9. Jan. 2017 · 
Inneres

Steinmeier und die schönen, schwierigen Jahre in Hannover

Die Schlüsselszene des gestrigen Tages spielt sich direkt im Büro des Chefs der niedersächsischen Staatskanzlei ab, in einem großen, geräumigen Zimmer im ersten Stock des Gebäudes in der Planckstraße. Vor 20 Jahren war dies das Amtszimmer von Frank Steinmeier. Am Montagnachmittag nun, wenige Tage vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten, steht er bei seiner Hannover-Visite wieder hier, schaut sich um und plaudert mit seinem Nach-Nach-Nach-Nachfolger, dem heutigen Staatssekretär Jörg Mielke. Ministerpräsident Stephan Weil, direkt daneben, hört aufmerksam zu. „Neue Möbel?“ fragt Steinmeier. Weil nickt. Der Gast aus Berlin lässt den Blick schweifen und schwelgt in Erinnerungen: „Das waren schöne Jahre hier.“ Mielke fragt: „Wie lange warst Du denn damals Leiter der Staatskanzlei?“ Steinmeier sagt: „Rund zwei Jahre.“ Darauf Mielke, der nun bald vier Jahre hier sitzt, ganz trocken: „Nach zwei Jahren fand ich es auch noch schön.“ Alle lachen, schon geht es weiter. [caption id="attachment_15085" align="aligncenter" width="780"]Frank-Walter Steinmeier bei seiner Ankunft vor dem Niedersächsischen Landtag - Foto: KW Frank-Walter Steinmeier bei seiner Ankunft vor dem Niedersächsischen Landtag - Foto: KW[/caption] Die Briten mögen es „Understatement“ nennen, eine Form der Bescheidenheit, die mit Untertreibung einhergeht: Man nimmt sich und die Anlässe nicht allzu wichtig, lässt vor allem bei staatstragenden Terminen eine gewisse Lockerheit oder Unbekümmertheit erkennen. Beim Steinmeier-Besuch gestern in Hannover war viel Understatement zu spüren. Der gebürtige Lipper Steinmeier hat als zweite Station seines Vorstellungsbesuchs, nach Brandenburg, Niedersachsen auf dem Programm. Für ihn ist das etwas Besonderes, denn in diesem Bundesland ist er politisch groß geworden. „Hier habe ich mein Handwerk gelernt“, sagt der 60-Jährige, als er gegen Mittag das Foyer des Gebäudes betreten hat und mit freundlichem Applaus begrüßt worden ist. Die Flure und Treppen sind voller Mitarbeiter, die ihn sehen wollen. Alle sind gut gelaunt, fast kommt eine freudige, ja festliche Stimmung auf. Doch gerade der Ministerpräsident gibt sich Mühe, das Treffen nicht zu überhöhen. „Ich freue mich, dass Sie etwas von Ihrer Mittagspause abgeknapst haben, um einen früheren Kollegen willkommen zu heißen“, sagt Weil zu den Anwesenden und fügt hinzu: „Einen Kollegen, der noch heute einen richtig guten Ruf genießt.“ Der Kollege Staatsoberhaupt? Es ist fast das Treffen eines alten Freundes, jedenfalls alles andere als ein Staatsbesuch. Der darf diese Visite formal auch nicht sein, denn noch ist Steinmeier nicht Präsident, sondern nur Präsidentschaftskandidat. https://soundcloud.com/user-385595761/steinmeier-in-hannover-ich-bin-dankbar Es geht mit einer kleinen Gruppe in die kleine Kammer unterm Dach des Hauses, in die er 1991 als Medienreferent einzog. „Hilfsreferent“ meint Steinmeier und leistet seinen Beitrag zum Understatement. Damals habe er sich „erfolgreich einen Ventilator erkämpft“, da es im Sommer dort unterm Dach unerträglich heiß geworden sei. Heute arbeitet hier Mario Bekeschus, Spiegelreferent für das Wissenschaftsministerium, und er zeigt dem prominenten Büro-Vorgänger einen alten Ventilator. „Kann sein, dass das Ihrer war“, meint Bekeschus. Steinmeier setzt sich, sagt nicht viel, meint nur: „Das waren schwierige Jahre hier oben.“ Dann geht es weiter im Rundgang durch das Haus, begleitet von Fernsehteams, Reportern und vielen Mitarbeitern der Staatskanzlei. „Manche bekannte Gesichter habe ich erkannt“, sagt der Gast aus Berlin, und mit der Sekretärin von Mielke ist er sogar per Du. „Jeden Quadratmeter dieses Gebäudes habe ich in guter Erinnerung“, sagt Steinmeier, und es klingt in diesem Augenblick wie der Seufzer von jemandem, der alten Zeiten hinterhertrauert. Noch ein kurzes Vier-Augen-Gespräch zwischen Weil und Steinmeier, dazu ein paar belegte Brötchen – dann geht es auch schon weiter in den Landtag. Erst Vorstellungen in den vier Fraktionen, dann im Plenum vor den Wahlmännern und -frauen, die von den Landtagsfraktionen für die Bundesversammlung am 12. Februar benannt wurden. Die Bandbreite der Themen ist groß, von beruflicher Bildung über die Lage in Aleppo bis zur Integration der Zuwanderer. Nariman Reinke, Bundeswehrsoldatin mit marokkanischen Wurzeln, spricht über ihre Erlebnisse mit der Ausländerfeindlichkeit – und sie trägt ganz bewusst den Kampfanzug der Bundeswehr. Wie kam Steinmeier in dieser Runde an? „Sehr gut“, erklärt Stephan Siemer, CDU-Landtagsabgeordneter. „Er hat gesagt, dass er hier im niedersächsischen Landtag gelernt hat, dass Rabenkrähen ganz besondere Vögel sind, die viele Emotionen auslösen. Er kommt eben von hier – und das macht ihn sympathisch.“ Karl-Heinz Klare (CDU) meint: „Der ist für mich wählbar.“ Von Weil hat Steinmeier zum Abschied ein Niedersachsen-Ross aus Porzellan bekommen, allerdings nur eines im Kleinformat. Überhaupt bleibt der ganze Besuch irgendwie geschäftsmäßig, ohne großen Pomp und ohne die ganz großen Worte. Der Journalist Michael B. Berger fragt ihn beim Rausgehen, ob seine Präsidentschaft irgendein besonderes Motto habe – getreu dem von Johannes Rau, „Versöhnen statt spalten“. Steinmeier stutzt ein wenig, als hätte er damit nun nicht gerechnet. „So einfach wie früher ist das heute nicht mehr“, sagt der SPD-Politiker erst, fügt dann aber noch rasch den „sozialen Zusammenhalt“ hinzu. Wenig später ist Steinmeier wieder verschwunden. (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #4.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail