So war die Stimmung auf den Wahlpartys der großen Parteien
Lange Gesichter oder großer Jubel: Die Rundblick-Redaktion war bei den Wahlpartys der vier großen Parteien am Sonntagabend live vor Ort.
Stephan Weil sei Dank: Der SPD fällt ein Stein vom Herzen
Wer die Gefühlslage in der SPD vor der ersten Wahlprognose um kurz vor 18 Uhr genau wissen wollte, der brauchte sich nur Gabriele Andretta anzuschauen. Trotz allgemein guter Stimmungslage waren der scheidenden Landtagspräsidentin die Anspannung und das Bangen um ein gutes Ergebnis geradezu ins Gesicht geschrieben. Und auch Fraktionschefin Johanne Modder und Boris Pistorius starrten gebannt auf die Fernsehübertragung. Unklar ist, ob der Innenminister seine FFP2-Maske vielleicht nur deswegen absetzte, damit er sich auffallend nervös auf die Lippen beißen konnte. Dann aber kam er endlich, der Moment der Befreiung: 32,5 Prozent für die SPD in der ersten Prognose lösten bei der weitgehend versammelten Landtagsfraktion einen Begeisterungssturm aus.
Modder riss die Fäuste in die Höhe, Pistorius deutete gleich mit beiden Zeigefingern jubelnd auf den Bildschirm, Dirk-Ulrich Mende klatschte immer höher und höher, Stefan Politze ließ vor Freude beinahe seine Bierflasche fallen und Andretta hüpfte regelrecht vor Glück. Erst das zweistellige Wahlergebnis der AfD trübte die Stimmung und provozierte laute Buhrufe. „Es ist ein gutes Ergebnis, insbesondere für Stephan Weil. Es ist keine gute Strategie gewesen, sich am Bund abzuarbeiten“, kommentierte Birgit Honé etwas später. Dass das SPD-Resultat dem allgemeinen Bundestrend trotze, machte nicht nur die Europaministerin am Landesvater fest. Johanne Modder holte den Stephan Weil nach seiner kurzen Siegesrede, die frenetisch gefeiert wurde, noch einmal zurück auf die Bühne, um eines klar zu machen: Ohne den Ministerpräsidenten wäre dieser Wahlsieg in dieser Deutlichkeit nicht möglich gewesen. (cwl)
Tränen und lange Gesichter bei der CDU
Kurz vor 18 Uhr machte eine ungewöhnliche WhatsApp-Nachricht die Runde im Fraktionssitzungssaal der CDU. Angeblich sollte die Union auf 31 Prozent der Wählerstimmen kommen, die SPD direkt danach mit 30 Prozent folgen. Konnte das stimmen? Natürlich nicht. „Das ist Fake“, rief Fraktions-Pressesprecher Ralph Makolla. Als dann um 18 Uhr die ersten Zahlen veröffentlicht wurden, bestätigte sich diese Vermutung rasch. Mit (zu diesem Zeitpunkt) 27,5 Prozent würde die CDU in Niedersachsen das schlechteste Ergebnis in ihrer Geschichte einfahren. Dementsprechend lang waren die Gesichter, als der schwarze Balken nicht so weit anstieg wie erhofft.
Durch die falsche Prognose im Vorfeld wirkten einige der Anwesenden wie ein Kind, dem man zuerst ein schönes Geschenk gezeigt und es dann ganz schnell wieder aus den Händen gerissen hat. Auch Tränen waren in manchen Augen zu sehen. Ein Aufstöhnen folgte bei den Zahlen der FDP, die bangen muss, und der AfD, die erstaunlich viele Stimmen gewinnen konnte. Einzig das im Verhältnis zu den Umfragen nur mäßig gute Ergebnis der Grünen ließ die CDU-Politiker aufatmen: kein Höhenflug zu erwarten. Als dann über eine halbe Stunde später der geschlagene Spitzenkandidat Bernd Althusmann den Saal betrat, erhielt er wärmenden Applaus. Nachdem er zur großen Überraschung der Gäste schon zu diesem frühen Zeitpunkt seinen Rücktritt angekündigt hatte, mit feuchten Augen die Bühne verließ und seine Familie umarmte, zollten ihm die Anwesenden Respekt. (nkw)
Grüne hätten sich noch mehr Prozente gewünscht
Eigentlich hatte man bei den Grünen noch auf ein paar mehr Prozentpunkte gehofft. Bis kurz vor der Wahl hatte die Partei in Umfragen bei 16 Prozent gelegen, doch dann waren es in der ersten Prognose am Sonntag nur 14,5 Prozent. Dennoch sorgte das auf der Wahlparty im Alten Rathaus für großen Jubel, insbesondere weil eine rot-grüne Koalition damit in greifbare Nähe gerückt ist. „Die Zahlen sind ein klarer Regierungsauftrag für die Grünen“, sagte die Landesvorsitzende Anne Kura. Das Sahnehäubchen war für viele, dass die CDU ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren hat, was als Beweis dafür gewertet wurde, dass die Wähler eine rot-grüne Regierung bevorzugen würden.
Das zweistellige Abschneiden der AfD hat viele auf der Grünen-Party erschrocken. Die Zahlen seien schockierend, besorgniserregend und die zukünftige Landesregierung müsse schnell liefern, um gegen eine drohende soziale Spaltung entgegenzuwirken. Den größten Applaus bekam das Spitzenduo Julia Willie Hamburg und Christian Meyer, die wie Rockstars eine halbe Stunde nach der ersten Hochrechnung im Saal empfangen wurden. „Das ist das beste Ergebnis, das wir je hatten. Die Zahlen zeigen deutlich, dass die Menschen in Niedersachsen für Rot-Grün entschieden haben“, sagte Grünen-Spitzenkandidatin Julia Willie Hamburg. (als)
Die FDP bangt um ihre Zukunft im Landtag
Optimismus ist das Wort des Abends bei der niedersächsischen FDP. Die Stimmung bei der Wahlparty im Brauhaus Ernst August in Hannover war zunächst – vielleicht aber auch nur etwas oberflächlich – erstaunlich fröhlich und hoffnungsvoll in Anbetracht einer sich andeutenden Zitterpartie um den Wiedereinzug in den niedersächsischen Landtag. Und so kam es schließlich auch: um 18 Uhr, während der ersten Prognose, teilte sich die Stimmungslage merklich auf zwei Lager auf. Die einen, die 5,0 Prozent mit Erleichterung und vorsichtigem Applaus quittierten; die anderen, die voller Enttäuschung und Frust über das Wahlergebnis zügig den Austausch untereinander suchten und erste Analysen des Wahlausgangs initiierten. Besonders frustriert zeigten sich die FDP-Anhänger vom zweistelligen Abschneiden der AfD. Ohne nennenswerten Wahlkampf, geschweige denn starken Personen an der Spitze der Partei, sei das starke Abschneiden der Alternative für Deutschland besonders schmerzhaft an solch einem Abend.
Etwa eine halbe Stunde nach der ersten Prognose betrat der Landesvorsitzende der niedersächsischen FDP, Stefan Birkner, unter wohlwollendem Applaus seiner Parteianhänger die Bühne. „Ich gehe fest davon aus, dass wir dem Landtag angehören werden“, wusste Birkner die ambivalente Stimmung wieder in Richtung Optimismus umzukehren und bedankte sich für einen aus seiner Sicht gelungenen Wahlkampf. So spannend habe sich der sichtlich enttäuschte Landesvorsitzende den Abend jedoch nicht vorgestellt, es gelte nun „die Nerven zu behalten“. Das von der Partei für die Wahlparty eingekaufte Getränkekontingent im Brauhaus war jedenfalls schon erschöpft, bevor der Landesvorsitzende zu seinen Wahlkämpfern dazu stieß. Ob aus Frust über das Scheitern an der 5-Prozent-Hürde oder Freude über den knappen Wiedereinzug in den Landtag, wird sich allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt rückwirkend bewerten lassen müssen. (TL)
Dieser Artikel erschien am 10.10.2022 in der Ausgabe #177.
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