Die Ampel-Koalition in Berlin hat schon vor geraumer Zeit einen neuen Vorschlag zur Reform des Bürgergeldes vorgestellt. Demnach soll es neben neuen Sanktionen künftig auch einen finanziellen Anreiz geben. Langzeitarbeitslosen soll nach einer insgesamt zwölfmonatigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung eine Prämie in Höhe von 1000 Euro vom Staat ausgezahlt werden. Aus der SPD hört man inzwischen viele Stimmen, die davon wieder abrücken wollen. Ist das vielleicht doch eine sinnvolle Regelung? Die Rundblick-Redaktion streitet darüber.

Was wären Sie ein Jahr lang zu tun bereit, böte man Ihnen dafür am Ende 1000 Euro extra? | Foto: Brigida_Soriano via Getty Images

PRO: Jeder Langzeitarbeitslose weniger entlastet den Staat pro Jahr um 25.000 Euro. Diese Summe sollte eine Investition in Höhe von 1000 Euro durchaus wert sein, meint Tomas Lada.

Die von Boulevard-Medien populistisch titulierte „Arsch-hoch-Prämie“ oder wahlweise auch „Faulenzer-Prämie“ erregt mal wieder die Gemüter im politischen Berlin und weit darüber hinaus. Obwohl das Vorhaben von allen Ampel-Parteien gemeinschaftlich im „Wachstumspaket“ beschlossen wurde, gibt es parteiübergreifend Widerstand, nachdem der „Arsch-hoch-Prämie“ öffentlich selbiger versohlt worden war. Das ist einerseits nichts Neues in Anbetracht des Zustands der Bundesregierung. Neu ist allerdings, dass die Debatte, vermutlich auch durch massives mediales Framing, nicht mehr rational geführt wird. Sichtbar wird, was unter der Oberfläche der eigentliche Auslöser der Empörungswelle war: das Gefühl von Ungerechtigkeit, Missgunst, Neid. Das führt an dieser Stelle allerdings gar nicht weiter. 

„Die Ampel nähert sie sich dem Problem von beiden Seiten – Zuckerbrot und Peitsche sozusagen.“

Durchschnittlich 906.000 Langzeitarbeitslose gab es in Deutschland laut Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2023. Besonders auffällig ist in der Statistik, dass 60,8 Prozent der Langzeitarbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen können, das sind immerhin 510.000 Menschen. Nehmen wir an, dass Erwerbsmöglichkeiten für Arbeitskräfte ohne abgeschlossene Berufsausbildung häufig nur im Niedriglohnsektor infrage kommen, dann wird deutlich, dass es einen Fehler im System gibt und sich die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung im Vergleich zum Bürgergeldbezug finanziell nicht zu „lohnen“ scheint. Solange es für Menschen attraktiver ist, nicht zu arbeiten als einer geregelten Arbeit nachzugehen, haben wir ein Problem mit der „sozialen Hängematte“. Nun möchte die Bundesregierung nicht nur eine Prämie für die Aufnahme einer Beschäftigung auszahlen, sondern zeitgleich auch die Kürzungen des Bürgergeldes für Langzeitarbeitslose bei Nichtaufnahme einer Beschäftigung verschärfen. Somit nähert sie sich dem Problem von beiden Seiten – Zuckerbrot und Peitsche sozusagen.

Und das ist auch sinnvoll so. Die Prognose für das Wachstum der deutschen Wirtschaft ist im zweiten Jahr in Folge negativ. Eine solche wirtschaftliche Lage gab es in der Bundesrepublik zuletzt vor mehr als 20 Jahren. Die Wirtschaft schrumpft, gleichzeitig ist die Fachkräftelücke in Deutschland so groß wie nie zuvor. Der wirtschaftliche Aufschwung kann nur durch zusätzliches Personal gelingen – dabei zählen nicht nur Fachkräfte, sondern mittlerweile schon Arbeitskräfte allgemein. Erwerbsanreize zu schaffen, scheint gegenwärtig wichtiger denn je zu sein, wenn der Wohlstand auf längere Sicht in Deutschland bleiben soll. Den Erwerbsanreiz anzuheben durch eine Verschärfung der Bürgergeldsanktionen, kombiniert mit einer Prämie nach einjähriger Rückkehr in den Arbeitsmarkt – das ist zumindest in der Theorie ein geeignetes Mittel in dieser Zeit.

Die unerklärliche Neid-Debatte, warum „Couch Potatoes“ nach einem Jahr Arbeit 1000 Euro „geschenkt“ bekommen, während sich ein Großteil der Bevölkerung jeden Montag zur Arbeit quält und dafür kein Geld „geschenkt“ bekommt, ist absurd. Die Auflösung zielt auf die Opportunitätskosten. Schätzungen zufolge entlastet die Überführung eines Langzeitarbeitslosen in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung die Staatskasse um 25.000 Euro pro Jahr. Im Vergleich dazu sind 1000 Euro als „Investition“ gering, die Rendite umso höher. 

Natürlich lassen sich nicht alle Langzeitarbeitslosen von 1000 Euro aus der Arbeitslosigkeit locken. Aber wenn es selbst bei nur jedem zehnten gelingt, bedeutet das Einsparungen staatlicher Ausgaben von knapp 2,2 Milliarden Euro pro Jahr, die für wichtigere Vorhaben eingesetzt werden können. Wichtiger noch: Bei Aufnahme einer Beschäftigung fallen Steuern an und Langzeitarbeitslose haben die Chance auf einen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt – eigenes Einkommen, mehr Selbstbestimmung, vielleicht sogar Fortbildungsmöglichkeiten mit der Perspektive auf einen Aufstieg. Es ist somit eine Win-Win-Win-Situation sowohl für Langzeitarbeitslose als auch für die deutsche Wirtschaft – und eben auch für die ewigen Nörgler, wenn sie von den positiven Effekten erfahren. 

Studien aus den USA haben gezeigt, dass finanzielle Belohnungen für frühere Arbeitslose positive Wirkungen zeigen. Auch wir sollten die Prämie dem Praxistest unterziehen und auf einen positiven „return-on-investment“ spekulieren, anstatt verschrobene Ungerechtigkeitsphantasien weiter zu befeuern.

Zum Schluss noch eine provokative These: Die Höhe der Prämie kann als Hebel fungieren. Wenn ehemalige Langzeitarbeitslose 2000 Euro erhalten und dadurch doppelt so viele zum Wiedereinstieg ins Berufsleben motiviert werden sollten, gewinnen wir dadurch sogar noch mehr.


CONTRA: Der Staat überhebt sich, wenn er nun auch noch für Selbstverständliches Prämien vergibt. Außerdem wirkt diese Maßnahme an den Problemen vorbei: Es braucht eine angemessene Entlohnung auf dem ersten Arbeitsmarkt, passende Qualifizierungsprogramme und eine geringere Schulabbrecherquote, meint Niklas Kleinwächter.

Der Kapitalismus braucht Arbeitslose. Zum einen senkt deren Vorhandensein die Arbeitskosten – denn man könnte ja immer auch noch jemanden finden, der es für weniger macht. Die Volkswirtschaft braucht aber auch ein gewisses Fachkräfte-Reservoir, damit der Wohlstand insgesamt wächst. Und mit Wohlstand ist hier nicht der Kontostand von „Rich Uncle Pennybag“ gemeint, sondern der Wohlstand der gesamten Nation. Denn hat ein Arbeitgeber mehrere Bewerber für eine offene Stelle zur Auswahl, hat er nicht nur die Freiheit, den günstigeren zu nehmen, sondern er kann den besten engagieren. Die Bewerber wiederum müssen deshalb um ihren Platz kämpfen, sich also anstrengen, kontinuierlich besser zu werden. Dazulernen, Neues ausprobieren, auch mal den steinigen Weg gehen. Eine ganze Menge Menschen sind vermutlich so gestrickt, dass sie aus sich selbst heraus immer wieder über sich hinauswachsen wollen. Andere aber brauchen eben einen Anreiz, um die Komfortzone zu verlassen. Die kapitalistische Wirtschafts- und Lebensform kann das meiner Meinung nach am besten bewerkstelligen.

Dieses System ist inzwischen allerdings an sein vorläufiges Ende gekommen. Wir haben nicht mehr nur einen Fachkräftemangel, sondern einen Kräftemangel. Um das System halbwegs am Laufen zu halten, müssen nun die letzten Kräfte aktiviert werden. Weil der Arbeitsmarkt, oder besser: die Arbeitgeber das aus sich selbst heraus offenbar nicht zu leisten vermögen, ist der Staat gefragt. Das ist nur folgerichtig, schließlich wird der Preis in der deutschen Sozialen Marktwirtschaft nicht vom Markt allein bestimmt. Der Mindestlohn war die logische Konsequenz aus der sanktionsbewährten Sozialhilfe, die 1000-Euro-Prämie für die Aktivierung von Langzeitarbeitslosen setzt diese Denkweise nur fort: Wer die einen sanktioniert, muss die anderen auch belohnen. Fragt sich nur, wohin sich das perspektivisch entwickelt: Wie häufig kann man die 1000-Euro-Prämie in Anspruch nehmen? Und steigt die Summe inflationsbedingt mit den Jahren an?

„Ökonomisch betrachtet mag es kurzfristig sinnvoll sein, es geht aber auch um ein umfassenderes Gerechtigkeitsempfinden.“

Ökonomisch betrachtet mag es kurzfristig sinnvoll sein, arbeitsunwillige Langzeitarbeitslose auf diese Weise in den Arbeitsmarkt zu ziehen. Schließlich leisten sie was und zahlen zudem Steuern und Sozialabgaben, statt monatlich Bürgergeld zu beziehen. Moralisch spricht aber einiges dagegen, und das ist nicht zu unterschätzen. Es geht dabei auch um ein umfassenderes Gerechtigkeitsempfinden. Lohnt es sich, aus sich selbst heraus fleißig zu sein – oder sollte man nicht doch warten, bis der Staat mir vermeintlich selbstverständliches vergoldet? Die Prämie wäre doch auch ein Schlag ins Gesicht all derer, die ihre Arbeitskraft jahrelang dem Niedriglohnsektor dargeboten haben. Warum sollte man sich künftig noch anstrengen, wenn der Staat das Signal aussendet, dass man nur lange genug warten muss, um irgendwann eine Prämie zu erhalten?

Aus dieser Grundüberzeugung heraus ergibt sich aus dem Ampel-Plan ein persönliches Unbehagen: In meinen Augen sollte es in einem Gemeinwesen wie dem unseren selbstverständlich sein, dass man, wenn man kann, auch arbeiten geht – also sich nach Kräften dafür einsetzt, dass der Laden läuft. Jede Vorstellung einer sozialen Hängematte lehne ich ab. Doch bevor jetzt die bösen Zuschriften kommen: Ich sage damit nicht, dass jeder, der langzeitarbeitslos ist, auf der faulen Haut liegt. Wer mit einer 1000-Euro-Prämie wedelt, adressiert allerdings genau diese Personengruppe. Dahinter steckt derweil ein anderes Problem: Der finanzielle Abstand zwischen dem Bürgergeld und dem Niedriglohnsektor ist offenbar viel zu gering. Für viele Geringqualifizierte lohnt es sich nicht, für ein paar wenige Euro mehr jeden Tag früh aufzustehen und womöglich unangenehme Arbeit zu verrichten. Es sollte der Grundsatz gelten, dass jede Arbeit besser ist als keine Arbeit – aber natürlich ist gute Arbeit noch besser als schlechte Arbeit. Eine Alternative zur Prämie drängt sich deshalb auf: Vergrößert die Lücke zwischen Bürgergeld und Niedriglohn – entweder indem das eine sinkt oder aber das andere steigt. Weil das aber zwei unattraktive Optionen sind – vor allem kurz vor der nächsten Wahl – will der Staat noch einmal versuchen, das Problem mit Steuergeld zu lösen. Selbst bei einer womöglich reformierten Schuldenbremse dürfte das nicht vorgesehen werden.

„Der Staat sollte in die Aus- und die Weiterbildung noch mehr Energie und Geld investieren, um die dringend benötigten Fachkräfte zu gewinnen und zu halten.“

Bleibt noch ein anderes Problem der Prämien-Idee: Wer den Langzeitarbeitslosen Bequemlichkeit unterstellt und sie mit 1000 Euro aus der Reserve locken will, leugnet die Annahme, dass es sich beim Arbeitslosen-Reservoir vorrangig um „Mismatch“-Fälle handelt. Gemeint sind damit sogenannte berufliche Passungsprobleme, von denen jedes Jahr rund um den 1. August wieder viel berichtet wird, wenn die Ausbildungsbetriebe wieder einmal klagen, dass sie keine geeigneten Bewerber finden. Durch den technologischen Fortschritt, der in rasantem Tempo voranschreitet, wird das Problem, dass Fähigkeiten und Anforderungen nicht zusammenpassen, noch verschärft. Hinzu kommt eine wachsende Zahl von Schülern, welche die Schule ohne Schulabschluss verlassen und deshalb denkbar ungeeignet auf den Arbeitsmarkt vorbereitet sind. Laut Schulstatistik lag die Quote in Niedersachsen im vergangenen Jahr bei 7,7 Prozent. Eine Karriere als Langzeitarbeitsloser scheint da bei einigen Fällen programmiert. Deshalb sollte der Staat in die Aus- und die Weiterbildung noch mehr Energie und Geld investieren, um die dringend benötigten Fachkräfte zu gewinnen und zu halten, damit Langzeitarbeitslosigkeit entweder gar nicht erst entsteht oder durchbrochen wird.