„Schluss mit der Dämm-Olympiade“: Wohnungswirtschaft fordert Abkehr vom Passivhaus
Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Da sind sich Wissenschaftler, Experten und Politiker aller Fraktionen einig. Doch wie passen Klimaneutralität und Bezahlbarkeit zusammen? Beim deutschen Wohnungsbau-Tag haben Donnerstag die Vertreter von sieben führenden Branchenverbänden eine gemeinsame Linie vorgestellt, mit deren Hilfe die ehrgeizigen Klimaschutzziele und Wohnungsbauziele der Ampel-Regierung gleichzeitig umgesetzt werden können. Das „Verbändebündnis Wohnungsbau“ fordert von der Politik mehr Planbarkeit, mehr Umbauten im Bestand, mehr sozialen Wohnungsbau, weniger Bürokratie und mehr Abstriche bei der Energieeffizienz. Zu viel Klimaschutz, da sind sich die Branchenvertreter einig, würde die Bauwirtschaft überfordern und das „Mammutprogramm Wohnen“ aus der Kurve werfen.
Ist es überhaupt machbar, jedes Jahr 400.000 Wohnungen zu bauen, wie es die Bundesregierung anstrebt? „Wir können das leisten. Der Erfolg der Klimawende entscheidet sich auf den Baustellen. Und wir sind auf einem guten Weg, um die Kapazitäten aufzubauen“, lautet die Ansage von Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe. „Wir gehen davon aus, dass wir ungefähr 100.000 Arbeitnehmer mehr brauchen, die gut gelaunt an der Klimawende mitbauen. Das wird der inländische Arbeitsmarkt nicht ganz hergeben.“
4,3 Millionen durch Dachaufstockungen möglich
Auch Dietmar Walberg vom Bauforschungsinstituts „Arge für zeitgemäßes Wohnen“ (Kiel) ist sich sicher, dass die Ziele technisch erreichbar sind. „Das Potential, das allein der Umbau bestehender Gebäude bietet, liegt bei über 4,3 Millionen neuen Wohnungen. Hier müssen wir neben dem Neubau einen Schwerpunkt setzen“, sagt Walberg. Durch Dachaufstockungen auf Wohnhäusern, Verwaltungsgebäuden, Bürokomplexen, Supermärkten oder Parkhäusern könnten 2,4 Millionen Wohnungen entstehen. Und auch im Umbau von Büros, die durch die Einführung des Homeoffice, nicht mehr benötigt werden, sieht Walburg eine gewaltige Chance. Dadurch könnten rund 1,9 Millionen neue Wohnungen entstehen – und zwar relativ günstig. Der Umbau eines Büros kostet laut einer aktuellen Arge-Studie durchschnittlich 1300 Euro pro Quadratmeter. Bei der Aufstockung sind es weniger als 2500 Euro, beim Neubau mindestens 3400 Euro.
Kaltmiete unter 13,50 Euro pro Quadratmeter? Unmöglich!
„Die Rahmenbedingungen für den Neubau werden schwieriger. Innerhalb von 20 Jahren haben sich die Baukosten faktisch verdoppelt“, berichtet Walberg. Die Grundstückspreise sind im Schnitt um 34 Prozent gestiegen. Für den Wohnungsbau in Großstädten bedeutet das laut Studie: „Eine frei finanzierte Vermietung lässt eine Kaltmiete von unter etwa 13,50 Euro auf dem aktuellen Kostenniveau kaum mehr zu.“ Walberg ergänzt: „Das können sich über 80 Prozent der Bevölkerung in Deutschland nicht leisten.“ Zu hohe Zielstandards für die Energieeffizienz bewerten die Arge-Wissenschaftler deswegen als gefährlich. Die Politik müsse Kosten und Nutzen gründlich abwägen, um das Wohnen nicht unverhältnismäßig teuer zu machen. Das Bauforschungsinstitut favorisiert deswegen bei Sanierungen den KfW-Energiestandard 115, bei Neubauten das Effizienzhaus 70. Außerdem müsse der Staat Anreize für die Modernisierung setzen. Mindestens 30 Milliarden Euro sind hierfür pro Jahr an Förderung notwendig, lautet die Empfehlung der Studie.
Wohnungswirtschaft will „machbaren Mittelweg“ bei Modernisierungen
Auch die Verbandsvertreter plädieren für einen „machbaren Mittelweg“ beim Energiesparen. „Der Spagat zwischen Bezahlbarkeit und Klimaverträglichkeit wird nicht dadurch gelöst, dass wir mehr Dämmstoff draufpacken, sondern indem wir fragen: Was hilft wirklich?“, sagt Andreas Ibel, Präsident des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW). Er fordert ein Ende der „Dämm-Olympiade“ und will Energie lieber in anderen Bereichen einsparen.
Für Axel Gedaschko, den Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, steht fest: „Es ist nicht sinnvoll, die maximale Effizienz zu erzielen. Sinnvoll ist es einen Standard zu haben, der ungefördert funktioniert. Wenn wir das beachten, schaffen wir es auch mit den Kapazitäten und den Haushaltsressourcen der Menschen und der öffentlichen Hand.“ Und Katharina Metzger, Präsidentin des Bundesverbands Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB), ist überzeugt: „Abstriche bei der Energieeffizienz von Wohnhäusern zu machen, bringt am Ende mehr Klimaschutz. Denn dann ist er überhaupt erst machbar. Vor allem dort, wo wir ihn brauchen: bei den Altbauten.“
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