Religionsunterricht bald „für alle“? Landeskirche warnt vor Zoo-Perspektive
Die religiösen Bindungen von Eltern und damit auch ihren Kindern nehmen ab. Wird deshalb der Religionsunterricht in der bisherigen Form auch weiterhin möglich sein? In einigen Ländern versucht man bereits, über neue Formen und alternative Angebote die Schüler zu erreichen. Zur Belebung dieser Debatte hat Oberlandeskirchenrätin Kerstin Gäfgen-Track, die sich in der Konföderation der evangelischen Kirchen Niedersachsens viele Aufsätze zur Bildungspolitik geschrieben hat, ihre Position in einem längeren Aufsatz ausgeführt.
Sie warnt vor einer „Zoo-Perspektive“, die dann entstehen kann, wenn beispielsweise konfessionslose oder nicht von den Kirchen benannte Pädagogen in einem „Religionsunterricht für alle“ über die verschiedenen Religionen aufklären sollen. In Hamburg gibt es einen solchen „Religionsunterricht für alle“, der bisher faktisch in evangelischer Obhut stand, nun aber gezielt auch andere Religionsgemeinschaften einbeziehen soll.
Gäfgen-Track lobt „konfessionell-kooperativen Unterricht“
Gäfgen-Track beschreibt zunächst die besondere Bedeutung des Religionsunterrichts in der Bundesrepublik, die – anders als etwa Frankreich – keine strikte Trennung von Staat und Kirche kennt, sondern eher eine Distanzwahrung einerseits und eine Verzahnung andererseits. Der Staat hat die Aufgabe, den Religionsunterricht gemeinsam mit der Kirche zu verantworten. Für die Unterrichtsinhalte indes zeichne die jeweiligen Religionsgemeinschaft verantwortlich. Damit sei ein Sonderstatus beschrieben, der nach Ansicht der Oberlandeskirchenrätin „von Vorteil bei beide Seiten“ sein könne.
Das im Grundgesetz verbriefte Recht der Eltern, ihre Kinder religiös zu erziehen und zu bilden, erlaube es nicht, den Religionsunterricht einfach durch „Werte und Normen“ oder ein Fach „Lebenskunde-Ethik-Religionskunde“ (LER), wie es vor mehr als 20 Jahren in Brandenburg eingeführt worden war, zu ersetzen. Gäfgen-Track wirbt nun dafür, den Unterricht künftig – auch in Anbetracht von immer weniger konfessionell gebundenen Kindern und von Lehrermangel – weiterhin von Lehrkräften vorzunehmen, die selbst eine Religion vertreten.
Sie lobt dabei den sogenannten „konfessionell-kooperativen Unterricht“. Dieser gilt formal als evangelischer Religionsunterricht, sofern die Lehrerin evangelisch ist, als katholischer, wenn sie katholisch ist. Dies ließe sich aber verzahnen mit der jeweils anderen Konfession oder auch mit jüdischen und islamischen Angeboten. Diese Variante ermögliche eine Offenheit für alle Schüler, ohne dabei ein christliches Profil zu verlieren.
Wer in der Schule keine Auseinandersetzung mit Religion haben will, der nimmt automatisch unkontrollierbare religiöse Parallelwelten in Kauf.
Die Oberlandeskirchenrätin übernimmt auch eine klare Position in der Frage, ob der Unterricht von der Basis einer christlichen Konfession aus erteilt werden soll – also etwa auch mit einem Lehrer, der den Glauben selbst vertritt. Sie findet das angemessener als die Gegenposition, eine religiöse Identität der Schüler könne sich erst herausbilden, wenn ein Dialog darüber geführt werde. Es ist laut Gäfgen-Track eine „Überforderung“, wenn man auf ein gemeinschaftsbildendes Gespräch im Unterricht hoffe, ohne dass die Schüler in ihrer eigenen Religion zuerst Kompetenzen erworben haben. Die Vertreterin der evangelischen Kirche zitiert Kultusminister Grant Hendrik Tonne mit den Worten: „Wer in der Schule keine Auseinandersetzung mit Religion haben will, der nimmt automatisch unkontrollierbare religiöse Parallelwelten in Kauf.“