4. Juni 2024 · 
Parteien

Schirdewan: „Das Land braucht eine Idee für die Zukunft – die Rechten haben sie nicht“

Martin Schirdewan, der Vorsitzende der Linkspartei, rechnet nicht mit einem dauerhaften Erfolg der populistischen Kräfte. Das Parteiensystem, zu dem auch die Linke gehört, könne sich regenerieren – wenn nur die richtige Politik gemacht wird, meint der 48-Jährige im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick.

Rundblick-Chefredakteur Klaus Wallbaum im Gespräch mit Linken-Chef Martin Schirdewan. | Foto: Kajo Tetzlaff

Rundblick: Herr Schirdewan, ist das deutsche Parteiensystem, an das wir über viele Jahre gewöhnt waren, am Ende? Erleben wir gerade einen radikalen Umbruch?

Schirdewan: Ich bin davon überzeugt, dass die Ursache des zerbröselnden Parteiensystems im Versagen der Politik zu suchen ist. Wir erleben von Seiten der Bundesregierung eine besondere Form von Zukunftsverweigerung. Dringende Aufgaben, etwa der Ausbau der Verkehrswege oder die überfälligen Investitionen in die Digitalisierung, werden nicht finanziert. Unter dem Mangel an Investitionen leiden die, die auf die Infrastruktur angewiesen sind, aber auch die Konjunktur. Im Ergebnis wächst die soziale Ungleichheit. Das passiert in einer Situation, in der Länder wie die USA oder China massiv die eigenen Investitionen fördern. Da ist es doch kein Wunder, wenn Populisten, die auf Frust und Ängste setzen, wie die AfD oder auch das BSW, profitieren. Deren Ansatz ist aber grundverkehrt. Die wollen zurück in die Vergangenheit, während wir uns für die Zukunft aufstellen müssen.

„Wir brauchen die Bereitschaft der demokratischen Kräfte, die anstehenden Probleme zu lösen.“

Rundblick: Was meinen Sie mit „zurück“?

Schirdewan: Da wird so getan, als könne man in eine vermeintlich gute alte Zeit zurückkehren – eine Zeit der billigen Gaslieferungen aus Russland, ohne Klimaschutzauflagen, mit geschlossenen Grenzen und der Frau am Herd. Auch die Abschottung gegen Zuwanderung gehört zu dieser Linie. Dabei muss uns klar sein: Der enorme Fachkräftebedarf lässt sich nur decken, wenn wir jährlich 400.000 Zuwanderer aufnehmen – und wenn wir diese Menschen gut integrieren.

Rundblick: Ist die Erstarkung der populistischen Kräfte aus Ihrer Sicht noch aufzuhalten?

Schirdewan: Davon bin ich überzeugt. Wir brauchen dafür allerdings die Bereitschaft der demokratischen Kräfte, die anstehenden Probleme zu lösen. Vor allem in Sachen Infrastruktur und sozialer Gerechtigkeit. Wohnraum, Schulen, Lohngerechtigkeit – wenn da etwas passiert, spüren das die Menschen in ihrem Alltag. Es gibt Studien, die einen klaren Zusammenhang zeigen zwischen dem dramatischen Mangel an Zukunftsinvestitionen und dem Anwachsen von rechtsradikalen, populistischen Strömungen. Also: Wenn wir die politische Richtung korrigieren, kann der Spuk auch wieder aufhören.

Rundblick: Aber es ist doch oft so, dass es gar nicht an den angeblich zu geringen Mitteln an staatlichen Investitionen liegt. Oft sind es die aufwendigen und komplizierten Prozesse, die eine Erneuerung der Infrastruktur und den Transformationsprozess in der Wirtschaft aufhalten.

Schirdewan: Wir müssen Prozesse beschleunigen und Bürokratie abbauen, ja. Entwicklungen müssen aber auch sinnvoll begleitet werden. Nehmen wir die Entscheidung von Volkswagen, voll auf die Förderung von E-Mobilität zu setzen. Das kann nur gelingen, wenn es flächendeckend in Deutschland auch genügend E-Ladesäulen gibt. Die aber fehlen noch. Wir benötigen im Verkehrssektor enorme Investitionen als einzig richtige Antwort auf den Klimawandel. Es geht vor allem um Busse und Bahnen, aber auch um E-Mobilität. Und da sind wir dann auch wieder bei den Investitionen, die wirklich ausgeweitet werden müssen.

„Personenkult und autoritären Führungsstil lehnen wir bei der Linken ab.“

Rundblick: Das ist wohl ein Punkt, der Ihre Partei vom abgespalteten „Bündnis Sahra Wagenknecht“ unterscheidet – das Ja zum konsequenten Klimaschutz. Wo sehen Sie die weiteren Unterschiede?

Schirdewan: Da spielt sicher der Personenkult eine Rolle, verbunden mit autoritärem Führungsstil – sowas lehnen wir ab. Auch, dass Sahra Wagenknecht sich verächtlich über Menschen im Bürgergeldbezug geäußert hat. So etwas gibt es bei der Linken nicht, wir üben Solidarität mit den Schwachen in der Gesellschaft. Auch in der Außenpolitik gibt es grundlegende Unterschiede. Ich nenne den russischen Angriffskrieg ohne Wenn und Aber so – auch, wenn ich für Frieden eintrete und Waffenlieferungen ablehne. Aber an Putins Regime ist einfach nichts zu beschönigen.

Rundblick: Hat die Abspaltung des BSW die Linkspartei entscheidend geschwächt?

Schirdewan: Sie hat uns im Gegenteil wieder handlungsfähiger gemacht. Natürlich hat es Irritationen gegeben, auch einige Austritte. Aber seit der Abspaltung verzeichnet unsere Partei bundesweit 5000 Neueintritte. Viele Leute kommen gerade jetzt zu uns. Wir regieren auch weiter in mehreren Landesregierungen mit – in Mecklenburg-Vorpommern und Bremen ist es eine rot-rote Regierung, in Thüringen stellen wir den Ministerpräsidenten. Ich bin mir sicher, dass wir bei der Thüringer Landtagswahl Anfang September vorn liegen werden mit unserem Spitzenkandidaten Bodo Ramelow.

Rundblick: Derzeit sieht das noch nicht so aus. Schwindet nicht der Einfluss der Linkspartei? Müssen Sie nicht befürchten, immer mehr zu verlieren und auch als Machtfaktor nicht mehr gebraucht zu werden?

Schirdewan: In der Politik kann man auf mehr als eine Art Einfluss ausüben. Wenn eine Partei stark wird in den Wahlergebnissen und in der Öffentlichkeit, dann kann sie auch ohne Regierungsverantwortung die Politik prägen – indem sie den inhaltlichen Takt vorgibt. Das ist uns gelungen, als 2022 über die Gaspreisbremse gesprochen wurde und über die Not der kleinen Leute, die stark steigenden Preise nicht mehr bezahlen zu können.

Rundblick: Nochmal zu Thüringen. Kann es am Ende auch eine Kooperation mit der CDU in einer Landesregierung geben?

Schirdewan: Wir kämpfen für eine linke Regierung in Thüringen. Die CDU hat zwar in den vergangenen viereinhalb Jahren die rot-rot-grüne Regierung in Erfurt mitgetragen. Gleichzeitig gibt es bei der CDU aber einen Unvereinbarkeitsbeschluss, der doch stark aus der Zeit gefallen ist. Wenn die CDU sich zum demokratischen Lager bekennen will, müsste sie den langsam mal aufheben. Mir scheint die CDU hier uneinig zu sein und immer noch nach rechtsaußen zu blinken. Das halte ich für einen großen Fehler.

„Es gibt keinen massiven Rechtsruck, sondern eine Verschiebung innerhalb des Lagers der Rechten.“

Rundblick: Sie sind Europaabgeordneter und treten jetzt wieder für das Europaparlament an. Muss man bei der Europawahl nicht EU-weit mit einem Erstarken der rechtsextremen Kräfte rechnen?

Schirdewan: Die aktuellen Umfragen sagen keinen massiven Rechtsruck voraus, sondern eine Verschiebung innerhalb des Lagers der Rechten. Wir setzen in unserer Wahlkampagne klar auf Antifaschismus. Wir wollen den Rechtsruck stoppen – und die Chancen dafür stehen aus meiner Sicht gar nicht schlecht. Die Thüringer Kommunalwahl hat doch gezeigt, dass von einem Durchmarsch der AfD nicht die Rede sein kann.

Dieser Artikel erschien am 5.6.2024 in Ausgabe #102.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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