22. Nov. 2019 · 
Soziales

Sozialministerin Reimann räumt Fehler beim Start der Pflegekammer ein

Von Martin Brüning Der Widerstand ist groß. Das machen die Zahlen zur Pflegekammer deutlich, die Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann am Donnerstag im Landtag präsentierte. Mehr als 45.000 Zahlungserinnerungen habe die Kammer im Oktober an Mitglieder geschickt, die ihren Beitrag für das Jahr 2018 immer noch nicht entrichtet hatten. Große Teile der rund 90.000 Pflegekräfte machen ihrem Unmut Luft, indem sie die Zahlung der Zwangsbeiträge verweigern. https://soundcloud.com/user-385595761/pflegekammer-debatte-im-landtag Immer wieder geben Pflegekräfte auch an, dass ihre Selbsteinstufungen nicht berücksichtigt worden seien und von ihnen deshalb der Höchstsatz gefordert werde. Reimann spricht im Landtag von 134 bekannten Fällen, bei denen ein falscher Beitragsbescheid erstellt wurde. Knapp 7900 Mitglieder hätten zudem ihre Selbsteinschätzung für das vergangene Jahr nicht korrekt ausgefüllt. Kurz: Die Lage ist unübersichtlich. Und das spielt den Gegnern der Kammer in die Karten.

Im Nachhinein war es ein Fehler, diese Anschubfinanzierung nicht vorzunehmen, andere Länder machen das.


Für den FDP-Fraktionsvorsitzenden Stefan Birkner wird anhand der Zahlen deutlich, dass die Akzeptanz der Kammer weiterhin nicht gegeben sei. „Sinn und Zweck der Kammer wird bei uns nicht verstanden und konnte auch den Mitgliedern bisher nicht vermittelt werden“, sagt Birkner im Landtag. Er zählt die Kammerpannen der vergangenen zwölf Monate auf und spricht von Unprofessionalität, Unsensibilität und einem „katastrophalen Verhalten der Kammer“. Der FDP-Fraktionsvorsitzende legt zugleich einen Vorschlag auf den Tisch. In einem Brief an den Ministerpräsidenten sowie die Fraktionsvorsitzenden von SPD, CDU und Grünen schlägt Birkner einen „parteiübergreifenden Kompromiss“ vor. Die Kammer solle zu einer Pflegendenvereinigung weiterentwickelt werden. Deren Aufgaben unterschieden sich gar nicht groß von denen der Kammer, die Mitgliedschaft wäre allerdings freiwillig. Sie könnte Birkners Vorschlag zufolge teilweise aus öffentlichen Geldern finanziert werden. „Aus unserer Sicht sollten wir bereits mit dem Haushalt für das Jahr 2020 die Weichen für eine solche Finanzierung stellen“, schreibt Birkner.

Am Anfang stand eine gutgemeinte Idee. Eine gute Idee ist aber noch lange keine gute Tat.


Das fehlende Geld ist gerade zu Beginn der Kammerarbeit ein Malus, den auch Sozialministerin Carola Reimann in der Debatte anspricht. „Im Nachhinein war es ein Fehler, diese Anschubfinanzierung nicht vorzunehmen, andere Länder machen das“, gesteht Reimann. Im Haushalt sei dafür aber im Moment kein Geld eingestellt. Auch die SPD-Abgeordnete Thela Wernstedt meint, dass Fehler gemacht wurden. Die Kammer müsse als Dienstleister besser werden, das gelte auch für den Umgangston. Dennoch wolle sie die Arbeit der Pflegekammer in parlamentarischen Gremien nicht mehr missen.

AfD fordert Reimann zum Gespräch mit Kammergegnern auf

Für den AfD-Landtagsabgeordneten Stephan Bothe ist das Kind allerdings schon in den Brunnen gefallen. Bei der Kammer sei alles schiefgegangen, was schief hätten gehen können. „Am Anfang stand eine gutgemeinte Idee. Eine gute Idee ist aber noch lange keine gute Tat.“ Bothe forderte die Sozialministerin auf, sich mit den Kammerkritikern an einen Tisch zu setzen.
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Schwer tut sich derweil die CDU mit der Pflegekammer. Trotz des Regierungsbündnisses mit der SPD will sie die Kammer in ihrer jetzigen Form nicht verteidigen, schließlich habe diese Einrichtung das Vertrauen der eigenen Mitglieder verspielt, meint der CDU-Sozialpolitiker Volker Meyer. Und dieses Vertrauen habe sie durch ihre Arbeit nicht zurückgewinnen können. Ziel der CDU bleibe eine Pflege-Organisation mit einer freiwilligen Mitgliedschaft, weil ein großer Teil der Pflegekräfte nun einmal nicht „zwangsverkammert“ werden wolle. Bei der CDU rennt Stefan Birkner mit seinem Brief deshalb wohl offene Türen ein.

CDU: Grüne spielen sich zu Unrecht als Retter auf

Ärger gibt es derweil in der Regierung über die Grünen, eher hinter vorgehaltener Hand bei der SPD, ganz offen ausgesprochen bei der CDU. Die Grünen versuchten, sich als Retter des Kammer aufzuspielen, seien für die Fehler der Vergangenheit aber mitverantwortlich, schimpft Meyer, immerhin wurde die Kammer in der rot-grünen Regierungszeit auf den Weg gebracht. Dabei seien eben keine Mittel für die Kammer in die Mittelfristige Finanzplanung eingestellt worden. „Es wurden Fehler gemacht“, räumt deshalb auch die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anja Piel, ein. Sie forderte erneut, das Land solle die Mitgliedsbeiträge übernehmen, bis die Ergebnisse der Evaluation vorlägen. Man müsse die Kammer erst einmal zum Laufen bringen. Die Landesregierung mache es sich zu einfach, wenn sie sich immer nur auf die Evaluation zurückziehe. https://www.youtube.com/watch?v=jbTvt3v_plE Ein Teilaspekt bei dieser Evaluation hat derweil Stephan Bothe von der AfD hellhörig werden lassen. Am Vortag hatte die Sozialministerin im Landtag mitgeteilt, dass die für die Evaluation zuständige Firma Kienbaum die Kammer bereits während des Verfahrens beraten wird. Ob es da nicht einen Interessenkonflikt gebe, wenn Kienbaum einerseits die Kammer prüfen soll, gleichzeitig aber schon bei der Beseitigung von Missständen hilft, will Bothe wissen. Seine Frage bleibt unbeantwortet. https://www.youtube.com/watch?v=1nZC9ERs4O8 Zu allem, was schiefgelaufen ist, gehört auch die zunächst geplante und dann verschobene Lobby-Veranstaltung im Gartensaal des hannoverschen Rathauses. Im Landtag präsentierte Reimann am Donnerstag die ursprünglich geplanten Kosten für die Veranstaltung. Sie lagen geschätzt bei 13.700 Euro, darunter 4500 Euro für „Getränke und Snacks“, 2700 Euro als Raummiete für den Gartensaal und 600 Euro für einen Fotografen. Die Zahlen sind weiteres Wasser auf die Mühlen der Kammerkritiker, die ihre Zwangsgebühren nicht sinnvoll eingesetzt sehen. Die Veranstaltung war für den 9. Dezember geplant. An diesem Tag wollen die Kammergegner jetzt trotzdem in Hannover demonstrieren, auch wenn die Lobby-Veranstaltung abgesagt wurde Der Widerstand bleibt groß.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #207.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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