kunde dem zugestimmt hat. Ist nun bei einem der Kunden die Batterie leer und die Sonne auch nicht zu sehen, so kann er seinen Strom von einem anderen Kunden bekommen, dessen Anlage gerade zu viel Energie produziert. „Das ist mit einem Preis von 23 Cent pro Kilowattstunde sehr günstig. Die Community kann sich also weitgehend selbst versorgen“, sagt Dembski.

Doch dabei belässt es sein Unternehmen nicht. „Wir verhandeln gerade mit Energieversorgern, die uns den überschüssigen Strom aus dem Netzwerk abkaufen“, sagt er. Jeder einzelne Kunde werde dadurch zum Produzenten. Als Gegenleistung erlässt Sonnen den Kunden die Rechnung für zugekauften Strom. Es ist in diesem Fall die Masse, die den Erfolg ausmacht. Dembski schätzt, dass die Sonnen-Speichertechnik rund 60.000 Verbraucher in Deutschland und Österreich nutzen. Etwa 20.000 von ihnen nutzen die „Flatrate“ und verkaufen ihren überschüssigen Strom an Energieversorger. Es ist ein Projekt, das Zukunft haben dürfte. Denn das Massachusetts Institute of Technology (kurz: MIT) hat Sonnen vergangenes Jahr in seine renommierte Liste der weltweit intelligentesten Unternehmen aufgenommen. Nur Bosch ist als weiteres deutsches Unternehmen dabei.

Bundesforschungsministerin Johanna Wanka und KIT-Professor Holger Hanselka auf der Hannover-Messe. Foto: Christian

Doch wie kann man so ein kleines Netzwerk auf ein ganzes Land ausdehnen? Wie lässt sich darin so viel Energie produzieren, dass es nicht nur für die Familie, sondern auch für das Stahlwerk reicht? „Kurzum: Wie kann Deutschland in seinen Spitzenbranchen weiter vorn bleiben, auch wenn wir auf Erneuerbare Energien umschwenken“, sagt Bundesforschungsministerin Johanna Wanka. Um diese Fragen kümmern sich seit Ende vergangenen Jahres 230 Institutionen aus Wissenschaft und Wirtschaft in vier sogenannten Kopernikus-Projekten. Es sind gebündelte Projekte, die auf rund zehn Jahre ausgelegt und vom Wissenschaftsministerium finanziell gefördert werden. Grund für diese Bündelung war, dass 180 Hochschulen und noch mehr Institute und Unternehmen eigenständig zum Thema Energieumstrukturierung forschen. „Unsere Ressourcen und die Zeit sind aber begrenzt, weshalb wir in diesem Bereich einen neuen Weg der Förderung gegangen sind“, sagt Wanka. Konkret geht es darum, drängende Forschungsfragen anzugehen und zu unterstützen, die zu groß für ein einzelnes Projekt sind, aber dennoch die Freiheit der Wissenschaft zu wahren. Das Kopernikus-Projekt „Ensure“ befasst sich etwa mit Lösungsansätzen, wie die schwankende Stromproduktion Erneuerbarer Energiequellen mit der schwankenden Nachfrage der Verbraucher zusammengebracht werden kann, ohne dass die Netze permanent kollabieren.

Brickwedde als Präsident des Verbands der Erneuerbaren Energien ist aber der Überzeugung, dass die Regierung noch mehr für die Energiewende tun kann. „Die Subvention von Diesel und Erdöl muss gestoppt werden“, fordert er. „Für den Klimaschutz ist es absolut kontraproduktiv, dass der Staat den Einbau von Erdölheizungen fördert.“ Zudem setzt sich der Verband für eine CO₂-Steuer anstelle der Stromsteuer ein. Denn dadurch würden Kohle und Öl als Energielieferanten langfristig unattraktiv gegenüber Gas und Erneuerbaren Energiequellen.