Schweigen in der „Hassfabrik“
Schweigen in Hildesheim. An der Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) will man zu den Antisemitismus-Vorwürfen jetzt erst einmal gar nichts mehr sagen. Nachdem am Wochenende erneut über das umstrittene Nahost-Seminar berichtet worden war (Überschrift: „Wenn Israel-Hass Lernziel an einer Hochschule wird“), gibt man sich in der HAWK nun zugeknöpft. Man komme ja in Teufelsküche, wenn man jeden Artikel zu dem Fall kommentieren würde, sagt die Sprecherin der Hochschule.
In Teufelsküche kommt man allerdings auch mit einer Präsidentin, die mit schnellen Fingern einen Tweet bei Twitter absetzt und dabei etwas Fingerspitzengefühl vermissen lässt. Am 30. Juli hatte die Hildesheimer Allgemeine geschrieben, ein Sprecher des israelischen Außenministeriums habe die HAWK als Hass-Fabrik bezeichnet. Daraufhin twitterte Hochschulpräsidentin Christiane Dienel: #Antisemitismus-Vorwürfe gegen die #HAWK – Wer ist hier eigentlich die „Hassfabrik“? Zwei Tage später teilte Niedersachsens Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Klajic mit, Antisemitismus habe an Niedersächsischen Hochschulen selbstverständlich keinen Platz. Wirklich?
https://twitter.com/Dienel_HAWK/status/759163010648829952
Wo hört Wissenschaftsfreiheit auf und wo fängt Geschmacklosigkeit an? Schon vor einem Jahr wandte sich Rebecca Seidler, die selbst an der Universität Hildesheim und der Hochschule Hannover lehrt, an die Dekanin Christa Paulini der HAWK und machte sie unter anderem auf die fragwürdigen Dokumente aufmerksam, die in dem Seminar behandelt wurden. Sie wurde abgeblockt. Braucht es ein besonderes Maß an Sensibilität, wenn 70 Jahre nach dem Holocaust in einem Seminar an einer deutschen Hochschule von der „israelischen Apartheid-Mauer“ und in dessen Beschreibung von einer „lokalen israelischen Version einer entmenschlichten Gesellschaft“ die Rede ist? Seidler sieht keinerlei Sensibilität bei der Dekanin und der Präsidentin der HAWK.
Schweigen in Hildesheim, Verwunderung in Hannover. CDU-Fraktionsvize Jörg Hillmer sieht die selbstverordnete Sprachlosigkeit seitens der HAWK skeptisch. In Bezug auf den Tweet müsse die Präsidentin geraderücken, was sie damit gemeint beziehungsweise nicht gemeint habe, sagt Hillmer im Gespräch mit dem Rundblick. „Das muss man erläutern und sich gegebenenfalls entschuldigen.“ Auch bei der FDP wundert man sich über die Tonalität der Hochschulpräsidentin. „Ohne die Autonomie der Hochschulen in Frage stellen zu wollen, muss von einer Hochschulpräsidentin größtmögliche Sensibilität im Umgang mit Antisemitismus-Vorwürfen erwartet werden können. Das Verhalten der Präsidentin der HAWK Hildesheim ist in diesem Zusammenhang in höchstem Maße fragwürdig“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion, Stefan Birkner. Die SPD-Wissenschaftspolitikerin Silke Lesemann bezeichnet die Äußerung der Präsidentin auf Twitter als schwierig. Die Frage sei, ob der Kurznachrichtendienst für solche komplexen Diskussionen geeignet sei, formuliert Lesemann vorsichtig.
Die Kommunikation der Präsidentin erinnert an ein kleines Kind, das sich beim Versteckspiel die Augen zu hält. Ihr Credo: Wenn ich nichts mehr sage, sagt auch kein anderer mehr etwas zu dem Thema. Die Taktik geht nicht auf. Nächste Woche werden die Vorwürfe Thema in der Plenarsitzung des niedersächsischen Landtags sein. Die CDU-Fraktion hat eine Mündliche Anfrage an die Landesregierung eingereicht. Sie will unter anderem wissen, wie und wann das Wissenschaftsministerium reagiert hat und zu welcher Einschätzung es kam, bevor die Vorwürfe öffentlich wurden.
In Hannover diskutieren Experten am 15. September auf einem Podium der Liberalen Jüdischen Gemeinde über die Frage „Wo beginnt israelbezogener Antisemitismus?“ Vorgestern erreichte die Veranstalter noch die spontane Zusage einer Teilnehmerin. HAWK-Präsidentin Christiane Dienel möchte auf dem Podium mitdiskutieren. (MB.)
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