Darum geht es:  Die Opposition im Landtag hat massive Kritik am Unterrichtsausfall an niedersächsischen Schulen geübt. Ein Kommentar von Martin Brüning:

„In Niedersachsen gibt es vernünftige Schulen, eine gute Ausstattung und im Zweifel auch weniger Unterrichtsausfall.“ Das sagte FDP-Fraktionschefin Lencke Steiner vor einer Woche in der Bremischen Bürgerschaft. Am vergangenen Freitag nannte der FDP-Bildungspolitiker Björn Försterling im niedersächsischen die Politik der Kultusministerin dagegen miserabel und forderte ihren Rücktritt. Wer hat Recht? Beide Aussagen müssen nicht unbedingt im Widerspruch zueinander stehen. Schließlich dürfte aus Bremer Sicht die Bildungspolitik in nahezu jedem anderen Bundesland besser sein. Eine Einschätzung über die wirkliche Qualität niedersächsischer Bildungspolitik ergibt sich dadurch nicht.

https://twitter.com/KaiSeefried/status/827430883422507008

In der wie immer aufgeregten Bildungsdebatte im niedersächsischen Landtag warfen die Protagonisten am Freitag erneut mit vielen Zahlen umher. Dabei ging es um die Zahl der Lehrer, Schulen und zusätzlichen Schüler, Teilnehmer an Studienseminaren und um Stichtagsdaten. Im Mittelpunkt stand eine Zahl, die mit all den anderen Zahlen nur teilweise etwas zu tun hat und eigentlich nicht einmal das Papier wert ist, auf dem sie steht: die Zahl der Unterrichtsversorgung. Die Kultusministerin geht davon aus, dass sie in wenigen Wochen einen Wert von deutlich über 98 Prozent präsentieren kann. Das ist aber völlig egal. Je nach Art der Berechnung könnten es auch   92 oder 105 Prozent sein. Es handelt sich lediglich um einen statistischen Wert, der mit der Realität in der einzelnen Schule nicht das Geringste zu tun haben muss.

Wie aber sieht die Realität aus? Hier zeichnet die Opposition ein Bild, das im Land vermutlich nicht durchgängig so bestätigt werden kann. Denn es ist in der Fläche wesentlich differenzierter als in den Landtagsreden dargestellt. Ja, es gibt Unterrichtsausfall an niedersächsischen Schulen, keine Frage. Dabei gibt es große Unterschiede von Schule zu Schule und mannigfaltige Gründe. Unattraktive Standorte, ein schwierig zu besetzendes Fach, eine junge Lehrerin, die schwanger wird – das sind nur drei Gründe, warum es an einem Standort einmal eng werden kann. Allen Standorten ist allerdings zu eigen, dass die Zahl der Aktivitäten, die außerhalb des Unterrichts stattfinden, in den vergangenen Jahren ein Maß erreicht haben, das so nicht mehr akzeptabel ist. Entweder fehlen Schüler, weil sie sich in diversen Projekten engagieren, oder es fehlen Lehrer, weil sie diese Projekte betreuen. Wenn aber das begrüßenswerte Engagement für Projekte den normalen Unterricht erschwert, dann sollte der Projektwahnsinn an den Schulen endlich einmal auf ein normales Maß zurückgestutzt werden. Das ist aber weder eine Frage von Rot-Grün noch von Schwarz-Gelb, sondern eine Frage des gesunden Menschenverstandes.

Bei den Eltern scheint die von CDU und FDP propagierte Unterrichtsausfall-Katastrophe in den Klassenzimmern noch nicht ganz angekommen zu sein. Auf die Frage, wer eine gute Bildungspolitik betreibt, nennen zusammengerechnet 47 Prozent SPD und Grüne und nur 36 Prozent CDU und FDP. Schwarz-Gelb muss vermutlich noch einmal darüber nachdenken, ob man ein Jahr vor der Landtagswahl thematisch auf das falsche Pferd setzt, zumal sich die Situation an den Schulen in den kommenden Jahren voraussichtlich eher entspannen wird. Sinnvoller wäre eine zielgerichtete und konstruktive politische Debatte über die wirklichen Herausforderungen. Dabei bräuchte es Antworten auf die Frage: Wie begeistern wir mehr Lehrer für Schulen auf dem Land? Oder: Wie bekommen wir genügend Lehrer in Mangelfächern? Dafür bräuchte es gute Ideen – die Debatte wäre allerdings weniger wahlkampftauglich.

Mail an den Autor dieses Kommentars