Scharfe Kritik an Scholz: Weil greift Reform des Infektionsschutzgesetzes an
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat im Unterschied zu der für ihn erwartbaren Verhaltensweise offen scharfe Kritik an einem politischen Vorschlag geübt, für den sein Parteifreund steht, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Weil nannte den Entwurf der Bundesregierung für eine Reform des Bundesinfektionsschutzgesetzes „praxisfern“, die geplante Hotspot-Regelung reiche „definitiv nicht aus“. In einer schriftlichen Erklärung, die von der Staatskanzlei verbreitet wurde, sprach der Regierungschef sogar von einer „Hotspotregelungsverhinderungsregelung“. Diese scharfe Ausdrucksweise, soweit sie von eigenen Genossen vertretene Vorhaben betrifft, ist für Stephan Weil höchst unüblich und daher bemerkenswert.
Weil spricht mit seiner Kritik „für die gesamte Landesregierung“
In der Landespressekonferenz erklärte Vize-Regierungssprecher Gert Hahne, dass Weil natürlich auch parallel Gespräche mit Vertretern der Bundestagsfraktionen und mit anderen Ministerpräsidenten führe. Er beschränke sich also keineswegs nur auf den öffentlichen Protest vor der heutigen Ministerpräsidentenkonferenz, die sich mit dem Thema noch einmal eingehend beschäftigt. Hahne betonte auf Nachfragen auch, dass Weil „für die gesamte Landesregierung“ spreche, also auch für die CDU. Vize-Ministerpräsident Bernd Althusmann hatte wiederholt ähnlich harte Kritik wie Weil an dem Vorhaben der Berliner Ampel-Koalition geübt und sogar ein Nein Niedersachsens im Bundesrat dazu in Aussicht gestellt. Regierungssprecherin Anke Pörksen hingegen zeigte sich skeptisch, ob das Aufhalten der Regel in der Länderkammer sinnvoll sei – zumal dann das bisherige strenge Infektionsschutz-Regiment komplett wegfiele und gar nicht ersetzt würde.
Der Plan der Ampel-Koalition sieht für die Zukunft nur noch einen Basisschutz vor, also Maskenpflichten im Bus- und Bahnverkehr oder in Pflegeheimen. Darüber hinaus soll es nach dem Entwurf zwar möglich sein, in Hotspots die Auflagen zu verschärfen – von Maskenpflicht in Innenräumen über Abstandsgebote (etwa bei Großveranstaltungen) und Teilnehmer-Obergrenzen bis hin zu 3G-Regeln für bestimmte Anlässe. Allerdings soll das an die Vorgabe geknüpft sein, dass der jeweilige Landtag per Beschluss einen Hotspot definieren muss und dafür auch bestimmte Kriterien (vor allem die Krankenhausbelastung) vorweisen muss. Dies ist aus Sicht von Weil viel zu kompliziert: „Man stelle sich vor, dass die Landesregierung den Landtag um eine Sondersitzung bitten müsste, um Schutzmaßnahmen beispielsweise für die Grafschaft Bentheim ausrufen zu können.“ Das widerspreche der bisherigen Linie des Landes Niedersachsen, „frühzeitig präventive Maßnahmen zu ergreifen, wenn immer dies notwendig erschien“. Daran, so betonte Weil weiter, „muss festgehalten werden“.
Niedersachsens SPD macht FDP auf Bundesebene für Entwurf verantwortlich
In niedersächsischen SPD-Kreisen wird die FDP auf Bundesebene für diesen Entwurf der Bundesregierung verantwortlich gemacht – obwohl der verantwortliche Bundesminister selbst ein Sozialdemokrat ist, ebenso wie der Kanzler. Wie verfahren die Situation ist, zeigt nun Weils Vorgehen über öffentliche Abgrenzungen zur Bundesregierung. Da er in dieser Frage aber mit anderen Länder-Regierungschefs wie Hendrik Wüst (Nordrhein-Westfalen) und Markus Söder (Bayern) auf einer Linie liegt, fällt Weil damit bundesweit derzeit nicht sonderlich auf.
FDP nimmt Ampel gegen Weil in Schutz: Kein Verständnis für die Kritik von Ministerpräsident Weil am Ampel-Plan für das neue Infektionsschutzgesetz zeigt FDP-Landeschef Stefan Birkner. Er geht auf Distanz zu Weils Position, die Landtage sollten nicht erst abstimmen müssen, bevor Sonderregeln in Hotspots wirken können. „Dass Ministerpräsident Weil es für nicht sinnvoll hält, zu diesem Zweck jeweils den Landtag um Erlaubnis zu fragen, zeigt einmal mehr sein wenig ausgeprägtes Verständnis von der Rolle des Landtages zur Sicherung der Grundrechte“, hob Birkner hervor.
Landtagsbeschluss möglich: In Hannover wird nun das folgende Szenario diskutiert: Sollte wider Erwarten der Entwurf der Ampel-Koalition trotz des Drucks der Länder nicht nachgebessert werden und sogar im Bundesrat am Freitag eine Mehrheit finden, peilt Niedersachsen schon eine radikale Vorgehensweise an. Der Landtag, der vom 22. bis 24. März tagt, würde in einem Beschluss das ganze Land Niedersachsen als „Hotspot“ festlegen – um der Landesregierung die Chance zu ermöglichen, angesichts der hohen Infektionszahlen quasi landesweit Kontaktbeschränkungen beispielsweise bei Großveranstaltungen durchsetzen zu können. Notwendig wäre dafür allerdings noch eine schlüssige Begründung. Diese könnte darin bestehen, dass der Wert der Hospitalisierung über 20 steigt. Der Wert gibt an, wie viele Niedersachsen je 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen wegen einer Covid19-Erkrankung in die Kliniken gebracht werden mussten. Bisher ist er noch unterhalb von 15.
Dieser Artikel erschien am 17.03.2022 in der Ausgabe #051.
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