16. Dez. 2020 · 
Soziales

Scheinselbstständigkeit bei Impf-Ärzten? Die Kreise wollen eine schnelle Regelung

Der Start der rund 50 Impfzentren in Niedersachsen wird von einem akuten Rechtsproblem überschattet: Viele Ärzte, die dort zur Unterstützung tätig werden sollen und auch wollen, könnten beim Abschluss der nötigen Verträge mit dem Land auf unerwartete Schwierigkeiten stoßen. Wenn sie für ihren Einsatz ein Honorar erhalten, könnte der Verdacht der Scheinselbständigkeit entstehen – und die Sozialversicherungsträger auf den Plan rufen. Sollte nämlich die Tätigkeit der Ärzte dauerhaft, regelmäßig und auf Anforderung des Landes geschehen, wäre der Verdacht auf eine tatsächlich abhängige Beschäftigung gegeben. Das könnte bei der rechtlichen Beurteilung dazu führen, dass die Ärzte zur Zahlung von Beiträgen zur Renten- und Arbeitslosenversicherung verpflichtet werden müssten. Darüber hinaus müsste dann jeder Arzt vermutlich einen aufwendigen und detaillierten Vertrag mit dem Land schließen – was viele scheuen. „Wir sind dabei, das Problem mit dem Bund zu klären“, sagte Regierungssprecherin Anke Pörksen gestern. Nach Mitteilung des Landes haben inzwischen 1600 Ärzte in Niedersachsen ihre Bereitschaft bekundet, in den Impfzentren aushelfen zu wollen. Wie viele Ärzte dort tatsächlich benötigt werden, kann nur geschätzt werden. In vielen Fällen meldeten sich Mediziner, die schon im Ruhestand sind oder die neben dem Betrieb ihrer Praxis für einen oder zwei Tage in der Woche einspringen wollen. Der Niedersächsische Landkreistag (NLT) hatte schon Anfang Dezember auf das grundsätzliche Problem hingewiesen: Da viele Ärzte als Selbstständige weiter ihre Praxis betreiben wollen und in der Notsituation bereit sind, vorübergehend die Impfzentren zu unterstützen, rechneten sie mit Tätigkeit auf Honorarbasis. Die Vergütung müssten sie später zwar versteuern, dafür aber keine Sozialabgaben entrichten. Wenn man eine solche Regel nun im großen Stil gewähren ließe, könnte die Gefahr einer Scheinselbstständigkeit entstehen, die nicht nur untersagt, sondern sogar strafbar wäre. De facto würden die Ärzte ja wie Mitarbeiter des Landes eingesetzt werden. Wie Pörksen auf Nachfrage mitteilte, ist „Geld kein Problem“, das Land wäre also im Fall der Fälle auch bereit, für den Einsatz der Ärzte Sozialabgaben zu zahlen, also die Vergütung heraufzusetzen. Aus dem NLT heißt es nun aber, das Problem liege tiefer. Wenn die Ärzte für ihre Tätigkeit in den Impfzentren förmlich angestellt werden müssten, auch für nur eine Tätigkeit von wenigen Stunden in der Woche, sei das dienstrechtlich sehr aufwendig. Die Ärzte müssten dann eingruppiert werden, der Personalrat müsse beteiligt werden, die Betroffenen wären dann zugleich selbstständig und angestellt mit allen – auch steuerlichen – Konsequenzen. Diese Schwierigkeiten sind wohl auch der Grund dafür, dass eine zunächst angepeilte Rahmenvereinbarung wieder aufgegeben wurde. Überlegt wird derzeit, ob anstelle des Landes ein Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes als „Arbeitgeber“ für die Impf-Ärzte einspringen könnte. Dann aber könnten Kritiker einwenden, das DRK leiste damit eine – genehmigungspflichtige – Arbeitnehmerüberlassung an das Land als eigentlichen Nutznießer. Es werde ein Umgehungstatbestand geschaffen. NLT-Hauptgeschäftsführer Prof. Hubert Meyer sagt dem Politikjournal Rundblick, das Problem müsse „schnell gelöst werden“, denn man dürfe die Ärzte nicht dadurch verschrecken, dass man Ungewissheiten im Raume stehen lasse. Ein Bundesgesetz, das im Januar beschlossen werden kann und auf Mitte Dezember rückdatiert werden müsste, könnte die auf Honorarbasis tätigen Ärzte in Impfzentren befristet von der Pflicht der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen befreien. Corona-App ausweiten: Sechs Wochen nach SPD-Fraktionschefin Johanne Modder hat nun auch Ministerpräsident Stephan Weil Kritik daran geübt, dass die Corona-Warn-App strikt auf Freiwilligkeit basiert und nicht automatisch Informationen an die Gesundheitsämter weiterleitet. Der Datenschutz sei eine zu hohe Hürde. Pörksen erklärte, womöglich könne schon eine technische Überarbeitung gewährleisten, dass viele Menschen leicht einer automatischen Weiterleitung der Informationen die Zustimmung erteilen könnten. Auch eine Bundesratsinitiative zur Änderung und Verschärfung der Vorgaben sei denkbar, allerdings wolle man die Menschen auch nicht verärgern und setze darauf, dass sie freiwillig an dem Meldesystem mitwirken. Scholz relativiert Aussage: Sozial-Staatssekretär betont, dass er nicht gefordert habe, infizierte Pflegekräfte sollten weiter ihrer Tätigkeit bei der Pflege Covid19-erkrankter Menschen ausüben (der Rundblick berichtete gestern). Er habe im Sozialausschuss lediglich von einer solchen theoretischen Möglichkeit in Katastrophensituationen gesprochen, aber gleichzeitig betont, von solchen Zuständen sei Niedersachsen immer noch weit entfernt.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #228.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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