Das Problem besteht länger, als Bernd Althusmann lebt – nämlich schon seit 1952. Damals bekam der Flughafen Hannover-Langenhagen erstmals eine Betriebsgenehmigung auch für nächtliche Flüge, also zwischen 22 Uhr abends und 4 Uhr in der Frühe. Jetzt ist es an der Zeit, die letzte befristete Erlaubnis von 2009 noch einmal neu zu fassen, denn sie endet im Dezember 2019. Althusmann, der zuständige Verkehrs- und Wirtschaftsminister, hat vor Wochen dazu einen Vorschlag unterbreitet.

Moderator Martin Brüning, Dieter Poppe, Bernd Althusmann, Ralph Beisel und Hermann Lindner bei der Diskussion im Ratssaal in Langenhagen – Foto: kw

Aber diese Idee, die der CDU-Politiker für abgewogen, vernünftig und sachgemäß hält, stößt in Langenhagen, Isernhagen und Garbsen auf heftigen Protest. Eine örtliche Bürgerinitiative mit dem Namen „Besser ohne Nachtflug“ (BON) macht gegen die bisherigen Regeln mobil – und fordert ein stärkeres Engagement der Landesregierung für nächtliche Ruhe der genervten Anwohner. Am gestrigen Abend kamen 160 Bürger im Rathaus von Langenhagen zum Meinungsaustausch mit dem Minister zusammen. Die Stimmung war gereizt. Moderator Martin Brüning, Chefredakteur des Politikjournals Rundblick, musste einige Zwischenrufer während Althusmanns Rede bremsen: „Wir wollten doch anständig miteinander umgehen und uns gegenseitig ausreden lassen.“

Die Menschen glauben den Politikern nicht mehr – sie halten sie für Vertreter der Industrie.

Tatsächlich prallen in diesem Konflikt Welten aufeinander  „Die Politik sollte mehr Visionen zeigen“, betont der BON-Sprecher Dieter Poppe. Er unterstellt der Landesregierung, die eigenen Möglichkeiten zur Einschränkung des Flugbetriebs nicht ausgeschöpft zu haben. Es würden fadenscheinige Argumente vorgetragen, etwa die Gefährdung von Arbeitsplätzen, falls der nächtliche Betrieb verboten würde.

Wie viele Arbeitsplätze bringt die Nachtflugerlaubnis?

Als Althusmann in seiner Eingangsrede das Wort „Arbeitsplätze“ nur kurz erwähnt, wird Gelächter im Saal laut. Poppe erwidert später. 1340 Mitarbeiter habe der Flughafen in Langenhagen – und es könne doch nicht sein, dass deren Zukunft von ausgeweiteten Flugzeiten abhänge. Andere Airports existierten doch auch ohne Nachtflugerlaubnis. Dem widersprachen Hermann Lindner von der Tui-Fly und Ralph Beisel vom Flughafenverband. Viele Fluggesellschaften hätten in den vergangenen Jahren aufgeben müssen, im Flugverkehr sei die Situation insgesamt angespannt. „Die Stärke des Flughafens Langenhagen liegt doch gerade in der Möglichkeit, hier auch nachts landen und starten zu können“, betont Lindner.

Zu der Frage des Moderators Brüning, ob denn die Wirtschaftlichkeit des deutschen Flugverkehrs von ein paar Stunden Nachtflugerlaubnis abhänge, beantwortet Beisel daher mit einem klaren „ja“.

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Für Althusmann hingegen ist das gar nicht der Punkt. Er formuliert eine juristische Position: Der Flughafen Hannover-Langenhagen habe seit jeher eine Nachtflugerlaubnis, und das Ministerium habe gar keine Chancen, ihm diese zu entziehen – solange die Grenzwerte der Lärmbelastung nicht überschritten würden. Und sie würden nicht überschritten. Wenn auch BON-Sprecher Poppe erkläre, an sechs von neun Messstellen sei der Lärm in den vergangenen zehn Jahren enorm gestiegen, so fehle doch eine Handhabe für Verbote.

Althusmanns Plan sieht nun so aus: Er wolle keine neue befristete Genehmigung mit einschränkenden Auflagen für den Nachtflugbetrieb erteilen (wie es bisher der Fall war), sondern eine unbefristete Erlaubnis. Diese solle auch Beschränkungen enthalten, etwa das Verbot für besonders laute Maschinen. Aber in einer unbefristeten Erlaubnis sieht Althusmann im Vergleich zu bisher den Vorteil, dass das Ministerium dann jederzeit sofort einschreiten und Sanktionen verhängen könne, sobald es Hinweise beispielsweise auf Lärmüberschreitungen gibt. Bisher gehe das nicht. Mehr aber, also ein Nachtflugverbot, sei illusionär.

Höflicher Applaus für Althusmann

In der Diskussion vor den rund 160 Zuhörern wird rasch deutlich, dass der Protest gegen den Flugbetrieb gar nicht so einheitlich ist. Da meldet sich eine Mutter, die von den Kindern spricht, die besonders unter dem Lärm leiden. Eine Frau berichtet von 22 nächtlichen Überflügen am 15. Juli 2018 in Garbsen-Osterwald, also übermäßig vielen. Althusmann meint: „Wir prüfen nach, ob das so war und es einen Verstoß gab.“ Der Minister räumt immerhin ein, dass die Mess-Angaben Durchschnittswerte sind und es zu einzelnen Ausreißern und Schwankungen kommen könne.

Der Burgdorfer Ratsherr Hans-Peter Mörich vertritt eine total konträre Linie: Der Flughafen Langenhagen sei auch wegen der nächtlichen Flüge so attraktiv  – und wem der Lärmpegel zu hoch sei, der könne „in die Apotheke oder zu Rossmann gehen und sich was kaufen“. Ganz anders dagegen sieht es der frühere Linken-Politiker Michael Braedt: Das Land Niedersachsen sei in geschäftlicher Abhängigkeit zur Flughafenwirtschaft – deshalb verzichte es darauf, als Miteigentümer des Flughafens das Nachtflugverbot durchzusetzen, was aber durchaus möglich sei. „Stimmt nicht“, erwidert Althusmann, „es gibt diesen Zusammenhang nicht“.

Ein älterer Herr meint: „Die Menschen glauben den Politikern nicht mehr – sie halten sie für Vertreter der Industrie.“ Als der Minister daraufhin wortreich versucht, sein Engagement für Klimaschutz und die Interessen der nachfolgenden Generationen zu begründen, kommen Zwischenrufe: „Aufhören“ und „das ist doch kein Wahlkampf hier“.

Immerhin: Der Beifall für BON-Sprecher Poppe ist zwar an diesem Abend am stärksten ausgeprägt, aber Buh-Rufe erntet Althusmann nicht – auch er bekommt höflichen Applaus. Die Stimmung ist dann nicht so eindeutig, wie es manche im Vorfeld erwartet hatten. (kw)