8. Apr. 2024 · 
Gesundheit

Schlimmer Verdacht: Will Lauterbach die Klinik-Reform vor die Wand fahren?

In den 30 Jahren seiner Berufstätigkeit, sagt Helge Engelke, habe er eine so schlechte Stimmung noch nie erlebt. Kein Klinik-Chef wisse mehr, was er noch planen solle – denn die Vorgaben aus Berlin seien „chaotisch“ und „widersprüchlich“. „Da wird experimentiert mit Menschen, die ein geordnetes Gesundheitswesen erwarten – und dann am Ende möglicherweise ohne Versorgung dastehen.“ Der Verbandsdirektor der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft (NKG) drückt sich drastisch aus, aber in der Hauptversammlung seiner Organisation steht er damit nicht allein.

Aufstand gegen Lauterbach: Die Klinikreform des Bundesgesundheitsministers ist seit langem umstritten – jetzt wird der Widerstand stärker. | Foto: Wallbaum

Die NKG vertritt die rund 160 Krankenhäuser in Niedersachsen, darunter kommunale, kirchliche und private Träger. Sie alle haben ein Defizit von 717 Millionen Euro angehäuft, jeden Tag werden die roten Zahlen größer. Steigende Personal-, Energie- und Sachkosten stehen gedeckelten Zuschüssen der Kassen und des Bundes gegenüber. Die Rufe nach mehr Geld vom Bund stoßen beim zuständigen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf taube Ohren. Schlimmer wird alles noch dadurch, dass Lauterbach eine Klinik-Reform durchsetzen will, die kleinen und unwirtschaftlichen Kliniken das Aus bereiten dürfte. Dabei geht der SPD-Mann rabiat vor.

In Hannover sind die Aktiven der NKG jetzt zusammengekommen, um ihr Leid zu klagen und ihre Forderungen zu unterstreichen. Viele Kliniken, sagt der scheidende NKG-Vorsitzende Hans-Heinrich Aldag, „geben mehr Geld für ihre Patienten aus als sie für deren Versorgung einnehmen“. Vor allem die Kommunen würden die Defizite bisher auffangen – so lange das die eigenen Kassen noch schaffen. Das erhoffte Geld für die Betriebskosten komme vom Bund jedoch nicht – stattdessen wachse aber der Druck ständig, da Lauterbach eine radikale Bereinigung der Kliniklandschaft wolle. Damit übergehe er die Länder, die doch eigentlich für die Krankenhausplanung zuständig sind. Engelke spricht von „Daumenschrauben“, die Lauterbach seit Monaten immer wieder ansetze, um die Gesundheitspolitiker in den Ländern zu irritieren.

Der scheidende NKG-Vorsitzende Hans-Heinrich Aldag findet deutliche Worte. | Foto: Wallbaum

Ein Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums lege etwa „Mindestfallzahlen“ als Basis für Klinik-Zuschüsse fest. Anfangs habe es noch die Absicht gegeben, das Vorhalten bestimmter Geräte für alle Krankenhäuser zu bezahlen – doch dann sei auch diese Zusage plötzlich an eine Klinik-Mindestgröße gekoppelt worden. „Viel zu bürokratisch“ seien Details in Lauterbachs Vorschlägen, meint auch Niedersachsens Sozialminister Andreas Philippi (SPD). Als Lauterbach 2023 mit seinen ersten Konzepten kam, sei Niedersachsen schon auf einem Weg gewesen. Das Land wurde schon 2022 gesetzlich in landesweit acht Zonen aufgeteilt, in jeder Region soll es eine bestimmte Zahl von größeren, mittleren und kleineren Kliniken geben. Die unwirtschaftlichen sollen aufgelöst und in größere Ärztehäuser umgewandelt werden, sogenannte „Medizinische Versorgungszentren“. Das entsprechende Landesgesetz wurde noch unter der SPD/CDU-Koalition beschlossen, doch die Ausführungsverordnung, die das Startzeichen für Klinikfusionen und -schließungen in Niedersachsen geben soll, lässt im Sozialministerium noch auf sich warten.

Diskutieren über die Zukunft der Krankenhäuser (von links): Eike Holsten, Claudia Schüßler, Jürgen Peter und Helge Engelke. | Foto: Wallbaum

Ein Grund für die Noch-nicht-Umsetzung der niedersächsischen Krankenhausreform ist sicher die Lauterbach-Initiative, die in Teilen über die Landes-Regeln hinausschießt. Die NKG formuliert es drastischer, sie nennt die neuesten Lauterbach-Vorschläge verwirrend, irritierend und geeignet, ein Chaos anzurichten. „Praxisfern“ agiere das Bundesgesundheitsministerium. Philippi hält sich ebenfalls mit Kritik nicht zurück. Bis zum Sommer 2023, berichtet er, hätten Bund und Länder in der Klinik-Reform noch recht harmonisch zusammengewirkt. „Dann waren wir Länder plötzlich raus“, erklärt Philippi. Vor Weihnachten habe Lauterbach einen Gesetzentwurf vorgelegt, der im Bundesrat „nicht zustimmungspflichtig“ sein soll. Die Wahrheit ist jedoch: Wenn es später an die Umsetzung geht und entsprechende Rechtsverordnungen erlassen werden müssen, ist der Bundesminister wieder auf das Ja der Länder im Bundesrat angewiesen.

Schüßler (SPD) hatte Reform schon abgeschrieben

Warum also geht er jetzt diesen verschlungenen Weg? Offen spricht es in der NKG-Veranstaltung niemand an, aber viele vermuten folgendes: Lauterbach will noch vor der Sommerpause sein Gesetz durch den Bundestag bringen – wohlwissend, dass die Länder die Regeln im Detail nie vollziehen werden. Aber dann kann er einen politischen Erfolg verbuchen und behaupten, seinen Teil zur Klinik-Reform beigetragen zu haben. Den Rest der Verantwortung lade er dann bei den Ländern ab. Eine Andeutung in diese Richtung gibt auch die SPD-Sozialexpertin Claudia Schüßler: „Ich hatte eigentlich nicht mehr damit gerechnet, dass Lauterbachs Reform überhaupt noch beschlossen wird – schließlich haben wir bald Bundestagswahl.“

Foto: Wallbaum

Allerdings schwingt sich nun Philippi auf und will ein weiteres Mal versuchen, den Konflikt mit Lauterbach konstruktiv zu lösen. Am Sonntag habe er ihn angefunkt und erklärt: „Wir müssen reden.“ Für Donnerstag gebe es nun einen Termin zwischen den Landesministern und dem derzeit von den Ländern so stark angegriffenen Bundesgesundheitsminister. Erneut will Philippi dafür werben, dass Lauterbach mehr Geld bereitstellt – als Puffer für alle Kliniken, damit die leistungsfähigen von ihnen überleben können, bis die Klinikreform dann in fünf oder sechs Jahren zu greifen beginnt. „Warum meinen Sie, Herr Philippi, hier noch etwas bewirken zu können?“, fragt Hubert Meyer vom Landkreistag den Minister in der NKG-Veranstaltung. Schließlich habe doch der Bundesminister schon so oft den Ländern die kalte Schulter gezeigt.

Gesundheitsminister Philippi bleibt optimistisch

„Ich kann nicht mehr tun, als Lauterbach an sein Versprechen zu erinnern“, entgegnet Philippi und sagt: „Ich bleibe optimistisch, auch in dem Wissen, dass man als Optimist verlieren kann.“ Als vor Weihnachten der Lauterbach-Entwurf für ein Klinik-Transparenzgesetz den Bundesrat passiert hatte, versprach der Bundesgesundheitsminister in einer Protokollerklärung, den Landes-Basisfallwert zum 1. Juli 2024 auf 6,95 Prozent anzuheben. Das wären dann für Niedersachsen rund 200 Millionen Euro zusätzlich für den Betrieb der Krankenhäuser – finanziert durch den Bund und die Kassen, die ihren Beitragssatz wohl erhöhen müssten. Doch eingelöst hat Lauterbach das Versprechen bisher nicht, angeblich ist er damit bei Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auf Widerstand gestoßen.

Gesundheitsminister Andreas Philippi | Foto: Wallbaum

In der NKG-Veranstaltung hakt nun Meyer vom Landkreistag an dieser Stelle nach: „Das einzige Faustpfand, das Sie gehabt hatten, war die Zustimmung zum Krankenhaus-Transparenzgesetz. Das aber haben Sie schon verspielt.“ An der Stelle kann Philippi nicht widersprechen. Der Sozialminister redet sodann von einem „Plan B für den Fall, dass Lauterbachs Gesundheitsreform nicht greifen wird.“ Wie der aussehen kann, wird in der NKG-Veranstaltung durchaus kontrovers diskutiert. Jürgen Peter, Vorstandsvorsitzender der AOK, sagt einen Schlüsselsatz: „Die Krankenkassen können alles bezahlen, sicher. Doch dann steigen die Beitragssätze – und das belastet vor allem die Arbeitgeber“, sagt er.

Hanno Kummer vom Verband der Ersatzkassen (VdEK) rät den Landespolitikern dringend, keine unwirtschaftlichen kleinen Kliniken am Leben zu erhalten – denn das halte die notwendige Reform nur auf. Der Plan B kann für ihn nicht in einem Aufweichen der strengen Lauterbach-Linie bestehen. Der CDU-Sozialpolitiker Eike Holsten fordert Klarheit vom niedersächsischen Sozialministerium zu der Frage, wie viele der 160 niedersächsischen Kliniken auf Dauer Bestand haben können – und ob es zutreffend sei, dass jedes zweite Krankenhaus mittelfristig in der Existenz gefährdet sei. Dazu müsse doch auch das Landes-Ministerium aussagekräftig sein. Im Übrigen könne das Land mit Landesbürgschaften einspringen, wenn sich der Bund weiterhin nicht bereit zeige, die Kliniken in dieser schwierigen Übergangszeit zu stützen.

Diese Landes-Bürgschaft hatte Philippi bisher immer abgelehnt. Aber was für ihn selbst der „Plan B“ sein wird, den er in der NKG-Veranstaltung so drastisch einfordert, bleibt vorerst noch unklar.

Dieser Artikel erschien am 9.4.2024 in Ausgabe #065.

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